«Nach der Krebsdiagnose musste ich alles loslassen»
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«Nach der Krebsdiagnose musste ich alles loslassen»

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Durch ihren Brustkrebs musste Janna Ulrich sich darauf vorbereiten, ihre Kinder nicht aufwachsen zu sehen. Doch sie hat umso gestärkter zurück ins Leben gefunden.

Aufgezeichnet von Michaela Davison
Bild: Lea Meienberg / 13 Photo

Janna Ulrich, 40, arbeitet als Direktionsassistentin, ihr Mann Jason, 49, ist Vermögensverwalter. Sie haben zwei Kinder, Vanessa, 10, und Leandros, 8.

Das erste wirkliche Loslassen war für mich, als Leandros mit sechs Monaten eine Augenoperation brauchte. Er hat grünen Star. Als ich ihn dem Anästhesisten überreichen musste, hat es mein Mutterherz zerrissen, weil ich ihn nicht beschützen konnte. Vier Vollnarkosen hatte er während seines ersten Lebensjahres. Auch musste ich mich mit der Möglichkeit auseinandersetzen, dass er erblindet. Ich informierte mich schon über Blindenschulen.

Wenn ich nicht arbeiten würde, hätten die Kinder weniger Gelegenheit, selbständig zu werden.

Ich war die ersten Jahre mit den Kindern zu Hause. Seit ich wieder berufstätig bin, funktioniert es viel besser mit ihrer Selbständigkeit. Anfangs hatte ich Bedenken, ob sie sich morgens alleine bereit machen können. Aber wenn ich nicht da bin, kommen sie sogar pünktlicher aus dem Haus. Es klappt wunderbar und ich konnte so gut loslassen. Ich glaube, wenn ich nicht arbeiten würde, hätten sie weniger Gelegenheit, selbständig zu werden.

Allgemein fällt mir das Loslassen nicht schwer. Meine Mutter hat sich früh scheiden lassen, sie war alleinerziehend und arbeitete viel. Ich musste von klein auf sehr selbständig sein, vieles alleine meistern. Dadurch, dass ich so erzogen wurde, fällt es mir vielleicht auch leichter, loszulassen.

Gewöhnliche Probleme werden banal

Als ich 2019 die Diagnose Brustkrebs bekam, musste ich mich damit auseinandersetzen, was wäre, wenn ich sterben und meine Kinder nicht aufwachsen sehen würde. Es gibt für mich kein grösseres Loslassen, als mir vorzustellen, nicht mehr für sie da sein zu können. Ich habe begonnen, mich innerlich zu verabschieden, mein Gehen durchlebt, mich auf das Sterben vorbereitet.

Der Gedanke, nicht mehr für meine Kinder da sein zu können, war furchtbar.

Das ging so weit, dass ich meinen Kleiderschrank aussortierte. Sogar meine eigene Beerdigung hatte ich schon geplant. Auch wollte ich meinen Kindern eine kleine Kette mit meiner Asche hinterlassen, die sie immer bei sich haben würden. Das ist kein freiwilliges Loslassen, aber ich musste mit dem Schlimmsten rechnen.

Der Gedanke, nicht mehr für meine Kinder da sein zu können, war furchtbar. Ich musste mich von der Vorstellung verabschieden, ihre Entwicklung mitzuerleben. Wenn du nicht mehr da bist, verpasst du alles. Und wenn dich der Krebs von innen auffrisst, kämpfst du unermüdlich, damit du noch jede Minute mit ihnen ausnutzen kannst.

Aufgrund der Themen, mit denen ich mich befassen musste, kamen mir die gewöhnlichen Probleme anderer Eltern oft banal vor. Wenn sich ein Elternteil wegen Kleinigkeiten um sein Kind sorgte, dachte ich: ‹Ich werde sterben und meine Kinder nicht aufwachsen sehen, und du kommst mir mit ein bisschen Fieber.› Damit hatte ich schon bei Leandros’ Diagnose viel Mühe gehabt. Einerseits wollte ich die Probleme meiner Freundinnen ernst nehmen und nicht egoistisch sein, andererseits kamen sie mir nichtig vor.

Michaela Davison
ist freie Journalistin und dreifache Mutter. Sie lebt mit ihrer Familie in der Nähe von Zürich. Mit zwei Schulkindern und einem Kindergartenkind ist ihr Familienalltag gefüllt mit Übergängen aller Art.

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