«Wir benutzen die Geräte nicht um ihrer selbst willen»
Schulleiter Christian Neff und Mediendidaktikprofessor Beat Döbeli über die Vorteile und Vorurteile beim Lernen mit Smartphone und Co.
Herr Neff, Sie haben schon 2007 vom Einsatz von Smartphones im Unterricht geträumt. Sind Sie ein Geek?
Neff: Nein. Viele Schüler haben ein moderneres Smartphone als ich. Aber die Möglichkeiten, wenn jeder eine Stoppuhr, eine Kamera, Internetanschluss und ein Aufnahmegerät im Hosensack hat, haben mir sofort imponiert. Wir nutzen die Geräte als Werkzeuge, nicht um ihrer selbst willen.
Wie ist das gemeint?
Neff: Lern-Apps stehen nicht im Vordergrund, sondern wir nutzen eher die Funktionen, die das Gerät hat.
Döbeli: Wenn zum Beispiel das Thema Wald durchgenommen wird, bleiben die Schüler nicht im Klassenzimmer und gucken auf eine App. Die Klasse geht in den Wald. Aber dort werden auch Geräusche und Fotos aufgenommen oder etwas nachgeschlagen.
Züchten Sie damit nicht eine Generation heran, die nichts mehr ohne Smartphone machen kann?
Neff: Wir thematisieren ja auch die Mediennutzung im Unterricht. Die Kinder heute haben damit aber viel weniger Probleme als wir Erwachsenen. Sie lassen das Gerät auch mal über das Wochenende im Klassenzimmer, weil sie sich denken: Das brauche ich ja am Wochenende nicht.
Döbeli: Und um noch einmal das Waldbeispiel aufzugreifen: Das Smartphone kann die direkte Realität ergänzen. Oder soll die Schulklasse so lange im Wald bleiben, bis ein Fuchs vorbeikommt?
Ist Medienbildung bei Ihnen eine feste Unterrichtseinheit?
Neff: Nein – aber die Fragen, wie wir die Medien nutzen sollten, fliessen ganz automatisch in den Unterricht mit ein. Dadurch werden die Lehrpersonen auch in digitalen Fragen zu Vertrauenspersonen. Unsere Projektklassen haben Fälle von Cybermobbing in anderen Klassen früh entdeckt und die Lehrpersonen informiert. Spannend finde ich auch: Aus den Projektklassen selbst sind mir keine Fälle von Cybermobbing bekannt.
Machen es sich Lehrer nicht sehr einfach, wenn sie Schüler zum Aufgabenlösen an ein Gerät setzen, das diese gleich korrigiert?
Neff: Ich finde, dass unsere Lehrpersonen zu gut bezahlt sind, um stundenlang Aufgaben zu korrigieren, bei denen Schüler und Schülerinnen nur etwas ankreuzen oder eine Zahl hineinschreiben müssen. Das kann automatisiert werden. Diese Zeit stecken sie lieber in die individuelle Förderung der Kinder!
Kritiker des digitalen Lernens meinen, dass Kinder in der Primarschule nur Wisch- und keine Medienkompetenz erlernen. Professor Gerald Lembke fordert: Keine Computer in den unteren Schulklassen.
Döbeli: Diese Kritiker gehen aber auch meistens davon aus, dass die digitalen Methoden die anderen ersetzen. Wir setzen die Geräte nur ein, wenn es Sinn macht. Ein Richtwert ist: 10 bis 15 Prozent der Unterrichtszeit. Es gibt noch immer Zirkel und Tafeln in unseren Klassenzimmern, und diese werden auch benutzt.
Aber irgendetwas anderes muss ja wegfallen. Lernen Ihre Schüler weniger auswendig?
Neff: Sie lernen natürlich Vokabeln, und ich bin auch ein grosser Fan davon, Gedichte auswendig zu lernen. Aber wir überlegen, was Sinn macht. Lange mussten meine Schülerinnen die Wappen unserer Kantonsbezirke kennen – dabei musste ich sie selber alle zwei Jahre nachschlagen. Jetzt lernen sie lieber das Nachschlagen. Wir möchten sie auf ein Leben in der Informationsgesellschaft vorbereiten. Wir gehen davon aus, dass mindestens 50 Prozent von ihnen mal einen Beruf haben, in dem digitale Medien eine Rolle spielen.
Döbeli: Die von Professor Lembke geforderte Abstinenz bringt nichts. Das hat noch bei keinem Medium funktioniert. Dann nutzen die Schüler ihr Smartphone eben zu Hause oder in der Pause – und da können wir sie nicht begleiten, und so bleibt die gesamte Medienbildung an den Eltern hängen.