Herr Bodenmann, wie funktioniert Beziehung? - Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi
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Herr Bodenmann, wie funktioniert Beziehung?

Lesedauer: 7 Minuten

Alltagsstress und Konflikte belasten das Zusammenleben mancher Eltern. Und bei mehr als der Hälfte kommt es zu einer Trennung. Warum es sich jedoch lohnt, in die Partnerschaft zu investieren, wie die Liebe gepflegt werden kann und weshalb eine Scheidung für Kinder oft gravierend ist, erklärt der renommierte Paarforscher und -therapeut Guy Bodenmann.

Das Büro von Professor Guy Bodenmann am Psychologischen Institut der Universität Zürich liegt nahe beim Bahnhof Oerlikon. Vorne und rechts hohe Fenster, links an der Wand stehen schwarze Sideboards, und darüber hängen Lithografien von Henri Matisse.

Herr Bodenmann, in der Schweiz wird jede zweite Ehe geschieden – trennen sich Paare heute zu schnell?

Ja, in vielen Fällen. Eine Partnerschaft ist eine der wichtigsten Ressourcen, die ein Mensch hat: für die Lebenszufriedenheit, die Gesundheit, das psychische Wohlbefinden und auch die Leistungsfähigkeit. Eine Partnerschaft ist ein sehr kostbares Gut, sie lebt aber von der Konstanz, weshalb man in sie investieren muss. Nur so wird sie immer noch wertvoller und tragfähiger. Bei Beziehungsabbrüchen fängt man in der nächsten Beziehung immer wieder von vorne an. So können nie Tiefe, Konstanz und Solidarität aufgebaut werden. Zum Vergleich: Ich habe kürzlich eine alte Uhr, die ich von meinen Eltern zum 20. Geburtstag bekommen hatte, reparieren lassen. Die Reparatur kam mich teurer zu stehen als eine neue Uhr. Materiell hatte die Uhr keinen Wert mehr. Man hätte sie leicht gegen eine neue eintauschen können. Doch emotional hing ich an dieser Uhr. Sie hatte mich ein Leben lang begleitet. Ähnlich ist es mit einer Partnerschaft. Ihr Wert steigt mit den Jahren, wenn man sie pflegt und auch schwierigere Zeiten miteinander besteht.

«Die Partnerschaft ist eine der wichtigsten Ressourcen für die Lebenszufriedenheit und die Gesundheit.»

Psychologe Guy Bodenmann

Was kann man tun, wenn es kriselt, die Beziehung auf der Kippe steht?

Auf jeden Fall gründlich prüfen, ob der Schritt hin zu einer Trennung die beste Lösung ist oder ob es nicht doch Möglichkeiten zur Überwindung der Krise gibt. Die Vor-und Nachteile der Partnerschaft sollte man sorgfältig analysieren und sich überlegen, wie Negatives allenfalls verändert werden kann.
Prof. Dr. Guy Bodenmann ist ordentlicher Professor für Klinische Psychologie mit Schwerpunkt Kinder/Jugendliche und Paare/Familien an der Universität Zürich. Er ist Direktor der Praxisstelle für Paartherapie und der Praxisstelle für Kinder-und Jugendpsychotherapie am Psychotherapeutischen Zentrum der Universität Zürich.
Prof. Dr. Guy Bodenmann ist ordentlicher Professor für Klinische Psychologie mit Schwerpunkt Kinder/Jugendliche und Paare/Familien an der Universität Zürich. Er ist Direktor der Praxisstelle für Paartherapie und der Praxisstelle für Kinder-und Jugendpsychotherapie am Psychotherapeutischen Zentrum der Universität Zürich.

Und wenn die Nachteile überwiegen?

Sollten sie deutlich überwiegen und nicht veränderbar sein, kann eine Trennung angezeigt sein. Es gilt allerdings zu bedenken, dass eine Partnerschaft in aller Regel wellenförmig verläuft. Es gibt Phasen, in denen man es schön hat zusammen, und es gibt schwierigere Zeiten. Insbesondere dann, wenn es nicht besonders läuft, sollte ein Paar versuchen, herauszufinden, ob es sich – etwa aufgrund äusserer Umstände wie akutem Arbeitsstress – gerade in einer sehr anstrengenden und energieraubenden Phase befindet, die aber ein absehbares Ende hat, oder ob allenfalls ein tiefer liegendes Konfliktthema die Unzufriedenheit hervorruft. Das könnte der Fall sein, wenn man sich vom anderen zu wenig wertgeschätzt fühlt oder zu wenig Fairness erlebt. Dann sollte das Paar diese Probleme aktiv angehen, denn abzuwarten bringt nichts. Solche Probleme lösen sich meist nicht von alleine.

Wie kann ein Paar Beziehungskonflikte bewältigen?

Zuerst sollte einem das Problem bewusst werden. Man muss erkennen, was einen stört und unzufrieden macht. Im zweiten Schritt steht das Wissen im Vordergrund, wie etwas denn sein sollte, wie eine Partnerschaft überhaupt funktioniert. Zu überprüfen, wie realistisch die eigenen Erwartungen an die Beziehung, an den Partner sind, gehört hier oft dazu. Als Beispiel: In der Zeit nach der Geburt eines Kindes nimmt die Sexualität bei zwei Drittel der Paare ab. Wenn man das weiss, wird dieses Problem relativiert, da es den meisten jungen Eltern ähnlich geht. In einem nächsten Schritt geht es darum, die Motivation zu schaffen, um am Problem zu arbeiten: Was wollen wir als Paar tun, um den Schwierigkeiten zu begegnen? Für das oben geschilderte Beispiel hiesse dies: Wie können wir unsere Sexualität wieder beleben? Welche Möglichkeiten gibt es da? Was haben wir früher, als wir noch öfter Sex miteinander hatten, anders gemacht? Und in einem vierten Schritt wird dann das Problem konkret angegangen.

Wie geschieht das?

Viele Paare haben genügend Ressourcen, um ihre Konflikte zu lösen. Dabei helfen das gemeinsame Gespräch und die Bereitschaft zur gemeinsamen Problemlösung. Es kann auch sinnvoll sein, einen Ratgeber zum Thema zu lesen oder allenfalls einen Kurs zur Pflege der Partnerschaft zu besuchen wie etwa «Paarlife».

Wann braucht es therapeutische Hilfe beziehungsweise eine Paarberatung?

Ein Paar sollte zuerst selber versuchen, seine Probleme zu lösen. Wenn man dies gemeinsam schafft, bedeutet das ein Erfolgserlebnis und eine Festigung der Beziehung. Funktioniert dies nicht, weil die Situation zu festgefahren ist, ist der Weg in eine Paarberatung sinnvoll.

Worunter leiden Paare mit Kindern am häufigsten?

Unter Zeitmangel, Alltagsstress, der übervollen Agenda. Eltern sind oft ständig unter Druck, weil sie kaum unverplante, freie Zeit haben. Eine weitere Schwierigkeit besteht darin, dass der Partner nicht mehr das einzige und exklusive Liebesobjekt ist, wenn Kinder da sind. Die Paar-Dyade wird aufgebrochen. Es wird deshalb wichtiger, dem Partner die Liebe deutlich zu zeigen. Probleme entstehen aber auch durch unterschiedliche Erziehungsvorstellungen und -werte, das heisst, wenn man sich als Paar nicht einig darüber ist, was für die Kinder richtig und gut ist. Und dann sind Eltern auch oft bekümmert, wenn ihr Kind zum Beispiel unter Schulschwierigkeiten leidet oder gemobbt wird. Finanzielle Sorgen belasten manche Mütter und Väter ebenfalls.

Was können Paare gegen den Alltagsstress tun?

Die Gretchenfrage lautet hier: Wie setze ich meine Prioritäten? Spielraum hat nämlich jeder! Aber wenn einem der Sportverein oder irgendeine andere Freizeitaktivität wichtiger ist als das Gespräch mit dem Partner und man davon ausgeht, dass die Partnerschaft sowieso ein Selbstläufer ist, dann bleibt die Beziehung womöglich auf der Strecke. Und irgendwann droht dann die gegenseitige Entfremdung, weil man sich inzwischen immer mehr auseinandergelebt hat.

«Sich in der Partnerschaft so zu geben und zu zeigen, wie man wirklich ist, schafft Nähe.»

Psychologe Guy Bodenmann

Wie wirkt man dieser Entfremdung entgegen?

Am besten präventiv: Die Liebe ist wie eine Pflanze, die gehegt und gepflegt werden muss. Wenn man sie nicht wässert, düngt, die Erde wechselt, sie ans Licht stellt und so weiter, verkümmert sie. Das Wissen um diese Fürsorge, aber auch die Motivation, die Pflanze – oder eben die Liebe – pflegen zu wollen, sind sehr wichtig. Wenn die Pflanze vernachlässigt wird, geht sie, wie die Partnerschaft, irgendwann ein. Je länger dieser Entfremdungsprozess andauert, desto schwieriger wird es, ihm entgegenzuwirken.

Wie können wir die Liebe pflegen?

Indem das Interesse am Partner wach bleibt, wir Anteil nehmen aneinander, ein offenes Ohr füreinander haben und man aufeinander zählen kann. Indem wir in die Beziehung investieren und den anderen immer wieder kennenlernen wollen. Und indem wir auch bereit sind, uns in der Partnerschaft zu öffnen – man nennt dies «Selbstöffnung» –, wir uns so geben und zeigen, wie wir wirklich sind, mit all unseren Stärken und Schwächen. Öffnet man sich voreinander, wächst man miteinander und schafft Nähe, Intimität und Konstanz. Die Partnerschaft ist der einzige Ort, wo die Selbstöffnung in dieser Form möglich ist. Manche Paare kommunizieren aber über viele Jahre auf einer sehr oberflächlichen Ebene, erreichen keine Tiefe in ihrer Beziehung. Das macht die Beziehung flüchtig und anfällig.

Anfällig wofür?

Anfällig für Entfremdung, Enttäuschung und ein frustriertes «Wegwerfen» der Beziehung. Wir leben heute in einer Wegwerfgesellschaft; was nicht mehr gefällt, wird entsorgt. Diese Haltung hat auch vor Partnerschaften nicht Halt gemacht. Werden die eigenen Bedürfnisse, Erwartungen und Wünsche nicht befriedigt, ist man ernüchtert und unzufrieden. Man beginnt den Partner in einem negativen Licht zu sehen, ist weniger grosszügig seinen Macken gegenüber, nörgelt, kritisiert und beginnt Machtspiele. Auch die Häufigkeit und Qualität der Sexualität nimmt dann oft ab.

«Kinder sind wie Seismografen: Sie spüren, was zwischen den Eltern nicht gut läuft, und leiden unter diesen Spannungen.»

Psychologe Guy Bodenmann

Was raten Sie Paaren, die sich beklagen, dass ihre Sexualität abgenommen hat und weniger aufregend ist?

Je länger ein Paar keinen Sex hat, desto schwieriger wird die Wiederbelebung der Sexualität. Deshalb ist es wichtig, dranzubleiben – auch wenn das «Prickelnde» nicht mehr vorherrscht. Nähe und die Zärtlichkeit zu spüren, sich auf einer reiferen Ebene zu begegnen, kann auch sehr schön sein. Und dabei offen bleiben und sich fragen: Was gefällt mir an meiner Partnerin, meinem Partner heute? Dabei sollten die Ansprüche realistisch sein. Gut ist gut – es muss nicht immer alles exzellent sein!
Prof. Dr. Guy Bodenmann
Prof. Dr. Guy Bodenmann

Zurück zu den Kindern: Welches sind die Konsequenzen für die Kinder, wenn die Eltern destruktiv streiten?

Die sind leider oft gravierend. Kinder sind wie Seismografen, sie spüren, was in der Beziehung zwischen den Eltern nicht gut läuft. Und sie leiden unter diesen Spannungen, unabhängig davon, ob die Konflikte vermieden werden, schwelend oder impulsiv-aggressiv ausgetragen werden. Partnerschaftsstörungen hängen mit vielen kindlichen Störungen wie Aggressionen, Ängsten, Depressionen oder Essstörungen zusammen. Probleme zwischen den Eltern wirken sich über mehrere Wege schädigend auf die Kinder aus.

Wie denn?

Indem die Eltern den Kindern gegenüber weniger offen und sensibel sind, sie ein ungünstigeres, häufig inkonsistenteres Erziehungsverhalten zeigen und nicht selten unter psychischen Störungen leiden; als Folge chronischer Beziehungsprobleme. Depressive Verstimmungen, Ängste oder Alkoholprobleme bei Frauen und Männern sind häufige Auswirkungen gestörter Paarbeziehungen. Und in vielen Fällen mischen sich die Kinder in den Konflikt der Eltern ein und geraten zwischen die Fronten.

Und wie steht es mit den Folgen einer Scheidung für die Kinder?

Eine Scheidung ist in den meisten Fällen destabilisierend für Kinder – die Studienlage ist hier eindeutig. Gemäss Längsschnittstudien dauert es drei bis sechs Jahre, bis sich Kinder von einer Scheidung erholt haben. Manche leiden noch im Erwachsenenalter unter der Trennung ihrer Eltern. Es bleiben Narben zurück.

Ist eine Scheidung für die Kinder gravierender, als wenn Eltern zusammenbleiben, aber ständig streiten?

Chronisch destruktives Streiten ist sehr schädlich für Kinder. Wenn die Beziehung nicht zu retten ist, ist eine Scheidung in diesen Fällen besser. Aber heute gibt es einen neuen Typ Scheidung, der aufhorchen lässt. Rund ein Viertel der Paare lässt sich scheiden, ohne dass sie viel streiten oder eine konflikthafte Partnerschaft führen. Ihnen fehlt der Kick. Man fragt sich: War es das schon? Wartet nicht nochmals etwas Aufregendes, Besseres auf einen? Da sind wir wieder bei der Wegwerfgesellschaft. Für die Kinder kommt dann die Trennung der Eltern wie aus heiterem Himmel, es gab keine Anzeichen dafür. Partnerschaft und Liebe werden für sie unvorhersehbar und unkontrollierbar. Das ist psychisch destabilisierend, und der Glaube an die Verlässlichkeit von Beziehungen geht verloren.

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