Eine verhängnisvolle Hormondröhnung - Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi
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Eine verhängnisvolle Hormondröhnung

Lesedauer: 2 Minuten

In fast allen Familien tragen meist nur die Mütter die emotionale Verantwortung. Genau so, wie die Väter meist ungefragt fürs Finanzielle einzustehen haben. Während jeder weiss, was Geld wert ist, gestaltet sich das bei Gefühlen schon schwieriger. Eine Kolumne von Michèle Binswanger. 

Eltern streiten sich über vieles. Übers Putzen, über Geld und darüber, wer wie oft in den Ausgang geht. Das Schöne an diesen Dingen ist: Man kann sie regeln, weil sie quantifizierbar sind. Und dann gibt es noch diesen nicht hintergehbaren Rest. Was vom Tage übrig bleibt, wenn alles aufgeteilt, eingetütet, aufgegleist ist und rollt. Was ich damit meine ist Folgendes: Neulich kam Sohnemann nach Hause, Mama und Papa sassen beide in ihren angrenzenden Büros am Computer bei der Arbeit. Der Junge betrat Vaters Büro.

«Papa?», fragte er.
«Ja?», antwortete Papa.
«Wo ist Mama?», fragte der Sohn.
«In ihrem Büro», sagte der Vater.
«Mama?», rief der Junge.
«Ja?», rief ich.
«Kannst du mir bitte ein Glas Milch geben?»

FRAG DOCH PAPA! müsste die korrekte Antwort an dieser Stelle lauten. Aber der Gescheitere gibt bekanntlich nach, auch wenn er dadurch zugibt, dass er mit seinen Konzepten gescheitert ist. Zum Beispiel dem Konzept: ausgewogene Aufgabenteilung in familiären Belangen.

«In fast allen Familien tragen fast ausschliesslich die Mütter die emotionale Verantwortung.» 

Ich dachte immer, das sei simpel. Jeder putzt, kocht, jeder ist mit den Kindern zu ungefähr gleichen Teilen beschäftigt. Über die Jahre gerechnet, war mein Mann vielleicht sogar mehr zu Hause als ich. Und es ist auch nicht so, dass er ein Drache und ich ein Lamm wäre. Wir sind ganz normale, berufstätige Eltern, Aber wenn wir beide zu Hause sind, dann ist mein Mann in den Augen meiner Kinder nicht da. Ich hingegen bin die Unique Selling Proposition für die täglichen Bedürfnisse, die Premium-Betreuerin bei Problemen aller Art. Manchmal komme ich mir vor wie eine Ente, der die Kleinen hinterher watscheln und den ganzen Tag geht es Quak, Quak, Quak. 

In fast allen Familien tragen fast ausschliesslich die Mütter die emotionale Verantwortung. Genau so, wie die Väter meist ungefragt fürs Finanzielle einzustehen haben. Nur weiss jeder, was Geld wert ist. Bei Gefühlen ist das schwieriger. Und so ist es für Frauen auch schwierig zu benennen, was sie eigentlich leisten. Und es ist auch schwierig, Männern klar zu machen, was es bedeutet, wenn die Kinder den ganzen Tag mit ihren Bedürfnissen an die mütterliche Küste branden, während sie lediglich punktuell eingreifen. Denn auch leidenschaftliche Mamas haben davon irgendwann genug. Aber bei ihrem Job gibt es keinen Feierabend.

«Über die Jahre gerechnet, war mein Mann vielleicht sogar mehr zu Hause als ich.» 

Wahrscheinlich ist das alles wissenschaftlich erklärbar. Vermutlich ist Oxytocin dafür verantwortlich, das so genannte «Liebes-Hormon», das bei emotionalen Bindungen vom Blickkontakt bis zum Orgasmus beteiligt ist. Frauen bilden während Schwangerschaft und Stillzeit jede Menge davon, und die entsprechende Dröhnung wird mit dem typisch bemutternden Verhalten von Babysprech bis Kuddelmuddel in Verbindung gebracht. Übrigens bilden auch Väter das Hormon. Früher hiess es ja immer, Neugeborene würden dem Vater gleichen, ein Trick der Evolution, dass diese sich um ihren Nachwuchs kümmern. Das würde zumindest erklären, warum Babys bei der Geburt eher unattraktiv wirken. Aber heute weiss man, dass auch Väter auf Oxytocin anspringen. Als Nasenspray verabreicht, soll es sie sogar in zärtliche und einfühlsame Wesen verwandeln, die sich besser in andere einfühlen und sogar Gesichter lesen können.

Aber bevor Sie jetzt in die Apotheke rennen und Ihren Mann mit einem Oxytocinspray attackieren, sollten Sie noch dies wissen: In Sachen Kindern und Familie hat das Hormon bei Männern einen leicht anderen Effekt als bei Frauen. Männer bilden nämlich mit der Vaterschaft  ähnlich viel vom Liebes-Hormon wie die Frauen. Aber während Frauen auf Oxytocin dazu neigen, ihre Kinder zärtlich zu umsorgen, bewirkt es bei Vätern eher stimulierendes Verhalten gegenüber ihrem Nachwuchs. Statt dem Sohn Milch zu geben, hätte der Vater ihn also eher dazu angehalten, das Zimmer aufzuräumen. Wobei, das ist vielleicht gar nicht so schlecht. Das nächste Mal werde ich in der Apotheke nach Oxytocin fragen.

© Tages-Anzeiger/Mamablog


Zur Autorin

Michèle Binswanger ist Philosophin, Journalistin und Buchautorin. Sie schreibt zu Gesellschaftsthemen, ist Mutter zweier Kinder und lebt in Basel. Sie schreibt regelmässig für das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi.

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