Herr Markowetz, warum hängen wir ständig am Handy? -
Merken
Drucken

Herr Markowetz, warum hängen wir ständig am Handy?

Lesedauer: 7 Minuten

Der Buchautor Alexander Markowetz über die Gefahren unseres dauerhaften Smartphonekonsums und warum es nicht nur für Jugendliche so schwierig ist, diesen einzudämmen.

Interview: Bianca Fritz
Bild: zVg

Herr Markowetz, laut Ihrer Forschung schauen wir im Schnitt 88 mal am Tag auf unser Smartphone. Ist das denn so schlimm?

Damit haben Sie die höhere Zahl genannt – wenn man die Male abzieht, bei denen man das Handy nur kurz entsperrt, um beispielsweise auf die Uhr zu schauen, sind wir bei 53. Nicht die Dauer der Smartphonenutzung ist das Problem. Es sind die ständigen Unterbrechungen in unserem Alltag, die ihn zerstückeln und damit dafür sorgen, dass wir nicht mehr länger an einer Sache bleiben. Wir verlernen, uns einer Sache ganz zu widmen.

Das klingt dramatisch. Als würden wir alle an ADHS erkranken.

Mich interessiert nicht nur die Spitze, sondern vor allem der Eisberg. Also was der Smartphonekonsum für die Mehrheit der Menschen bedeutet. Dass wir immer nur auf Krankheiten und Süchte schauen, hängt sicher mit unserem Gesundheitssystem zusammen. Aber spannend ist doch, dass dieser fragmentierte Alltag uns alle betrifft. Aus Sicht von Volkswirtschaft und Volksgesundheit ist die Menge der zerstreuten, aber gesunden Nutzer deutlich dramatischer als die wenigen Prozent, die krank werden.

Dass wir unterbrochen werden, ist aber doch nichts Neues.

Richtig, neu ist lediglich die Dimension der ständigen Unterbrechung durch das Smartphone. Das liegt an dem dauernden Zugang zu Zerstreuung und Kommunikation. Solange eine SMS noch 19 Cent gekostet hat, hat uns das davon abgehalten, ständig Nachrichten zu schreiben. Heute sind Nachrichten mit WhatsApp und Co. kostenlos.

Ich hatte als Student einen grossen Vorteil: Mein PC hatte ein Kabel. Wenn ich das Haus verlassen habe, war ich offline. Zwangsläufig und für mehrere Stunden.

Ich habe Informatik studiert und vermutlich waren nur 10 Prozent der Zeit, die ich am Computer und im Internet verbracht habe, wirklich für mein Studium nötig. Aber ich hatte einen grossen Vorteil: Mein PC hatte ein Kabel. Wenn ich das Haus verlassen habe, war ich offline. Zwangsläufig und für mehrere Stunden.

Das kann sich ein heute 16-Jähriger vermutlich gar nicht mehr vorstellen. Wie unterscheidet sich die Smartphonenutzung der Jugendlichen von jener der Erwachsenen? 

Sie sind im Schnitt häufiger und länger online. Und das obwohl sie ja in der Schule eine Zwangspause haben. Das macht mir ein bisschen Angst. Was passiert, wenn diese Jugendlichen an die Uni kommen? Wie schnell können sie ihre Selbstregulierung aufbauen, sich selbst wieder Offline-Zeiten verordnen? Eine Intervention durch Eltern ist da sehr schwierig. Wir dürfen nicht vergessen: Smartphones sind nicht einfach nur Statussymbole, sondern Netzwerk und Kommunikation.

Alexander Markowetz studierte in Marburg und New York. Seit 2009 ist er Juniorprofessor für Informatik an der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität in Bonn, wo er das Verhalten von 300.000 Smartphonenutzern untersucht. Erste Ergebnisse führten zu seinem Buch: Digitaler Burnout. Warum unsere permanente Smartphone-Nutzung gefährlich ist. (Droemer, 2015. 224 Seiten, rund 25 Franken) Bild: zVg
Alexander Markowetz studierte in Marburg und New York. Seit 2009 ist er Juniorprofessor für Informatik an der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität in Bonn, wo er das Verhalten von 300.000 Smartphonenutzern untersucht. Erste Ergebnisse führten zu seinem Buch: Digitaler Burnout. Warum unsere permanente Smartphone-Nutzung gefährlich ist. (Droemer, 2015. 224 Seiten, rund 25 Franken) Bild: zVg

Oder anders gesagt: Wer keine Markenturnschuhe trägt, kann trotzdem auf dem Schulhof mitreden – er ist halt nur nicht so cool. Wer kein Smartphone und kein WhatsApp hat, der ist gar nicht auf dem Schulplatz präsent. Smartphones sind der Schulplatz! Einem Einzelnen die Kommunikation via Smartphone zu verbieten, wäre genauso grausam, wie ihn in ein Klassenzimmer einzusperren, während die anderen draussen spielen. Und ihm auch noch zu sagen: «Du bist aber stärker als die!»

Also sind Eltern dem Smartphonewahnsinn hilflos ausgeliefert? Einfach, weil es alle machen?

Nein, aber die übermässige Smartphonenutzung ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Daher kann man sie auch nur in Gruppen angehen. In Firmen mit einer bestimmten Politik der Nichterreichbarkeit. In den Medien durch Aufklärung. Oder eben auch in Schulen. Zum Beispiel könnte beim Elternabend im Klassenverband abgesprochen werden, dass alle Eltern abends um 20 Uhr die Handys ihrer Kinder einkassieren. Dann wird der, der nachts um 2 Uhr nicht mehr im Klassenchat sein darf, kein Aussenseiter.

Es gibt einfach keinen nächtlichen Klassenchat. Und im Unterricht müssen wir darüber sprechen, warum Offline- Zeiten wichtig sind. Genau so wie uns in den 80ern der Umweltschutz immer wieder gepredigt wurde. Heute ist es für mich einfach normal, dass ich zum Beispiel meinen Müll in bis zu sechs verschiedene Eimer werfe – es ist mir ins Blut übergegangen.

Aber Sie schreiben ja selbst, dass es nicht so einfach ist, den süchtig machenden Mechanismen des Smartphones zu widerstehen.

Ja, da ist zum Beispiel der Dopamineffekt. Ich klicke, um nachzusehen, ob eine Nachricht da ist. Die Überraschung löst eine Dopaminausschüttung aus. Wenn keine Nachricht da ist, dann ja vielleicht beim nächsten Mal. Dieser Dopaminausstoss macht süchtig. Und sorgt dafür, dass wir ständig Mails oder Nachrichten checken. Zudem können wir beim Checken unseres Telefons eine unmittelbare Belohnung erwarten. Die Katzenvideos auf Youtube sind immer da!

Wenn wir uns länger auf eine Aufgabe konzentrieren müssen, zum Beispiel die Hausaufgaben, deren Belohnung in weiter Ferne liegt, ist das sehr viel schwieriger. Und ausserdem – und das erscheint mir ganz besonders wichtig – greifen wir ja keineswegs immer bewusst zum Telefon. Wir halten uns für so schlau und reflektiert, aber zu 95 Prozent sind wir doch einfach dressierte Äffchen – wir handeln aus Gewohnheit.

Und wie kommen wir aus eingefahrenen Gewohnheiten wieder heraus?

Dafür müssen wir die eigenen Gewohnheiten austricksen. Das ist nicht über die rationale Ebene möglich, nicht über Argumente. Wir müssen Gewohnheiten brechen oder durch gesündere ersetzen. Dazu gibt es derzeit keine erwiesenen Ratschläge. Vielmehr versucht eine ganze Nation derzeit, sich selber zu entwöhnen. Dabei kristallisieren sich verschiedene Tricks heraus. Regel Nummer 1: kein Smartphone im Schlafzimmer. Mir geht es dabei weniger um das blaue Licht, das ja beim Einschlafen stören soll, sondern vor allem ums Aufwachen.

Wenn wir müde und gestresst oder eben noch nicht ganz wach sind, verfallen wir besonders schnell in eingefahrene Muster. Wie schnell sind die ersten 15 Minuten des Tages vergangen, wenn wir nur auf unserem Handy herumgedrückt haben? Und wie wertvoll und kreativ könnte diese Zeit sein, in der wir so eng mit unserem Unterbewusstsein verbunden sind? Regel Nummer 2: Unmittelbarkeit der Belohnung verhindern und das Handy zum Beispiel tief im Rucksack verstauen, damit man kramen muss, bevor man klicken darf.

Haben Sie noch weitere Tipps?

Das Handy darf nur auf einem einzigen – sehr unbequemen – Stuhl benutzt werden. Oder eine App verzögert den Start bestimmter Apps, damit ich mir in der Zwischenzeit wirklich überlegen kann, ob das jetzt nötig ist. Wenn es mühsam ist, unser Handy zu checken, haben wir gute Chancen, es tatsächlich seltener zu tun. Und kaufen Sie sich und Ihren Kindern eine Armbanduhr. Wer jedes Mal aufs Handy sieht, wenn er die Uhrzeit wissen möchte, hat es in der Hand und beginnt zu surfen.

Aber all das ist ja nur Selbstregulierung und hilft nichts dagegen, dass die beste Freundin oder später auch der Chef einen ständig erreichen will.

Was die Kommunikation angeht, gilt bei den meisten Menschen die 20-zu-80 Regel. Etwa 5 Menschen machen rund 80 Prozent der eingehenden Nachrichten aus. Bei Teenagermädchen ist es sogar so, dass die beste Freundin alleine 80 Prozent bestreitet. Also reden Sie doch mit diesen Menschen und machen Sie neue Regeln mit ihnen aus. Informieren Sie sie zum Beispiel, dass Sie nur noch drei Mal am Tag auf Whats-App schauen. Oder schlagen Sie Ihrer Tochter vor, drei Stunden am Stück mit ihrer besten Freundin zu telefonieren.

Das klingt nach absurd viel Zeit.

Aber sie hat dann noch etwa 12 weitere wache Stunden, um sich ununterbrochenanderen Dingen zu widmen. Vielleicht liegt die tatsächliche WhatsApp-Zeit der Tochter mit der Freundin bei «nur» zwei Stunden – allerdings machen diese zwei Stunden eben den ganzen Tag kaputt, weil sie ihn zerstückeln und die Aufmerksamkeit von anderen Tätigkeiten und Gedanken abziehen. Wenn Sie mit Ihrem engsten Kreis über Ihre Smartphonenutzung sprechen, können Sie Ihre Unterbrechungen um bis zu 40 Prozent reduzieren!

Und der Rest ist Selbstaustricksung bzw. Beherrschung. Seit ich Ihr Buch gelesen habe, ermahnt mich ein kleiner Mönch via App, wenn ich mein Handy einschalte. Ich muss aktiv klicken: «Ja, ich weiss, was ich tue!» Ausserdem zählt er meine Entsperrungen pro Tag. Das hat eine Zeit lang gut funktioniert. Jetzt nehme ich nicht einmal mehr wahr, was da steht, und klicke die App einfach weg.

Die Idee an sich ist gut: Der Mönch zwingt zum Reflektieren und unterbricht die Unmittelbarkeit. Aber wirklich über seine Frage nachdenken wird man wohl nur 100 Mal, und beim 101. Mal ist das Wegklicken dann ein Automatismus. Der Mechanismus hinter der Mönch-App ist zu simpel. Wir testen derzeit eine App, bei der man vor dem Entsperren kleine Rätsel lösen muss. Das funktioniert etwas besser. Aber wir dürfen nicht vergessen: Wir sind alle noch am Ausprobieren!

Wir müssen unsere Gewohnheiten brechen – und durch neue, gesündere ersetzen!

Das ultimative Mittel gegen den Handykonsum ist also noch nicht gefunden.

Wir leben in einer Gesellschaft des Zuviel und haben noch nicht gelernt, uns zu beschränken. Ich denke, dass immer mehr Menschen Tipps austauschen und ausprobieren müssen, um ihren Handykonsum einzudämmen. Das ist nicht anders als beim Rauchen oder beim übermässigen Essen. Wir müssen erst lernen, uns zu beschränken. Dabei wird der eine Tipp besser funktionieren, der andere schlechter. Und sicher nicht jeder bei jedem. Warum nicht auch mal die Kinder fragen?

Die haben ja manchmal die kreativeren Ideen als ihre Eltern.

Oder die dümmeren. Aber dann hatte man zumindest ein lustiges Gespräch.

Zum Schluss die unvermeidliche persönliche Frage: Wie steht es um Ihren Handykonsum?

Es wird besser. In der Kommunikation bin ich schon viel zurückhaltender geworden. Ich überlege zunächst, ob etwas noch warten kann oder ob ich jetzt wirklich einen WhatsApp-Piepton bei meiner Kollegin auslösen muss. Aber in der Selbstregulierung bin ich genauso schlecht wie alle anderen. Dabei habe ich schon einige Jahre Vorsprung in der Reflexion, weil ich schon früh gemerkt habe, wie unglücklich und unproduktiv ich oft in meinen Laptop gestarrt habe. Das hat mich dazu geführt, über den Mediengebrauch zu forschen. Ich bin der Saulus, der zum Paulus werden möchte.

Die unvollständige Tipp-Liste gegen den übermässigen Smartphonegebrauch
  • Kein Handy im Schlafzimmer.
  • Smartphonebenutzung nur auf unbequemen Stühlen.
  • Das Handy ganz unten im Rucksack verstauen.
  • Eine Armbanduhr kaufen.
  • Apps, die Gewohnheiten aufzeichnen und die Unmittelbarkeit unterbrechen, installieren.
  • Ihre Kinder fragen, was sie davon abhalten würde, das Handy zu benutzen.
  • Alternativen bieten! Erlebnisse draussen und in der Familie ohne Smartphone einplanen.
  • Mit den fünf wichtigsten WhatsApp-Kontakten Regeln und Offline-Zeiten vereinbaren.

Die Liste an Tipps, wie man mit Smartphone­gewohnheiten brechen könnte, ist lang und sieht bei jedem anders aus. Welche Ideen haben Sie? Kommentieren Sie diesen Artikel auf oder schreiben Sie uns: redaktion@fritzundfraenzi.ch

Bianca Fritz
Bianca Fritz ist freie Autorin und berät Selbständige und kleine Unternehmen in ihrem Social Media Marketing. Ein Gebiet, das besonders viel Selbstdisziplin und Achtsamkeit braucht.

Alle Artikel von Bianca Fritz