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Kinderfotos sind privat

Lesedauer: 4 Minuten

Warum es keine gute Idee ist, Fotos von seinen Kindern zu posten, erklärt unser Medienexperte Thomas Feibel.

Text: Thomas Feibel
Illustration: Petra Dufkova / Die Illustratoren

Ich habe es getan. Ich habe meine Tochter fotografiert und das Bild gepostet. Damals war sie 14 Jahre alt. In der Schule nahm sie am Projekt «Herausforderung» teil: Zwei oder mehr Schülerinnen und Schüler planten selbständig eine dreiwöchige Reise, traten sie an und mussten alle Probleme alleine bewältigen. Das Foto, das ich bei ihrer Abreise machte, zeigte sie nur von hinten. Mehr als ein riesiger Rucksack und zwei dünne Beine waren eigentlich nicht zu sehen.

Warum hatte ich das gepostet? Ich musste an diesem Tag lernen, loszulassen. Diesen bangen Moment wollte ich auf Facebook teilen und erhielt prompt viele Likes und aufmunternde Kommentare. Das Foto würde ich jederzeit wieder machen, aber nicht mehr posten – und ich erkläre gerne, warum.

Wozu posten wir überhaupt Fotos?

Soziale Netzwerke im Internet befriedigen die gleichen Bedürfnisse wie soziale Netzwerke im echten Leben. Sie erfüllen nämlich unseren urmenschlichen Wunsch nach Beziehung. Im Netz fällt das oft leichter, weil es dort gelingt, Menschen nah an sich heranzulassen und sie dabei gleichzeitig auf Distanz zu halten.

Soziale Netzwerke erlauben uns zudem, am Leben anderer Menschen teilzunehmen – obwohl das nie natürlich, sondern auch stets eine Inszenierung ist: Wir wollen bewusst etwas zeigen, und nicht nur bloss zeigen, sondern dabei auch die Kontrolle darüber behalten, was und wie wir es darstellen.

Wenn wir im Netz etwas posten, wollen wir eine Reaktion darauf, bestenfalls Applaus, um uns gut und bestätigt zu fühlen.

Das kann ein philosophischer Gedanke, eine politische Äusserung oder eben ein Kinderfoto sein. Ganz gleich, was es auch ist: Wir wollen eine Reaktion darauf, bestenfalls Applaus, um uns gut oder bestätigt zu fühlen.

Dabei verdrängen die meisten, dass jedes Posting immer auch verschiedene Ebenen hat: Was wir zu zeigen meinen, ist nicht zwangsläufig das, was andere darin sehen. Das gepostete Bild eines 13-Jährigen etwa, der beim Wettrennen gewonnen hat, mag auf Eltern mit einem übergewichtigen und unsportlichen Gleichaltrigen eine vollkommen andere Wirkung haben.

Auch Kinder haben ein Recht am eigenen Bild

Warum posten wir gedankenlos Bilder von Kindern? Ich habe die Frage mal bei einem Vortrag gestellt. Die Reaktionen fielen sehr verhalten aus. Nach kurzem, betretenen Schweigen meldete sich eine alleinerziehende Mutter zu Wort und gab unumwunden zu, dass ihr 8-jähriger Sohn der Mensch sei, mit dem sie die meiste Zeit verbringe.

Wäre sie mit dem Vater noch zusammen, könnten sie mit ihm gemeinsam schöne und lustige Momente erleben. «Ich poste, um diese Momente mit meinen Freunden zu teilen.» Wenn diese Mutter versucht, durch Öffentlichkeit ihrer gefühlten Einsamkeit zu entgehen, ist das nachvollziehbar, aber auch traurig. 

Manche Eltern posten Fotos ihrer Kinder, weil sie stolz sind: auf die Aufnahme, auf die Situation, auf das Kind oder auf sich selbst. 

Die Betreiber können mit unseren Fotos machen, was sie wollen

Dabei haben wir längst verdrängt, dass auch Kinder ein Persönlichkeitsrecht und das Recht am eigenen Bild besitzen. Das scheint allerdings schon lange keine Rolle mehr zu spielen, denn wer aktiv an sozialen Netzwerken teilnehmen möchte, muss durch das Annehmen der Nutzungsbedingungen umfangreiche Rechte ziehen lassen.

Die Betreiber können damit machen, was sie wollen, also unsere Fotos zum Beispiel für Werbekampagnen einsetzen. 

Wie gehen Eltern mit Kinderfotos am besten um? 5 Tipps

  1. Es spricht nichts gegen Fotos von Kindern und Jugendlichen. Es ist die Weitergabe, die es problematisch macht.
  2. Kinder und Jugendliche schauen sich gerne alte Bilder an, denn sie erkennen darauf ihr Wachstum und ihre Entwicklung.
  3. Whatsapp-Bilder an die Grosseltern zu schicken ist in Ordnung, besser wäre ein sicherer Messenger wie Threema oder Telegram.
  4. Geschlossene Gruppen der Familie in Facebook sind vertretbar, aber selbst wenn nicht alle anderen die Bilder sehen können, besitzt Facebook sie dennoch.
  5. Fotoalben sind immer noch eine Option, aber das Erstellen eigener Fotobücher ist ja mittlerweile kinderleicht und ein wunderbares Geschenk für Grosseltern. Digitale Bilderrahmen ebenso.

Ausserdem will sich kaum jemand ­eingestehen, dass fremde Nutzer unsere Bilder screenshoten und zu ­eigenen Zwecken missbrauchen könnten. Oder dass später künftige Arbeitgeber auf die unterschiedlichsten Aufnahmen ihrer Bewerber stossen.

Dieses Ausblenden ist alltäglicher Selbstschutz im Netz, denn ohne das Beiseiteschieben solcher Aspekte bliebe nur der Verzicht auf die bekanntesten Online-Angebote. In der «EU Kids Online: Schweiz 2019» sagen 13 Prozent der 11- bis 16-Jährigen, dass Eltern oder Betreuer Informationen online stellen, «ohne mich vorher zu fragen, ob ich einverstanden bin».

Das Netz vergisst nichts und die Kontrolle über unsere Inhalte darin haben wir schon lange verloren.

Davon haben wiederum 9 Prozent gebeten, diese Inhalte wieder zu löschen. Das klingt erst mal nach nicht viel. Aber geben diese Zahlen zwangsläufig die Realität wieder? Erstens merken nicht alle Kinder, ob, wann und welche Dinge von ihnen oder über sie bei Facebook oder Instagram erscheinen.

Zweitens treffen wir in Netzwerken, aber auch auf zahlreichen Elternblogger-Seiten überwiegend auf Aufnahmen von Babys, Klein- und Kindergartenkindern, die erst mal gar nichts davon mitbekommen. Einige Eltern verdienen sogar mit Online-Inszenierungen und der Vermarktung ihres Nachwuchses viel Geld.

Das Internet vergisst nichts

Meiner Meinung nach sind weitaus mehr Kinder und Jugendliche alles andere als begeistert, wenn wir Fotos von ihnen posten. Das bestätigen mir viele Schülerinnen und Schüler in meinen Workshops. Manche können es vielleicht nicht so gut formulieren, aber letztlich empfinden sie diesen Vorgang als übergriffig und wollen die Macht über sich und ihren Körper behalten. 

Einige Experten raten dazu, Kinder ab zwölf Jahren zu fragen, ob sie mit dem Posten von Bildern einverstanden sind. Ich halte das für wenig sinnvoll, denn Kinder und Jugendliche können die Problematik nicht wie Erwachsene in ihrer ganzen Tragweite erfassen. Und was soll geschehen, wenn sie sich eines Tages anders entscheiden und uns auffordern, diese Bilder zu löschen? Das wird dann sehr schwierig. Das Netz vergisst nichts und die Kontrolle über unsere Inhalte darin haben wir schon lange verloren.

Profilieren Sie sich im Netz nicht auf Kosten Ihrer Kinder

Kinderbilder gehören nicht ins Netz, sondern zur Privatsphäre des Kindes. Es ist vor allem eine Frage des Respekts. Natürlich können auch weiterhin Fotos gezielt an Verwandte und Freunde geschickt werden, nur das Profilieren in der grossen Netzgemeinde auf Kosten der eigenen Kinder sollte unterbleiben.

Ausserdem hat das ständige Posten von Bildern einen weiteren Nebeneffekt: Es führt dazu, dass wir Momente nicht mehr erleben, ohne dass sie der Regisseur in unserem Kopf auf ihre mögliche Verwertbarkeit in sozialen Medien prüft. Dies würde dann bedeuten, dass sich unsere Aufmerksamkeit verschiebt und wir uns zu Chronisten degradieren.

Thomas Feibel
ist einer der führenden ­Journalisten zum Thema «Kinder und neue Medien» im deutschsprachigen Raum. Der Medienexperte leitet das Büro für Kindermedien in Berlin, hält Lesungen und Vorträge, veranstaltet Workshops und Seminare. Zuletzt erschien sein Elternratgeber «Jetzt pack doch mal das Handy weg» im Ullstein-Verlag. Feibel ist verheiratet und Vater von vier Kindern.

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