Was macht ein Kind sozial kompetent? - Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi
Merken
Drucken

Was macht ein Kind sozial kompetent?

Lesedauer: 2 Minuten
Wie entwickeln Kinder soziale Kompetenzen in einer globalisierten Welt? Wichtig ist, dass sie ein Gleichgewicht zwischen Autonomie und sozialer Eingebundenheit finden. 
Eltern wünschen sich, dass aus ihren Kindern sozial kompetente Erwachsene werden. Was sie jedoch darunter verstehen, hängt von den Normen ihres Umfelds ab. In Ländern, wo Unabhängigkeit und Selbstständigkeit wichtig sind, fördern Eltern die Kinder eher im eigenständigen Denken, in der Entscheidungskompetenz und im eigenständigen Handeln. In Ländern, wo Wert auf soziale Eingebundenheit gelegt wird, neigen Eltern dazu, die Nähe zu anderen Menschen hervorzuheben. Diese Eigenschaften schliessen sich nicht aus, aber sie äussern sich unterschiedlich im jeweiligen Umfeld. 

Empowerment der Eltern für ein besseres Verständnis der Erziehung

Zudem sind wir als soziale Wesen auf Bindungen angewiesen, was die Entwicklung allgemeiner sozialer Fähigkeiten zur Notwendigkeit macht. Eltern haben auch da eine Vorbildfunktion. Einige Erziehungsratgeber empfehlen Elternmodelle, welche die Prägung durch die Familie und das Umfeld vernachlässigen. Solche Ratgeber mit standardisierten Zielen können oberflächlich sein und Regeln vorschreiben, die nicht auf alle zutreffen. Die Stärkung (Empowerment) der Eltern hat zum Ziel, dass Mütter und Väter ein besseres Verständnis für eine Erziehung entwickeln, die ihren Gepflogenheiten Rechnung trägt. Das ist besonders wichtig, da viele Elternratgeber-Autoren aus der entwickelten Welt stammen, in der die Mehrheit der Studien zu diesen Themen durchgeführt wird, während die Entwicklungswelt (die sogenannten Drittweltländer) in der Forschung häufig keine Beachtung findet, obwohl dort die meisten Kinder geboren werden. Die kindliche Entwicklung wird bereits vor der Geburt durch Erwartungen und familiäre Gewohnheiten der Eltern geprägt. In weiten Teilen der entwickelten Welt und in wohlhabenden Teilen der sogenannten Drittweltländer messen Eltern der Bildung grosse Bedeutung bei. 

Sie lassen ihre Kinder an entsprechenden Aktivitäten teilnehmen, die viel Freizeit beanspruchen. Dahinter steht die Absicht, die Kinder zur Eigenständigkeit zu erziehen, damit sie sich in einem wettbewerbsorientierten Umfeld besser zurechtfinden. Da kann es passieren, dass die Eltern übersteigerten Wert auf Eigenständigkeit legen und die Beziehungsfähigkeit der Kinder vernachlässigen.

Ich-Bezogenheit schadet der sozialen Entwicklung

Natürlich möchte niemand, dass sein Kind ohne soziale Beziehungen und isoliert von Mitmenschen aufwächst. Werden aber Werte wie Selbständigkeit und Unabhängigkeit zu stark gefördert, kann das die soziale Entwicklung beeinträchtigen. Wenn jemand extrem wettbewerbsorientiert und ichbezogen ist, kann dies der Entwicklung der sozialen Fähigkeiten schaden.

Als Entwicklungsziel mit universellem Ansatz hat die türkische Wissenschaftlerin Çiğdem Kağitçibaşi eine neue Synthese vorgeschlagen. Sie stellt fest, dass die Welt sich schnell in Richtung Modernisierung entwickelt und dies dazu führt, dass besonders in Drittweltländern die Kinder mit vorherrschend kollektivistischen Werten und jene in individualistischen Gesellschaften unterschiedlich aufwachsen. Im Zuge der Globalisierung ziehen immer mehr Menschen auf der Suche nach besseren Chancen vom Land in Ballungszentren. Somit müssen immer mehr Menschen sowohl schulisch und beruflich als auch im zwischenmenschlichen Bereich mit den Anforderungen einer wettbewerbsorientierten Gesellschaft umgehen. Das erfordert ein Gleichgewicht zwischen Autonomie und sozialer Eingebundenheit, zwischen den Fähigkeiten, die den Umgang mit Gleichaltrigen und Verwandten fördern, und jenen, die die individuelle Entwicklung begünstigen – wie etwa eigenständiges Denken, Entscheidungsfähigkeit, eigenverantwortliches Handeln.

Die Zukunft: globalisierte Erziehung

In einer Gesellschaft, die sich mehr und mehr in Richtung Wettbewerb bewegt, wäre ein Gleichgewicht zwischen Autonomie und sozialer Eingebundenheit optimal. Dies verhindert, dass Kollektivisten Schwierigkeiten haben, eigenständig zu handeln, und Individualisten sich isolieren. Damit wird die kognitivsozial- emotionale Entwicklung begünstigt. Das widerspiegelt sich in einer angepassteren Form des Individualismus, da dieses Gleichgewicht beide menschlichen Bedürfnisse berücksichtigt. So entwickeln sich Kinder gesünder: Sie können eigenständig handeln und damit den urbanen, wettbewerbsorientierten Anforderungen optimaler gerecht werden, gleichzeitig aber auch auf ihre Mitmenschen eingehen. Die zukünftigen Forschungsfelder im Bereich der Elternkompetenz und Erziehung müssen also darauf ausgerichtet sein, Kinder grosszuziehen, die – unter Berücksichtigung ihrer natürlichen menschlichen Bedürfnisse – an die globalisierte Welt angepasst sind.

Bild: Pexels


ZUM AUTOR

Dr. Rafael Carvalho ist am Psychologischen Institut der Universität Rio de Janeiro Postdoktorand des Social Interaction and Development Lab (www.desin.org).


JACOBS FOUNDATION

Als eine der weltweit führenden gemeinnützigen Stiftungen verpflichtet sich die Jacobs Foundation seit 25 Jahren der Forschungsförderung im Bereich der Kinder- und Jugendentwicklung. Die Stiftung möchte künftige Generationen durch die Verbesserung ihrer Entwicklungsmöglichkeiten nachhaltig unterstützen.