«Let's Play!»: Anderen beim Spielen zuschauen? - Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi
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«Let’s Play!»: Anderen beim Spielen zuschauen?

Lesedauer: 4 Minuten

Sogenannte Let’s Player sind bei Teenagern voll im Trend. Nur: Was finden Jugendliche daran, anderen beim Videospielen zuzuschauen? Und was heisst das für die Eltern? 

Daniels Mutter ist ge­nervt. Gerade erst hat sie ihren 13­-jäh­rigen Sohn von der Spielkonsole loseisen können. Jetzt sitzt er am Smart­phone. «Was machst du denn da?», fragt sie ihn. «Ich schaue mir nur schnell dieses Video an.» Sie blickt über seine Schulter: «Ist das ein Video über ein Computerspiel?» – «Ja, ein Let’s Play!», lautet die Ant­wort. «Du hast doch gerade erst gespielt! Und das sieht nicht so aus, als ob es ein Spiel für Dreizehnjäh­rige wäre. Mach jetzt dein Natel aus!» Daniel seufzt extra laut und legt das Smartphone zur Seite.

Schreckensschreie und zusammengebissene Zähne

So wie Daniel schauen Millionen Jugendliche sogenannte Let’s Plays. Let’s Play bedeutet «Lass uns spie­len». Es sind Videos, in denen Games vorgeführt und kommentiert wer­den. Man schaut anderen Spielern beim Spielen zu. Vorläufer dieses Trends waren die 2006 von Spielern im Forum der US­amerikanischen Webseite «Something Awful» ver­öffentlichten Bilder aus von ihnen gespielten Games. Die anderen Forumsteilnehmer konnten direkt darauf antworten und Anregungen geben, wie die Spieler weiter agieren sollten.

Mit der zunehmenden Ver­breitung des Videoportals Youtube entstand die Idee, den kompletten Spielverlauf beim Gamen zu filmen und zu kommentieren.

Heute filmen die Spieler sich meist noch zusätzlich selbst. So hören die Zuschauer nicht nur die Kommentare, sondern sehen auch die Reaktionen des Spielers auf das Geschehen: zusammengebissene Zähne in kniffligen Szenen und kur­ze Schreckensschreie, wenn Unvorhergesehenes geschieht. Das Beson­dere an Let’s Plays: Es wird live gespielt. Das bedeutet hier: Der Spieler hat das Game vorher noch nie gezockt und erlebt gemeinsam mit dem Zuschauer sämtliche Situa­tionen zum ersten Mal.

Plötzlich aufkommender Trend

Was als kleiner Spass für ein paar Dutzend Zuschauer begann, ist in den vergangenen Jahren zu einem Millionen­ Trend insbesondere bei Teenagern geworden. 50 Prozent aller Let’s­ Play­ Zuschauer sind zwi­schen 13 und 17 Jahre alt. Mit rund 30 Prozent machen junge Erwachsene zwischen 18 und 25 Jahren die zweitgrösste Gruppe aus. Das Publi­kum ist also jung. Und noch etwas fällt auf: Je nach Schätzungen und Umfragen sind 70 bis 80 Prozent der Zuschauer männlich.

Let’s Play als Entscheidungshilfe?

Eltern zeigen sich besorgt über den Trend. Die meisten stehen Games an sich schon skeptisch gegenüber. Nun fragen sie sich: Ist es sinnvoll, dass mein Kind passiv Videos über Computerspiele konsumiert, anstatt wenigstens selbst aktiv zu sein und kreative Lösungsstrategien in einem Game zu finden? «In den seltensten Fällen werden Let’s Plays nur angeschaut, ohne dass man selbst gamt», relativiert Isabel Willemse, Medien­psychologin an der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften (ZHAW). Weiter führt sie aus: «Meist dienen sie als Entscheidungshilfe, ob man sich das Game besorgen soll, oder man lernt hier Tricks und Kniffe kennen.» Die Aussage deckt sich mit Umfragen unter jugendlichen Let’s-Play-Zuschauern. Andere Gründe für den Konsum der Videospiele können fehlende Zeit oder auch zu wenig Taschengeld für das neueste Game sein.

Interpassivität ist bei Erwachsenen ebenfalls beliebt.

Die Zuschauer ziehen aus dem passiven Zuschauen genauso viel Freude wie aus der aktiven Handlung. Interpassivität (also delegiertes Geniessen) ist bei Erwachsenen ebenfalls sehr gut bekannt. Zum Beispiel schauen ja viele ein Fussballspiel im Fernsehen an, anstatt selbst über den grünen Rasen zu rennen.

Wer kontrolliert den Inhalt der Let’s-Play-Videos?

Problematisch wird es allerdings, wenn die Kids sich Videos über Games ansehen, die nicht ihrem Alter entsprechen. «Es ist unmöglich, die etwa 400 Stunden Videomaterial, die jede Minute auf Youtube hochgeladen werden, auf Altersfreigaben zu überprüfen. Daher ist der Jugendschutz von Anbieterseite (Youtube) nicht gewährleistet. Umso mehr sind die Eltern gefordert», erläutert Isabel Willemse. 

Doch nicht nur die Games, sondern auch der Einfluss der Let’s Player – also der Spieler selbst – können problematisch sein. So fiel etwa PewDie-Pie, der weltweit mit 57 Millionen Abonnenten auf Youtube beliebteste Let’s Player, in jüngster Zeit mit rassistischen Kommentaren auf. 

Immer gut drauf und leicht überdreht – aber unabhängig?

Ein nicht zu unterschätzender Grund für den Erfolg eines Let’s Plays ist die Persönlichkeit des Let’s Players. «Die Videos müssen witzig sein», findet Daniel. Tatsächlich ähneln sich die erfolgreichsten Let’s Player in ihrer Moderationsweise. Sie sind immer gut drauf, leicht überdreht, reden viel und machen lustige Kommentare und Grimassen.

Bei den Jugendlichen kommt das sehr gut an. Um die erfolgreichsten Let’s Player hat sich deshalb ein regelrechter Starkult entwickelt. Umfragen zeigen, dass rund 75 Prozent der Follower davon überzeugt sind, dass Let’s Player ihre eigene, unabhängige Meinung äussern.
Das ist bei unbekannten Let’s Playern wohl meistens der Fall. Bei den beliebtesten Let’s Playern, die mit den Videos ihr Geld verdienen, darf man jedoch skeptisch sein. Denn längst haben Game-Hersteller die Kanäle der meistgesehenen Youtuber als hervorragende Werbemöglichkeit erkannt. Es gibt kostenlose Spiele und Hardware, Product Placement, PR-Aktionen und Werbeverträge. Wie unabhängig werden diese Let’s Player wohl noch sein?

Let’s Player sind Vorbilder, viele Jugendliche eifern ihnen nach. Neben dem passiven Schauen möchten viele Kids selbst eigene Let’s Plays erstellen. Auf diese Weise teilen sie ihre Erlebnisse mit Gleichgesinnten, agieren als Experten zu ihrem Lieblingsspiel und sind Teil einer Community, von der es im Idealfall viele «Likes» als Bestätigung gibt.

„Wie kann man ein Spiel wie UNO nur so scheisse programmieren?“ Let’s Player Gronkh in Aktion.

 Let’s Player befinden sich in einer rechtlichen Grauzone.

Aber wie sieht das rechtlich aus? Zurzeit dulden die meisten Spielehersteller die Nutzung ihrer Games für Let’s Plays, da sie den Nutzen des Werbeeffekts als hoch einstufen. Aber die Games und die bewegten Bilder bleiben ihr Eigentum. Let’s Player befinden sich in einer rechtlichen Grauzone, wenn sie Spielmaterial aufnehmen oder gar verändern. Besondere Vorsicht bezüglich des Urheberrechts ist bei Musik geboten. Einige Youtuber sahen sich schon mit Abmahnungskosten konfrontiert, weil sie für ihre selbst erstellten Videos Songs ihrer Musikstars genutzt hatten. Im Zweifel gilt immer: Lieber einmal zu oft bei Herstellern nachfragen.

Zum Autor:

Stephan Petersen ist studierter Historiker und freier Journalist. Zu seinen Themen gehören unter anderem Videospiele und Familie. Er ist Vater zweier Kinder im Alter von sieben und elf Jahren.
Stephan Petersen ist studierter Historiker und freier Journalist. Zu seinen Themen gehören unter anderem Videospiele und Familie. Er ist Vater zweier Kinder im Alter von sieben und elf Jahren.


Tipps für Eltern:

  • Die Altersbeschränkung für Youtube liegt bei 13 Jahren. Eine kindgerechte Alternative ist die App Youtube Kids. 
  • Auf der Youtube-Website in den Einstellungen «Eingeschränkter Modus» aktivieren. Dieser sperrt für Kinder unangemessene Inhalte. Achtung: Der Filter bietet keine hundertprozentige Sicherheit. 
  • Kinder möglichst nicht mit Youtube allein lassen, da immer sofort das nächste Video abgespielt wird und sie auf diese Weise rasch bei nicht kindgerechten Inhalten landen. 
  • Mit den Kindern und Jugendlichen besprechen, was sie auf Youtube schauen. 
  • Kindern und Jugendlichen Medienkompetenz vermitteln, damit sie mit den gesehenen Inhalten richtig umgehen können. Die Aussagen und Moralvorstellungen ihrer Lieblings-Let’s-Player kritisch beleuchten. 
  • Gemeinsam über die Einnahmequellen des Lieblings-Let’s- Players diskutieren und die Objektivität der Let’s Player hinterfragen. Gute Alternativen für Spielebesprechungen sind klassische Videospiel-Magazine. 
  • Kids, die selbst Let’s Plays erstellen möchten, über Urheberrechte (Games und Musik) aufklären.