Funktioniert Multitasking? - Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi
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Funktioniert Multitasking?

Lesedauer: 3 Minuten

Telefonieren beim Kochen, vor dem Fernseher Hausaufgaben machen oder Musik hören und nachdenken – wir betreiben ständig Multitasking. Zumindest glauben wir das. Simultan ausgeführte Tätigkeiten führen aber zu erheblichen Konzentrations- und Leistungsverlusten. Und besonders bei Kindern auch zu Kopfschmerzen und Frust. Glauben Sie nicht? Wir haben hier einen Multitasking-Test für Sie.

Es ist Zeit für Hausaufgaben. Der Sohn sitzt an seinem Schreibtisch, hat den Stift in der Hand und scheint zu rechnen. Doch andauernd piept sein Smartphone, er tauscht Stift gegen Handy und antwortet seinen Freunden. Das gut gemeinte «So kannst du dich nicht konzentrieren» will er nicht hören, und versichert: «Ich kann doch Multitasking.»

Gut möglich, dass er davon überzeugt ist – immerhin wird ihm dieses Multitasking überall vorgelebt. Meistens ist es eine bestimmte Art von Medienkonsum, dem die Erwachsenen scheinbar nebenher nachgehen. Doch Kinder und Jugendliche sind sehr leicht ablenkbar. Das liegt daran, dass ihr Frontalkortex noch nicht voll ausgebildet ist. Dieser Bereich des Gehirns ist unter anderem dafür zuständig, verschiedene Ziele zu koordinieren und die eigene Handlung zu planen. Der Frontalkortex erreicht im Schnitt erst bei 18-Jährigen seine volle Grösse. Bis das jugendliche Gehirn gelernt hat, die Aufmerksamkeit zu fokussieren, braucht es viel Übung und wenig Ablenkung. Das heisst, auch wenn es der Nachwuchs nicht gerne hört: Beim Lernen den Fernseher und das Radio ausmachen und das Handy ausser Reichweite legen. Manche Experten raten sogar, dass man 30 Minuten vor und nach den Hausaufgaben keine Medien bedienen sollte: «Das Gehirn braucht Zeit, damit das Gelernte gespeichert werden kann», heisst es bei der Aufgabenhilfe der Stadt Zürich.

Alles, aber nichts richtig

Ob es möglich ist, Dinge simultan zu erledigen, hängt auch von der Art der Aufgaben ab. Routineaufgaben lassen sich recht gut kombinieren. Während des Bügelns zu telefonieren, funktioniert beispielsweise problemlos, auch beim Musikhören können viele ihren Gedanken freien Lauf lassen.

Neurologisch gesehen gibt es allerdings kein Multitasking. Das Gehirn kann sich nur auf eine, maximal zwei Tätigkeiten gleichzeitig konzentrieren. «Wir haben nur 100 Prozent Hirnkapazität. Wenn wir diese auf verschiedene Aufgaben aufteilen, haben wir zwangsläufig für jede Aufgabe weniger Kapazität», sagt Lutz Jäncke, Professor für Neuropsychologie an der Universität Zürich. Wenn Aufgaben hingegen hintereinander erledigt würden, hätten wir im Idealfall 100 Prozent Hirnkapazität für jede Aufgabe. Beim Multitasking springt unsere Aufmerksamkeit zwischen verschiedenen Tätigkeiten hin und her, was die Qualität der Tätigkeiten zusätzlich schmälert. Denn das ständige Switchen zwischen den Aufgaben ist anstrengend. «Wenn wir eine Lampe von einer Seite auf die andere schieben, braucht das ja Energie – genau so ist es, wenn Sie die Aufmerksamkeit von einer auf die andere Sache lenken», erklärt Jäncke.

Zudem müsse man die Reize, die von der jeweils anderen Aufgabe ausgehen, unterdrücken. Eine Studie der Stanford University testete Multitasker darauf, was sie besser können als andere. Das Ergebnis war ernüchternd: Jene Probanden, die überdurchschnittlich viele Medien gleichzeitig konsumieren, sind unkonzentriert und lassen sich leichter ablenken.

Multitasking ist ein Stressfaktor

Doch nicht nur ein Leistungsabfall ist erkennbar, Multitasking sorgt für Stress, besonders bei Kindern und Jugendlichen. «Unter Multitasking-Bedingungen kann es zur erhöhten Ausschüttung von Stresshormonen kommen, die sich negativ aufs Lernen und auf die Gesundheit auswirken», sagt Kerstin Konrad von der Rheinisch-Westfälischen Technischen Hochschule Aachen. Sie hat sich auf dem Gebiet der Neuropsychologie im Kinder- und Jugendalter spezialisiert. Die Wissenschaftlerin beobachtet, dass Kinder und Jugendliche weniger echte soziale Interaktionen haben als frühere Generationen und stattdessen mehr Zeit isoliert vor Fernseher, Spielekonsole oder Computer verbringen. «Normale» soziale Aktivitäten und Bewegungen an der frischen Luft würden aber sehr viel mehr zur Entwicklung von Kindern und Jugendlichen beitragen als multimediales Multitasking.

Kindern wird das pausenlose Multitasking von ihren Eltern vorgelebt. Schon beim Frühstück checken viele ihre E-Mails auf dem Smartphone, denn sie haben das Gefühl, immer erreichbar und informiert sein zu müssen. Während des Fernsehens werden WhatsApp-Nachrichten und SMS verschickt. Und Schulaufführungen werden schon lange nicht mehr mit ganzem Stolz genossen, sondern filmisch für die Ewigkeit festgehalten. Wenn Eltern ihren Kindern beibringen möchten, sich auf eine Sache zu konzentrieren, müssen sie es ihnen vorleben. Und sie an einen altersangemessenen Rhythmus zwischen Aufgabenerledigung und Pausen mit und ohne Medien heranführen.


Der Multitasking-Test

Wie schlecht Multitasking funktioniert, können Sie allein oder mit ihren Kindern testen. Schreiben Sie den Satz «Multitasking ist eine Lüge» von Hand auf ein Stück Papier auf und nummerieren sie die Buchstaben darunter. Klingt einfach? Aber wir machen es im Multitasking: Sie schreiben immer zuerst den Buchstaben, dann die Zahl und erst dann den nächsten Buchstaben. Also «M», darunter die «1», «u» darunter die «2» und so weiter. Und das ganze so schnell wie möglich – am besten stoppen Sie die Zeit.

Wie viele Fehler haben Sie gemacht und wie lange gebraucht?

Probieren Sie das Ganze zum Vergleich noch einmal ohne Multitasking: Also erst den Satz ausschreiben, dann die Zahlen darunter. Wie sieht Ihr Ergebnis jetzt aus?


Wie lange können sich Kinder konzentrieren?

Die durchschnittliche Aufmerksamkeitsspanne bei Fünf- bis Siebenjährigen liegt bei 15 Minuten. Sieben- bis Zehnjährige können sich 20 Minuten am Stück konzentrieren, Zehn- bis Zwölfjährige 20 bis 25 Minuten, und bei den Zwölf- bis Sechszehnjährigen sind es 30 Minuten. Allerdings schwankt die Aufmerksamkeit bei Kindern und in der Pubertät leidet die Konzentrationsfähigkeit.

Wie oft sollte man Pause machen?

Das Gehirn braucht Pausen, in denen neues Wissen vom Kurzzeitins Langzeitgedächtnis übertragen werden kann. «Reizarme Phasen sind eine notwendige Voraussetzung für alles Lernen», sagt der deutsche Hirnforscher Gerhard Roth. Zu Beginn eines Hausaufgaben- oder Lernmittags reichen bereits fünf Minuten Pause aus. Gegen Ende hin dürfen es auch zehn Minuten sein. Längere Pausen sind kontraproduktiv, weil es Kindern dann schwerfällt, sich wieder auf die Aufgabe einzulassen.

Martina Proprenter ist freie Journalistin für deutsche und Schweizer Medien und glaubt an Multitasking, auch wenn ihr Kaffee beim Autofahren öfters mal auf dem Shirt landet.
Martina Proprenter ist freie Journalistin für deutsche und Schweizer Medien und glaubt an Multitasking, auch wenn ihr Kaffee beim Autofahren öfters mal auf dem Shirt landet.