Ist mein Kind fit für die Berufswelt? - Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi
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Ist mein Kind fit für die Berufswelt?

Lesedauer: 3 Minuten

Vielen Jugendlichen fehle es heute an Umgangsformen und Durchhaltevermögen, beklagen Ausbilder. Dies hängt nicht zuletzt mit ihrer mangelnden Medienkompetenz zusammen, sagt unser Kolumnist. 

Die heutige, internet­affine Jugend ist bestens auf die digitale Berufswelt vorbereitet – so könnte man meinen. Dass dem nicht so ist, bekomme ich während meiner ­Vorträge auf Ausbildungskongressen regelmässig bestätigt.

Beschränkte sich ihr Schulalltag weitestgehend auf Zuhören, Lernen und Prüfungenschreiben, treten Jugendliche mit dem Beginn einer Ausbildung in eine neue Welt ein. Der Arbeitstag umfasst mehr als acht Stunden und wird nicht mehr in derselben Häufigkeit durch Pausen unterbrochen; auf Pünktlichkeit, gute Umgangsformen und gepflegtes Äusseres wird viel mehr Wert gelegt als in der Schule; und während Engagement und Fleiss im Unterricht eher punktuell eingefordert wurden, ist diesbezüglich im Ausbildungsbetrieb Kontinuität gefragt. 

Viele Jugendliche haben heute eine eingeschränkte Kontakt- und Konzentrationsfähigkeit.

Dies alles ist anstrengend, ungewohnt und bedeutet im Leben junger Menschen eine grosse Umstellung. Insbesondere auch deswegen, weil viele Jugendliche zwar eine Ausbildung beginnen, aber trotzdem unsicher sind, ob sie die richtige Branche gewählt haben. Das ist erst einmal nichts Neues. Im Internetzeitalter sind diese Zweifel jedoch besonders gross, da einem im Netz ständig eine Vielzahl an Möglichkeiten vor Augen geführt werden.

Jugendliche sind heute ­unselbständiger

Ausbilder treffen auf junge Menschen, die sich anders verhalten als Generationen vor ihnen, da sie sehr viel Zeit im Internet beziehungsweise in den sozialen Medien verbringen. Dort holen sie sich ihre Informationen, dort kommunizieren sie. Der deutsche Sozialwissenschaftler und Universitätsprofessor Klaus Hurrelmann schätzt die digitalen Fähigkeiten dieser Generation, sieht aber auch ihre Defizite.

So seien Angehörige dieser Generation zwar sehr selbstbewusst, stellte er in der deutschen Wochenzeitung «Die Zeit» fest, aber unselbständig. «Diese jungen Leute haben eine ­eingeschränkte Konzentrations­fähigkeit, Ausdauer und Kontakt­fähigkeit. Viele sind schnell abgelenkt und sich durch virtuelle Umgangsformen nicht mehr gewohnt, sich in realen sozialen Situationen angemessen zu verhalten.» Ein konkretes Beispiel dazu ­lieferte mir kürzlich eine Mutter an einem meiner Vorträge. Ihre ­17-jährige Tochter hätte beinahe ihren Schülerjob verloren, weil ihre Teamleiterin sich über deren «arrogante Nachrichten» geärgert hatte. Dabei war der Text – «Wann soll ich morgen da sein?» – nicht herablassend, sondern nur platt und unhöflich. Es fehlte eine freundliche Anrede- beziehungsweise Abschiedsformel. Das Mädchen hatte mit ihrer Chefin wie mit einer Freundin kommuniziert. 

Kinder entwickeln kein Bewusstsein für Gefahren

Kinder und Jugendliche werden meist nicht an den Gebrauch eines Smartphones herangeführt beziehungsweise von ihren Eltern begleitet. Auch in der Schule geschieht diesbezüglich nicht genug. Im ­letzten Jahr stellte Andreas Wieland, Geschäftsführer des medizintechnischen Konzerns Hamilton, gegenüber SRF fest, dass es einen grossen Graben gäbe «zwischen den digitalen Kompetenzen, die wir im Unternehmen brauchen, und dem, was im Informatik­unterricht an Schulen vermittelt wird».

Und so fürchtet der Internet-Investor Klaus Hommels, dass Kinder ihre Jugendzeit mit nutzlosen Angeboten verschwenden. In einer Rede auf der NOAH Conference für Führungskräfte in London hatte Hommels errechnet, dass Kinder und Jugendliche im Durchschnitt sieben Jahre mit Diensten wie Snapchat & Co verbringen würden, die «ihnen keine wirklichen Lektionen fürs Leben erteilen». Welchen tatsächlichen Nutzen Jugendliche aus diesen Angeboten ziehen, sei dahingestellt. Tatsache ist, dass Heranwachsende in diesen sieben Jahren Fotos, Videos oder Text- und Sprachnachrichten produzieren, ohne dabei ein Gefahrenbewusstsein zu entwickeln. Für sie ist das Internet ein Riesenspielplatz, auf dem Dinge wie Datenschutz und Privatsphäre keinerlei Rolle spielen. 

Im digitalen Zeitalter müssen Erziehung und Bildung stärker miteinander verzahnt werden. 

Mit diesem Mangel an Wissen und Kompetenzen treten junge Menschen ihren Arbeitsplatz, zum Beispiel bei einer Bank, an. Ausbilder berichten, wie ihre Auszubildenden ein Selfie im Tresorraum aufnahmen. Andere rückten für ein Büro-Gruppenbild näher zusammen, ohne zu bemerken, dass kundensensible Informationen auf dem Foto zu erkennen waren. Jedes Jahr müsse man die Anforderungen an den Nachwuchs ein Stück weiter herunterschrauben, so eine Ausbilderin. Die Angst vor einer stetigen Entprofessionalisierung wächst.

Ausbilder sind die ersten Begleiter im Berufsleben von Jugend­lichen. Warum sollen sie für die Versäumnisse im Elternhaus und in der Schule bezahlen? Beim Thema Kinder und Digitalisierung geht es um viel mehr als um Medienkompetenz, es geht darum, Kinder und Jugendliche lebensfähig zu machen. 

Im digitalen Zeitalter müssen Erziehung und Bildung deutlich mehr miteinander verzahnt werden. Eltern und Lehrpersonen müssen das grosse Ziel vor Augen haben, Menschen am Ende ihrer Schulzeit in vielerlei Hinsicht gerüstet in die Berufswelt zu entsenden. Nur so können Ausbilder wieder mehr von ihren Auszubildenden fordern und deren Potenziale ausschöpfen. 

Auch Ausbilder können profitieren 

Nun gibt es aber Jugendliche, die durchaus über diese Kompetenzen verfügen – werden Sie vielleicht einwenden. Und Sie haben recht. Ausbildungsbetriebe können von der digitalen Versiertheit ihrer Auszubildenden profitieren, indem sie ihn oder sie bei der Aufstellung von betriebsinternen Handyregeln hinzuziehen. Wer Auszubildende in die Umsetzung eines solchen Regelwerks einbindet, vermittelt ihnen das Gefühl, ernst genommen zu werden. 
Und wer sie in Social-Media-Aktivitäten des Betriebes einbezieht, lernt nicht nur etwas dazu, sondern schafft so beim Auszubildenden eine intensivere Identifikation mit dem Betrieb.

Sich gut aufs Leben und auf die Ausbildung vorbereiten

  • Neue Medien müssen stärker in den Fokus von Erziehung und Bildung rücken.
  • Wir müssen erkennen, dass Bedienkompetenz keine Medienkompetenz ist.
  • Die Werte einer Gesellschaft gelten auch im digitalen Raum, müssen aber ständig vermittelt werden.
  • Wir dürfen Kinder und Jugendliche nicht im Digitalen alleine laufen lassen, sondern müssen verlässliche Berater sein. 
  • Elternhaus und Schule sollten Jugendliche in deren Kommuni­kationsverhalten sensibilisieren und stärken sowie Regeln für die Kommunikation erstellen – ob Brief, Mail oder Messenger.

Zum Autor: 

Thomas Feibel, 56, ist der führende Journalist zum Thema «Kinder und neue Medien» in
Deutschland. Der Medienexperte leitet das Büro für Kindermedien in Berlin, hält Lesungen und Vorträge, veranstaltet Workshops und Seminare. 

Zuletzt erschien sein Elternratgeber «Jetzt pack doch mal das Handy weg» im Ullstein-Verlag. Feibel ist verheiratet und Vater von vier Kindern. 


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