Diese Webseite nutzt Cookies. Cookies werden zur Benutzerführung und Webanalyse verwendet und helfen dabei, diese Webseite zu verbessern. Durch die weitere Nutzung dieser Webseite erklären Sie sich mit unserer Cookie-Police einverstanden. Mehr Infos hier.
Die soziale Videoplattform zieht Kinder und Jugendliche massenhaft an. Was Eltern und Pädagogen über die Unterhaltungsapp Tiktok wissen müssen.
Im Jahr 2014 ging die App Musical.ly an den Start. Kinder, Jugendliche und Erwachsene nahmen kurze Videoclips auf, um zu Musik synchron die Lippen zu bewegen und mit diversen Tanzeinlagen zu glänzen. Die Nutzerzahlen stiegen rasant, bevor die beliebte App 2017 von der chinesischen Firma Bytedance gekauft und in Tiktok umbenannt wurde. Heute gilt Tiktok als das aktuelle Social-Media-Phänomen, das mit zwei Milliarden Downloads weltweit durch die Decke geht. Allein in Europa sind 100 Millionen Tiktok-Fans aktiv.
Im Zentrum stehen weiterhin die kurzen Videos, in denen sich nicht nur Kinder und Jugendliche selbst darstellen, zu Musikklängen tanzen und die Lippen bewegen. Es gibt aber auch zahlreiche andere Clips, die kurze Geschichten erzählen oder Streiche und Missgeschicke dokumentieren. Echte und vermeintliche Trends erhalten hier eine Bühne und sogenannte Challenges fordern zum Mitmachen heraus. Wer besonders kreativ und einfallsreich ist, bekommt jede Menge Follower, Kommentare und Likes. Offiziell ist die App ab 13 Jahren erlaubt, es sind dort aber auch jüngere Kinder unterwegs. Was finden sie alle an Tiktok?
Artikel kostenlos weiterlesen
Gratis registrieren und profitieren:
Begrüssungsgeschenk
Zugriff auf alle Artikel
Artikel speichern & später lesen
Teilnahme an Verlosungen
Schon registriert? Dann geht's hier zum Login
Sie sind noch nicht registriert? Hier geht's zur Registration
Mit Playback zur Ichfindung
Wie andere soziale Medien trägt auch Tiktok sein Scherflein zur Identitätsfindung bei Kindern und Jugendlichen bei. Mit der sehr einfach bedienbaren App probieren sie sich und ihre Wirkung auf andere aus. Die Angst, sich vor der Kamera zu blamieren oder zu versagen, fällt allerdings deutlich geringer aus als in anderen Netzwerken: Musik und Gesang vom «Band» sind schon da.
‚Bist du erst mal drauf‘, sagte mir eine 15-jährige Schülerin, ’schaust du dir einen Clip nach dem anderen an und kommst nur schwer davon los.‘
Und nicht das Singen steht im Mittelpunkt, sondern lediglich das Performen. Das traut sich fast jeder zu. Geht es etwa bei Instagram um reine Selbstdarstellung, besitzt Tiktok eher Rollenspiel-Charakter. Mit der fertigen Musikvorlage schlüpfe ich in die Rolle eines Künstlers, vielleicht sogar meines Idols. Wenn ich singe wie der Star, dann bin auch ich ein Star. Meine Follower deute ich zu Fans von mir und meiner Darbietung um. Das sorgt für Bestätigung. Ist das also alles wirklich nur ein Spass?
Es geht nur um Unterhaltung
Im Gegensatz zu Youtube oder anderen Plattformen ruft niemand Tiktok auf, um nach einem konkreten Inhalt zu suchen. Es geht um pures Amüsement. Erstaunlicherweise hatte der Erfinder der App, Alex Zhu, einmal in den USA für SAP als «Futurist of education» gearbeitet und sich dann mit einer eigenen Bildungsplattform selbständig gemacht, die allerdings scheiterte. «Wir haben versucht, gegen die menschliche Natur zu kämpfen», gestand Zhu in einem Interview mit dem «Spiegel». «Die Menschen interessieren sich nun einmal mehr für Unterhaltung als für Bildung.» Das bestätigte mir auch eine 15-jährige Schülerin in einem Workshop. «Eigentlich ist das total hohl. Es gibt keinen tieferen Sinn in der App ausser reine Unterhaltung. Bist du aber erst mal drauf, schaust du dir einen Clip nach dem anderen an und kommst nur schwer davon los.»
Die Sache mit der Zeitverschwendung
Überraschend ist das nicht. Seit jeher neigen Kinder und Jugendliche dazu, ihre Zeit zu verschwenden – das war bei uns damals nicht anders. Heute schlafen Jugendliche am Wochenende bis zwölf Uhr mittags oder sie liegen den ganzen Tag auf ihrem Bett und scrollen sich stundenlang durch Instagram und Tiktok. Uns Eltern fällt es oft schwer, diesem Treiben schweigend zuzusehen. Uns, die wir durch unsere Berufe auf Effektivität getrimmt sind, fallen auf Anhieb ein halbes Dutzend Aufgaben ein, die unsere Kinder stattdessen erledigen könnten. Mich regt das zuweilen auch auf. Aber dann denke ich: Ist das nicht eigentlich wunderbar? Alle Zeit der Welt verstreichen zu lassen, ist Luxus und ein Zeichen von beneidenswerter Gelassenheit. Wir Erwachsenen hingegen strampeln in unseren Hamsterrädern und müssen dann Kurse zu Achtsamkeit und Meditation belegen, um dem Burnout zu entgehen.
Bei allem Verständnis bedeutet das aber noch lange nicht, dass deshalb Zeitregulierungen überflüssig und Angebote wie Tiktok vollkommen harmlos sind. Erst kürzlich lief dort das Video eines Mannes, der sich vor laufender Kamera das Leben nahm. Insbesondere aus den folgenden drei Gründen ist Tiktok problematisch:
Sexualisierung: Durch Vorbilder auf Tiktok angeregt, möchen sich besonders Mädchen ebenso freizügig zeigen. Ihre Videos sind offen sichtbar und in der Regel können Fremde mühelos Kontakt zu ihnen knüpfen. Besonders bedenklich sind etwa Challenges wie jene, für die sich Mädchen vor laufender Kamera einen Eiswürfel in ihre Vagina einführen. Mag sein, dass die Protagonistinnen das witzig finden, auf junge Menschen hat es eher eine verstörende Wirkung.
Geschenke: Im Livestream-Modus von Tiktok tummeln sich viele Influencer. Auch sogenannte Micro-Influencer mit einer eher kleinen Follower-Anzahl machen für wenig Geld Werbung. Bekanntere Influencer fordern ihre Follower zu Geldgeschenken auf. Dazu gibt es auf Tiktok käuflich zu erwerbende Coins. Damit können Kinder unterschiedlich grosse Geschenke überreichen. Bezahlt wird via In-App-Funktion, nur damit zum Beispiel als Gegenleistung ein Influencer den Namen des Spenders vor laufender Kamera an eine Tafel kritzelt. «Die Berufswelt hat sich komplett geändert», sagte mir kürzlich ein 16-Jähriger. «Früher wurdest du Arzt oder so und hast damit Geld verdient. Aber wenn du heute siehst, dass du mit ein bisschen Social Media mehr Geld machen kannst, ist das schon sehr verwirrend. Wozu noch studieren?»
Politisch: Zu den weiteren Kritikpunkten zählt, dass Bytedance aus China stammt. Immer wieder werden Befürchtungen laut, die Chinesen würden die Tiktok-Nutzer ausspionieren. Darüber müssten wir grundsätzlich diskutieren. Denn auch soziale Medien aus den Vereinigten Staaten gehen nicht gerade zimperlich mit der Privatsphäre ihrer Nutzer um. Kinder und Jugendliche interessiert die China-Frage überhaupt nicht. Die Sache aber, die mich dabei dennoch beschäftigt, ist: Wie politisch ist eigentlich das Unpolitische? Bewirkt oder bezweckt am Ende die reine Ablenkung sehr vieler Menschen – Stichworte Desinteresse und Politikmüdigkeit – vielleicht auch eine politische Destabilisierung durch Sedierung?
Gerade mit Jugendlichen können diese drei Problemkomplexe zu spannenden Gesprächen führen. Das gelingt immer dann am besten, wenn wir Erwachsenen wertungsfrei bleiben und über dem Dialog nicht das Damoklesschwert eines möglichen Verbotes schwebt.
Tipps zum Umgang mit Tiktok
Ist einmal ein Video online, kann es nicht mehr zurückgeholt werden.
Tiktok in den Einstellungen in den Modus «privat» setzen.
Im Begleitmodus, der dieses Jahr eingeführt wurde, dürfen Eltern die Nutzung regulieren.
Sprechen Sie mit Ihren Kindern über Kontakte zu Fremden und deren mögliche pädophile Absichten.
Deaktivieren Sie In-App-Käufe und sprechen Sie mit Ihren Kindern über «Geschenke».
Keine freizügigen Videos filmen.
Kontakt und Nachrichten nur für persönlich Bekannte zulassen.
Zum Autor:
Thomas Feibel 58, ist einer der führenden Journalisten zum Thema «Kinder und neue Medien» im deutschsprachigen Raum. Der Medienexperte leitet das Büro für Kindermedien in Berlin, hält Lesungen und Vorträge, veranstaltet Workshops und Seminare. Zuletzt erschien sein Elternratgeber «Jetzt pack doch mal das Handy weg» im Ullstein-Verlag. Feibel ist verheiratet und Vater von vier Kindern.
Mehr lesen von Thomas Feibel:
Brutale Spiele machen etwas mit der Seele des Kindes Wenn Kinder und Jugendliche Ego-Shooter spielen, machen sich Eltern meist Sorgen. Warum diese oft unbegründet sind, was es mit der sogenannten Angstlust auf sich hat und warum trotzdem Vorsicht geboten ist, weiss unser Kolumnist.
Kinderfotos sind privat Warum es keine gute Idee ist, Fotos von seinen Kindern zu posten, erklärt unser Medienexperte Thomas Feibel.
Wie Kinder auf Schleichwegen manipuliert werden Gezielte psychologische Beeinflussung gibt es im Netz wie in der Familie. Sie missachtet stets die Kinder und verhindert ihre freie Meinungsbildung.