Wie Kinder auf Schleichwegen manipuliert werden - Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi
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Wie Kinder auf Schleichwegen manipuliert werden

Lesedauer: 4 Minuten

Gezielte psychologische Beeinflussung gibt es im Netz wie in der Familie. Sie missachtet stets die Kinder und verhindert ihre freie Meinungsbildung.

Wie gross und weitreichend das Thema der Manipulation ist, wurde mir jüngst bei einem Workshop mit einer Schulklasse vor Augen geführt. Ich hatte die Jugendlichen dazu aufgefordert, offen über ihre Erfahrungen mit Manipulation zu sprechen. Als Medienexperte wollte ich auf die heimtückischen Tricks im Internet hinaus.

«Meine Mutter», meldete sich ein 17-Jähriger freimütig zu Wort, «sagt immer: Du kannst natürlich tun, was du willst, aber du weisst, wie ich darüber denke.» 
Das ist schon eine sehr bemerkenswerte Aussage. Auf den ersten Blick lässt ihm die Mutter die freie Entscheidung, um sie dann auf der emotionalen Ebene so aufzuladen, dass letztlich eine freie Entscheidung nicht mehr möglich ist. 
Ganz gleich, ob wir emotionalisieren oder übertrieben loben, Manipulation gehört in den meisten Familien zum Alltag und ist keine reine Netzproblematik. Manipula­tion macht viele Prozesse einfacher und bequemer, ist aber immer falsch. Wir hintergehen auf diese Weise das Kind, weil wir es auf Schleichwegen zu etwas bringen, das es eigentlich gar nicht will.

Wir sind als Eltern gefordert, zusammen mit den Kindern die Methoden der Manipulation zu entlarven. 

Kein Zweifel, Kinder müssen auch lernen, unliebsame Dinge zu erledigen. Aber das muss dann klar ausgesprochen sein. Manipulation verhindert die freie Meinungsbildung und ist damit stets eine Missachtung des Kindes. 
Selbstverständlich versuchen Kinder auch, ihre Eltern zu manipulieren. Kein Wunder, sie lernen schnell, diese mit den eigenen Waffen zu schlagen. Im Netz gelingt das nicht.

Influencer tragen die Manipulation schon im Namen

Influencer stehen immer wieder stark in der Kritik, weil sie auf subtile Weise das Kaufverhalten von Kindern und Jugendlichen beeinflussen. Aber wieso eigentlich subtil? Der Begriff «Influencer» zeigt doch deutlich, dass der Name, Beeinflusser, auch Programm ist. Er ist so eindeutig wie Werbung eben Werbung ist. Youtuber und Influencer sind jedoch persönlicher als reine Reklame. Mit ihnen fällt die Identifikation leichter, weil sie ihre Zielgruppe durch eine kumpelhafte Art erreichen und diese die Empfehlung eines Idols eher annimmt.
Auch die Entwickler von Games haben einen Weg gefunden, ihre Zielgruppe zu manipulieren und ihr mehr Geld aus der Tasche zu ziehen. Etwa mit Bezahlsystemen wie den In-App-Käufen: Das Grundspiel ist gratis, weitere Elemente müssen bezahlt werden. Im kostenlosen «Fortnite Battle Royal» muss niemand Geld ausgeben, um voranzukommen. Und keiner muss Skins kaufen, die nur eine individuelle Gestaltung der Spielfigur ermöglichen. Trotzdem macht Epic Games genau damit Umsatz in Milliardenhöhe und arbeitet schon in der Konzeptionsphase mit Kognitionspsychologen zusammen. Sie sind unter anderem dafür zuständig, dass die Spieler zufrieden sind, denn nur dann kehren sie immer wieder zurück und sorgen für Umsatz. Das Motiv für den Kauf erklärte mir ein Zwölfjähriger in einem Workshop so: «Lasse ich meine Figur, wie sie ist, dann machen sich meine Freunde über mich lustig.»

In Corona-Zeiten boomt die ­Desinformation

Kinder und Jugendliche lesen selten Zeitung, meist informieren sie sich über das Internet und soziale ­Medien. Nicht selten sitzen sie Falsch­nachrichten auf. Leider sind auch Erwachsene gegen diese Form der Desinformation nicht gefeit. Gerade in diesen schwierigen ­Corona-Zeiten werden aus Verschwörungsmücken durch ungeprüftes Liken und Weiterleiten schnell Verschwörungselefanten. Wenn wir nicht mehr wissen, was wir glauben sollen, dann haben die sogenannten Fake News ihr Ziel erreicht: Destabilisierung und Spaltung. Verschiedene psychologische Techniken unterstützen das, weil sie unbewusste Areale des menschlichen Gehirns ansprechen. 
So funktionieren die gängigsten Online-Manipulationstechniken:

  • Framing bedeutet, Worten durch ihre Auswahl eine bestimmte Bedeutung zuzuordnen. Diese Methode wird häufig in der Politik angewandt, um die Botschaft auf eine kurze und griffige Formel zu reduzieren. Wenn also von «Flüchtlingswelle» gesprochen wird, assoziiert das Gehirn den Begriff mit etwas Negativem. So wie es auch einen Unterschied macht, ob von einem «Investor» oder von einer «Heuschrecke» gesprochen wird. 
  • Priming ist eine psychologische Form der Manipulation, bei der das Gegenüber durch sprachliche Reize beeinflusst wird, ohne es zu merken. Die Methode greift im Gehirn auf Gerüche, Geräusche, Erlebnisse und Gefühle zurück. Ein Beispiel, das ich gerne in Workshops anwende, ist ein alter Kinderwitz. Machen Sie selbst den Test: Lassen Sie Ihr Kind zehnmal hintereinander «weiss» sagen. Fragen Sie dann: «Was trinkt eine Kuh?» Sie trinkt natürlich Wasser. Aber die Antwort lautet meistens «Milch.» So funktioniert Priming.
  • Mere-Exposure-Effekt: Kommt ebenfalls aus der Psychologie. Er bedeutet: Je öfter etwas wiederholt wird, desto positiver wird es vom Gehirn wahrgenommen. Viele wundern sich über die bizarren Aussagen von Donald Trump. Je bizarrer, desto mehr werden sie von den Nachrichten aufgegriffen. Dabei ist es gleich, ob seine Aussagen wahr, unwahr oder lächerlich sind. Denn unterbewusst wird Trump seinen Wählern auf diese Weise immer vertrauter. 

All diese Methoden sind nur dazu geschaffen, den Blick der Menschen auf die Realität zu verschleiern, um sie zu manipulieren. Hinzu kommt noch ein weiterer Effekt: Viele Webseiten oder soziale Medien versuchen, aufgrund der Informationen, die sie über den einzelnen User haben, sein Verhalten vorauszusagen. Beim nächsten Besuch liefern sie ihm dann nur jene Informationen, die seine Einstellung bestätigen. Andere Standpunkte filtern sie heraus. So entsteht eine «Filterblase», in der der Nutzer den Bezug zur Realität verliert.
Wenn Kinder und Jugendliche einer solchen Manipulation unterliegen, haben sie keine Chance, sich eine klare Meinung zu bilden und die Realität zu erkennen. Wer aber nicht lernt, sich mit anderen Standpunkten auseinanderzusetzen, weil er diese nicht wirklich erlebt, wird auch niemals argumentieren können. Doch ohne freie Meinungsbildung und Argumentationsfähigkeit gibt es keine Demokratie.

Deshalb sind wir als Erwachsene gefordert, Kinder und Jugendliche dabei zu unterstützen, Informationen aus dem Netz kritisch zu hinterfragen und mit ihnen die Methoden der Manipulation zu entlarven. Beispiele im Netz gibt es genug.


So stärken Sie Ihre Kinder gegen Manipulation

  • Verzichten Sie möglichst auf jede Form der Manipulation Ihres Kindes: kein übertriebenes Lob, angedrohter Liebesentzug und Flunkern.
  • Suchen Sie beeinflussende Beispiele in verschiedenen Medien, etwa TV-Werbung, und sprechen Sie mit Ihrem Kind darüber.
  • Suchen Sie gemeinsam nach ­Beispielen ausgewogener ­Berichterstattung.
  • Lesen Sie mit Ihrem Kind «Des Kaisers neue Kleider» von Hans Christian Andersen und sprechen Sie mit ihm über den Plot.

Thomas Feibel
ist einer der führenden ­Journalisten zum Thema «Kinder und neue Medien» im deutschsprachigen Raum. Der Medienexperte leitet das Büro für Kindermedien in Berlin, hält Lesungen und Vorträge, veranstaltet Workshops und Seminare. Zuletzt erschien sein Elternratgeber «Jetzt pack doch mal das Handy weg» im Ullstein-Verlag. Feibel ist verheiratet und Vater von vier Kindern.

Alle Artikel von Thomas Feibel