Gehört Gamen auf den Lehrplan? - Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi
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Gehört Gamen auf den Lehrplan?

Lesedauer: 3 Minuten

Computergames – die Serie, Teil 3

Welchen Beitrag Videospiele in der Schule leisten können, hängt stark von den Lehrpersonen und der technischen Ausstattung ab. Und von den Games.

Für viele Eltern passen die beiden Begriffe «Computerspiele » und «Lernen» nicht so recht zusammen. Der kürzlich verstorbene Kinderarzt Remo Largo hielt das für ein Vorurteil und Missverständnis. «Wir Erwachsene finden Computerspiele unnütz, die Kinder – zu Recht – nicht. Sie müssen beim Spielen reagieren, kombinieren, schnell sein, schneller als andere – das sind durchaus sinnvolle Lernaufgaben. 

Jugendliche spielen nicht, weil sie Freude an Gewalt haben, sondern weil sie das Computerspiel herausfordert.» Damit beschreibt Remo Largo den Hauptnerv von Games: Die Motivation liegt allein in der Herausforderung und ihrer Bezwingung. 

Darum bleiben Kinder beim Gamen auch nach mehrmaligem Scheitern am Ball und zeigen in einer Art und Weise Biss, den sich manche Eltern für die schulischen Belange wünschen würden. Das Potenzial der Herausforderung nutzen inzwischen einige Lehrerinnen und Lehrer und setzen digitale Spiele im Unterricht ein. Das Stichwort dazu lautet Gamification.

Game-Elemente haben sich längst im Berufsleben etabliert

Grob zusammengefasst steht der Begriff Gamification für die Verknüpfung von spielerischen Komponenten mit einem spielfreien Umfeld. Der Einsatz typischer Spielelemente steigert die Motivation durch positiv erlebte Gefühle. Längst hat sich diese Gamifizierung im Berufsleben durchgesetzt und findet unter anderem in Marketing, Produktentwicklung oder Personalbeschaffung statt. Oder eben im Schulunterricht. 
 
«Gamification kann einen Mehrwert für den Unterricht bedeuten», schreibt die Pädagogische Hochschule Solothurn auf ihrer Homepage. «Klare Bestimmung der Ziele, Anpassung des Niveaus an Vorkenntnisse und Fähigkeiten der Schülerinnen und Schüler, kontinuierliche und individuelle Steigerung des Anforderungsniveaus sowie Bearbeitung komplexer Problemstellungen: Alles Prinzipien, die in vielen Games zum Tragen kommen, aber auch in der Schule etabliert sind und für den schulischen Lernerfolg als überdurchschnittlich wirksam gelten.» 

Ob der Einsatz von Games im Unterricht stattfindet, hängt stark vom jeweiligen Lehrkörper, der technischen Ausstattung und den Spielen ab. Besonders geeignet sind sogenannte Serious Games, die nicht allein der Unterhaltung dienen, sondern ihre Spieler mit einem ernsthaften Inhalt vertraut machen. Das mag zwar deutlich uncooler als «SuperMario» und «Fortnite» sein, aber das macht nichts. In diesem Genre gibt es eine vielfältige Auswahl zu Naturwissenschaft, Kultur, Politik und vielem mehr. 

Sinnvolle Inhalte 

Manche Angebote wie die wunderbare App «The Unstoppables» sensibilisieren im Umgang mit körperlich beeinträchtigten Menschen. Viele Angebote bilden einen guten Anknüpfungspunkt für Diskussionen. Dabei kann das Spektrum auch Aspekte der Medienkompetenz beinhalten oder den Fokus auf Berufe wie Game-Designer/-in, Programmierer/- in und Level-Designer/- in lenken. Ich hätte aber noch eine andere Idee. 

Wie wäre es, wenn Schülerinnen und Schüler gelegentlich ihre Lieblingsgames wie ein Buch in der Klasse vorstellen? Die Spielvorstellung muss einer logischen Gliederung folgen, die wichtigsten Fakten benennen, Handlung und Herausforderungen wiedergeben, einen Spielausschnitt zeigen, anschliessend die eigene Meinung deutlich machen. Von diesem Lerneffekt profitieren nicht nur die sonst eher Leseschwachen. Auch die Lehrkräfte erhalten so einen Einblick in die Lebenswelt ihrer Klasse und können ungeniert inhaltliche oder moralische Fragen stellen. Und letztlich: Computerspiele so in den Unterricht einzubinden, wäre Kindern gegenüber eine Wertschätzung.


«Sich mit Games auszukennen, gehört zum Allgemeinwissen der Medienbildung»

Peter Suter, Dozent für Medienbildung und Informatik an der Pädagogischen Hochschule Zürich, über Videospiele in der Lehrerbildung und im Schulalltag.

Herr Suter, welche Rolle spielen Games in der Aus- und Weiterbildung von Lehrpersonen?

Da Computergames Teil der Gesellschaft sind, ist es wichtig, dass Lehrerinnen und Lehrer eine Ahnung vom Lebensalltag ihrer Schülerinnen und Schüler vermittelt bekommen. Sich damit auszukennen, gehört zum Allgemeinwissen der Medienbildung. Ausserdem verfolgen wir auch selbst das Thema mit grossem Interesse, um herauszufinden, worin in einem Spiel Potenzial für die Schule stecken könnte.

Kann man mit Games lernen?

Das Thema Games ist ein viel zu breites Feld mit sehr unterschiedlichen Genres, um das klar zu beantworten. Gelernt werden unter anderem Koordination, Bewegung, Geschicklichkeit, Ausdauer, Konzentrationsfähigkeit und soziale Fähigkeiten wie zum Beispiel Verlierenkönnen. Die Qualität liegt dabei meiner Meinung nach darin, etwas zu lernen, das wertfrei ist und was man aus sich selbst heraus macht. Es geht um die Lust am Spiel und nicht darum, ein bestimmtes Lernziel zu erreichen. Wir befassen uns also weniger mit der Fachkompetenzebene, sondern eher mit überfachlichen Kompetenzen.

Was taugen Serious Games?

Bei Serious Games gibt es oft ein grosses Dilemma. Kurz gesagt: Je mehr «Serious», desto weniger «Game». Schülerinnen und Schüler durchschauen natürlich schnell, dass es in erster Linie nicht um das Spielen geht, sondern etwa um Mathematik. Spass machen kann das natürlich auch, wenn auch nur kurzfristig.

Erfahren Sie mit dem Thema Games grossen Zuspruch?

Das Interesse daran ist sehr durchwachsen und hängt von der Lehrperson ab. Aber mit dem Programmieren erhält das Thema in der Schweiz einen neuen Schub. In der Deutschschweiz ist Informatik als Wissenschaft ab dem Kindergarten ein fester Teil des integrierten Unterrichts geworden. Ab der 5. Klasse gibt es eine Wochenstunde dafür. Programmieren mit Scratch oder von Robotern und damit auch der Gameaspekt finden deshalb in der Schule immer mehr Akzeptanz.

Die Serie:

Kaum etwas hat auf Jugendliche eine so grosse Sog­wirkung wie Computerspiele. Worin liegen die Faszination und die Chancen? Welche Gefahren birgt das Zocken am Computer und wie schützen wir unsere Kinder davor? Alles, was Eltern übers Gamen wissen sollten, in einer sechsteiligen Serie.

Teil 1 Was wir über das Gamen wissen müssen

Teil 2 Welche Chancen bieten Games? 
Teil 3 Lernen mit Games
Teil 4 Wie gefährlich sind Games?
Teil 5 Welche Schutzmassnahmen gibt es bei Games?
Teil 6 Good Games, bad Games – diese Spiele können wir empfehlen

Hier lesen Sie alle Artikel der Serie


Zum Autor

Thomas Feibel ist einer der führenden Journalisten zum Thema Kinder und neue Medien im deutschsprachigen Raum. Er leitet das Büro für Kindermedien, hält Lesungen und Vorträge, veranstaltet Workshops und Seminare und schreibt Bücher zum Thema.  Lesen Sie das den Hauptartikel «Generation Smartphone».
Thomas Feibel 58, ist einer der führenden ­Journalisten zum Thema «Kinder und neue Medien» im deutschsprachigen Raum. Der Medienexperte leitet das Büro für Kindermedien in Berlin, hält Lesungen und Vorträge, veranstaltet Workshops und Seminare. Zuletzt erschien sein Elternratgeber «Jetzt pack doch mal das Handy weg» im Ullstein-Verlag. Feibel ist verheiratet und Vater von vier Kindern.