Lernen im Schlaf – geht das? 
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Lernen im Schlaf – geht das? 

Lesedauer: 4 Minuten

Genügend Schlaf ist wichtig für die Gedächtnisbildung und erfolgreiches Lernen. Neueste Forschungsergebnisse zeigen, dass insbesondere ungestörter Tiefschlaf von grosser Bedeutung ist – auch für Kinder in der Pubertät.

Text: Claudia Landolt
Bild: Alain Laboile

Nach der Schule lernt Luis Französischwörter und für den Geografietest. Der 14-Jährige geht um 21 Uhr ins Bett. Die darauffolgende Nacht entscheidet mit, ob er das Erlernte auch im Kopf behält. Genug Schlaf und vor allem ein erholsamer Tiefschlaf geben dabei den Ausschlag. Warum wir schlafen, ist eine Frage, die bis heute wissenschaftlich nicht geklärt ist – auch wenn sich die Spezialisten einig sind, dass der Schlaf sowohl für das Immunsystem, für den Stoffwechsel wie auch für die kognitiven Leistungen des Gehirns unabdingbar ist.

Schlaf und Lernen sei in den letzten Jahrzehnten eines der Hauptforschungsgebiete in der Schlafforschung, erklärt Reto Huber, wissenschaftlicher Leiter des Zentrums für Schlafmedizin am Kinderspital Zürich. «Schlaf ist mehr als nur Erholungsphase, er trägt etwas Eigenständiges zum Lernen, zum Gedächtnis, zum Verarbeiten von Erlebtem bei», so Huber. Es sei wissenschaftlich unbestritten, dass Schlaf zum Lernerfolg beitrage: «Wenn man vor dem Schlafengehen noch etwas lernt, das am anderen Tag abgefragt wird, erzielt man eine Verbesserung von 10 bis 20 Prozent», erklärt Huber – zumindest
bei Erwachsenen.

Wichtiger als die Schlafdauer ist, wie gut und tief der Schlaf ist

Bei Kindern und Jugendlichen ist das Bild unschärfer. Denn Schlaf ist eine komplizierte und von mehreren Faktoren bestimmte Sache. Erstens das individuelle Schlafbedürfnis von Kindern und Jugendlichen. Zweitens gibt es Kurzschläfer und Langschläfer. Und drittens gibt es sogenannte Chronotypen: die Eulen, die ungern vor 23 Uhr ins Bett gehen und dafür am Morgen nicht aus den Federn kommen, sowie die Lerchen, die gern früh ins Bett gehen und morgens um sieben Uhr schon sehr munter sind. Hinzu kommt: In der Pubertät nimmt die Fähigkeit, länger wach zu bleiben und später aufzustehen, generell zu.

Aber noch wichtiger als die Schlafdauer ist die Schlafintensität, also wie gut und tief der Schlaf ist. Entscheidend ist die erste Nachthälfte. Der Tiefschlaf ist durch sogenannte langsame Wellen gekennzeichnet, im Fachjargon Slow-Wave-Ströme (SWS) genannt. Sie sind das Mass für die Schlafqualität; je eindeutigere und je mehr Slow Waves, desto tiefer die Schlafphase. Entscheidend ist, dass die normalerweise kontinuierliche Aktivität der Neuronen für einige 100 Millisekunden unterbrochen wird. Wenn das viele Neuronen tun, erzeugt das die langsamen Hirnstromwellen, die Slow-Wave-Ströme.  «Aus einer Vielzahl von Untersuchungen wissen wir, dass gerade diese Slow Waves wichtig sind für die Lernprozesse im Gehirn», erklärt der Schlafexperte. Werden diese Ströme zum Beispiel durch Aussenreize gestört, weisen Versuchspersonen Lerndefizite auf. Im Vergleich zu ungestört Schlafenden können sie sich am nächsten Morgen schlechter an gelernte Wortpaare erinnern.

Was sind Slow-Wave-Ströme?

Slow-Wave-Ströme (SWS) bezeichnen eine Schlafphase, in der die Aktivitätsphase der Neuronen extrem gering ist (mit einer Frequenz zwischen 0,5 und 3 Hz). Diese SWS-Schlafphase gilt als der Schlaf mit der höchsten Weckschwelle und widerspiegelt die Qualität des Schlafes.

Diese Slow Waves sind besonders interessant, weil sie im Zusammenhang mit der Hirnentwicklung stehen. Diese verändert sich während Kindheit und Jugend deutlich. Slow Waves sind interessanterweise immer in jener Hirnregion besonders aktiv, in der gerade ein Reifungsprozess stattfindet. «Das sieht man beispielsweise am Schlaf von 6- bis 8-Jährigen; in diesem Alter schlafen Kinder so unglaublich tief, dass man sie fast nicht wecken kann», erläutert Reto Huber. Die zunehmende Reifung des Stirnlappens bewirkt, dass sich das Kind zunehmend selbst beherrschen, seine Gefühle kontrollieren und seine Bedürfnisse herausschieben kann. Dadurch kann es sich besser konzentrieren und zielgerichtet lernen.

Wie viel Schlaf das eigene Kind braucht, ist für Eltern manchmal schwierig zu eruieren.

Bei Jugendlichen werden die vorderen Teile des Grosshirns, die für Entscheidungen und höhere kognitive Leistungen benötigt wer den, umgebaut. «Es überleben nur die relevanten Verknüpfungen, welche für die Funktionalität des Hirns in der Adoleszenz wichtig sind», weiss Reto Huber. Teenager verfügen mit der Zeit dann über ein weniger dichtes, dafür umso effizienteres Netzwerk an Nervenzellen.

Und ebenso, wie die Umbauwelle des Gehirns von hinten nach vorne geschehe, veränderten sich auch diese SWS-Muster. Das heisst: Teenager schlafen zwar weniger, weil die Fähigkeit, länger wach zu bleiben, zunimmt. Dafür schlafen sie relativ tief. Langsame Wellen sind also wichtig für die Gedächtnisleistung. Lerninhalte, die am Abend eingeprägt werden, werden am Morgen besser memoriert. Die grosse Frage aber lautet: Was passiert, wenn Jugendliche zu wenig schlafen? «Da gibt es natürlich Leistungseinbussen», erklärt Reto Huber. 

Genug Schlaf ist wichtig 

Allerdings ist die Grenze sehr individuell und abhängig von der einzelnen Leistung, denn nicht alle kognitiven Fähigkeiten geraten in Schieflage. Ob acht Stunden pro Tag wirklich notwendig sind, belegt die Wissenschaft nicht.» Man sehe aber, dass Teenager am Wochenende sehr viel mehr schlafen würden als unter der Woche. «Das zeigt, dass ein gewisses Bedürfnis unter der Woche zu kurz kommt.» 

Wie viel Schlaf das eigene Kind braucht, ist für Eltern manchmal schwierig zu eruieren. Laut Reto Huber kann man sich dabei an Ferienzeiten orientieren, wenn die Jugendlichen nach einem eigenen Rhythmus leben können. «Wenn jemand immer um 23 Uhr ins Bett geht und nicht vor 11 Uhr aufsteht, ist klar, dass diese Person mehr als sieben Stunden Schlaf braucht.»

Allerdings machen Jugendliche ihren Schlafmangel einerseits durch tieferen Schlaf wieder wett, sie füllen ein Schlafdefizit durch einige Nächte mit tiefem Schlaf wieder auf. Andererseits müssen sie eben gerade am Wochenende oder in den Ferien vermehrt Schlaf nachholen. Und Luis? Er hat in jener Nacht vor dem Test gut geschlafen. Im Geografietest bringt er eine 5,5 nach Hause, die Französischwörtchen weiss er auch am anderen Tag noch. Einer guten Nacht folgte ein lerntechnisch erfolgreicher Tag.

Schlafen – Lernen – Schlafen

In einer aktuellen Studie mussten 40 Probanden die Übersetzungen von 16 Swahili-Wörtern auswendig lernen. Dabei schritt die Gruppe, die um 9 Uhr abends sowie 12 Stunden später lernte, deutlich besser ab als die Gruppe, die zuerst morgens und dann abends lernte. Das bedeutet, dass Schlaf das Erlernen und langfristige Behalten von Inhalten begünstigen kann. Effizient lernen heisst demnach: lernen, eine Nacht schlafen und am Morgen erneut lernen.

Claudia Landolt
ist Mutter von vier Söhnen und diplomierte Yogalehrerin.

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