Ein Kind braucht nicht zwingend eine Matura, um stark und glücklich zu sein, sagt der Heidelberger Glücksforscher und Pädagoge Ernst Fritz-Schubert. Und er muss es wissen, denn er hat das Schulfach Glück erfunden. Ein Gespräch über Lernen, Lebensfreude und Loslassen.
Ernst Fritz-Schubert spricht gern, schnell und viel. Und wenn er spricht, leuchten seine Augen. Der pensionierte Schulleiter empfängt uns in seinem pittoresken, über 100 Jahre alten Haus am Philosophenweg in Heidelberg. Hier haben sich früher Liebende zum Stelldichein getroffen. Die Wohlfühlatmosphäre und das liebliche Ambiente kontrastieren mit den pointierten Äusserungen des älteren Herrn mit dem ungewöhnlichen Doppelnamen. «Schule muss mehr sein als blosse Qualifizierungsanstalt», sagt Fritz-Schubert, während er Kaffee kocht. «Schule empfinde ich in dieser Form als starke Vergeudung der Möglichkeiten. Kinder verlernen das Gefühl, selbst wirksam zu sein, wirklich gebraucht zu werden».
An meine eigene Schulzeit habe ich keine guten Erinnerungen. Meine Neugier und die Lust, die mich als Fünfjähriger mit der Zuckertüte angetrieben hatten, verwandelten sich schnell in Ratlosigkeit, Zweifel und Furcht. Ich wurde jünger eingeschult als die anderen und erbrachte nicht die gleiche Leistung. «Mehr anstrengen! » – diesen Satz bekam ich immer wieder zu hören. Aber kein Lob dafür, wie gut ich doch zurechtkam.
Weil ich eher schmächtig war, kam für meine Mutter und meine Lehrer nur eine Ausbildung in einem Büro in Frage. So landete ich in einem Steuerbüro und langweilte mich zu Tode. Als Ausgleich kaufte ich teure Autos und päppelte so mein Selbstwertgefühl auf. Die Wende kam bei einer allgemeinbildenden Schulung während des Militärdienstes. Ein Deutschlehrer ermutigte mich, das Abitur nachzuholen und Volkswirtschaft zu studieren. Das änderte alles.
Ich hatte es einfach satt, dass Schule in der Beliebtheitsskala der Schüler gleich nach dem Zahnarztbesuch rangiert. Neun- bis Dreizehnjährige gaben an, sich besonders in den Ferien wohlzufühlen, an Weihnachten, überhaupt bei den Eltern. Am wenigsten glücklich sind sie beim Zahnarzt. Und in der Schule. Also tat ich mich mit ein paar Kollegen zusammen. Wir entwarfen ein Konzept für ein Fach, das in der Berufsfachschule und im Wirtschaftsgymnasium in Deutschland seit 2007 auf dem Stundenplan steht, in Teilen Österreichs und zeitweilig auch im Internat Ingenbohl in der Schweiz.
Dass es neben dem vordergründigen materiellen Glück auch das lebenslange Glück gibt, das durch die eigenen Werte geprägt wird.
Die Schule ist eine künstliche Veranstaltung. Lehrer geben meist alles vor, und Schüler bekommen mehr fertige Antworten statt Fragen mit nach Hause. Dadurch verlieren sie das Gefühl, selbst wirksam zu sein, wirklich gebraucht zu werden. Dies ist aber neben der Selbstachtung ein zentraler Faktor für die Persönlichkeitsbildung und für Glück und Wohlbefinden.
Das stimmt, und die meisten Eltern strengen sich an, dass aus ihnen glückliche Erwachsene werden. Aber nicht immer gelingt es. «Gut meinen» ist noch lange nicht «gut machen». Alle Kinder haben ungeahnte Ressourcen, und die gilt es gemeinsam mit ihnen zu entdecken, das ist eine der wichtigsten Aufgaben von Eltern und Pädagogen.
«Schlechte Noten sollen die elterliche Liebe nicht mindern.»
Ja, das steht auch nicht im Widerspruch zur gesellschaftlich erwünschten Vermittlung von Werten wie Freiheit, Gleichheit und Solidarität, sondern beschreibt lediglich einen anderen Weg zum selben Ziel.
Lust und Leistung sind keineswegs Gegensätze. Das Leben zu meistern, heisst nicht nur, dass man sich die nötigen Fähigkeiten aneignet, um zu überleben, sondern es gehört auch Lebensfreude dazu, die Fähigkeit, zu geniessen und auch einmal über sich selbst zu lachen, wenn der gewünschte Erfolg ausbleibt. Es hilft unseren Kindern jedenfalls nicht, wenn wir sie mit erhobenem Zeigefinger erziehen oder ihnen alle Hindernisse aus dem Weg räumen.