Was hat Positive Psychologie mit Corona zu tun? - Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi
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Was hat Positive Psychologie mit Corona zu tun?

Lesedauer: 5 Minuten

Familienberaterin Béatrice Kuster verrät aus ihrer Arbeit mit Positiver Psychologie, wie Familien in Krisen den Alltag zuversichtlich gestalten können.

Es macht den Anschein, als ob uns die Corona-Pandemie noch eine ganze Weile begleiten würde. Vielleicht tun wir gut daran, uns mit dem Virus zu verbünden. Wir können dies tun, indem wir uns auf längst vergessene Taten und Gesten zurückbesinnen, uns ganz bewusst über Kleinigkeiten erfreuen, die bisher als selbstverständlich galten.  Besonders wirkungsvoll:  alte Rituale aufleben lassen für Sicherheit, sich gegenseitig Lob und Komplimente aussprechen für den Selbstwert und sich auf kleine Ziele einigen für Perspektiven. 

Gemeinsam an dieser Pandemie ist, dass diese Krise mit all ihren Ausprägungen die ganze Gesellschaft etwas angeht. Unterschiedlich ist, dass die Auswirkungen, die Intensität und Konsequenzen ganz verschieden wahrgenommen und erfahren werden. Familien sind in besonderem Masse davon betroffen. In ihnen laufen alle Fäden zusammen. Kinder unterschiedlichsten Alters kommen von allen Himmelsrichtungen nach Hause und erzählen von ihren Erlebnissen, die im Moment oft im Zusammenhang mit Corona stehen. Eltern ziehen mit ihrem Arbeitsplatz nach Hause und stehen ebenso vor neuen Herausforderungen. Grosseltern, die vor Corona ihre Enkelkinder begleiten konnten und den Eltern von grossem Nutzen waren, fallen weg. Kommen finanzielle Einbussen hinzu, wird das Familiengefüge um ein Mehrfaches belastet und auf die Probe gestellt. 

Familien mit einem Rucksack voller Schutzfaktoren wird es eher gelingen, die anhaltende Pandemie zu meistern. Familien mit Risikofaktoren können Mühe bekunden, den Alltag zu bewältigen und flexibel auf neue Begebenheiten zu reagieren. Dies hat zur Folge, dass Momente der Harmonie, der Zufriedenheit und der Unbekümmertheit Angespanntheit, Stress, Überforderung und Konflikten weichen müssen. Die Familie erlebt sich in diesen Phasen der Überbelastung als träge, unbeweglich und versagend.

Das muss nicht sein. In der Positiven Psychologie, einem Teil der Resilienztherapie, nutzt man hierfür die Aspekte des sogenannten Happiness-Circles. Diese Denkanstösse helfen Familien, wieder zusammenzuwachsen, die Ressourcen und die Stärken jedes einzelnen zu nutzen. So kann erneut ein positives Grundgefühl einziehen und die Krise bewältigbar erscheinen lassen. Die praktikablen Übungen zum Happiness-Circle können sowohl von Eltern wie auch von Kindern und Jugendlichen ausgeführt werden.

Geniessen Sie die einzigartigen Momente

Um mehr Raum für positive Gefühle zu schaffen, gibt es eine sehr einfache Möglichkeit, indem Sie versuchen, das Schöne zu geniessen, das Sie täglich erleben. Damit dies gelingt, ist es entscheidend, den Augenblick wahrzunehmen, achtsam im Hier und Jetzt zu sein. Gerade mit kleinen Kindern haben Sie laufend Gelegenheit dazu. Kleine Kinder sind Meister des Geniessens – wenn wir sie lassen. Erwachsene bekunden darin mehr Mühe. Die Konzentration auf den eigenen Atem kann helfen, sich zu mitten. Schweifen Sie ab hin zu belastenden Gedanken, ist es hilfreich, einen Stein, eine Muschel oder einen anderen Naturgegenstand ganz genau zu beschreiben, bis die Gedanken wieder in die Gegenwart zurückgekehrt sind. Wenn Sie schöne Momente geniessen können, bauen Sie sich ein emotionales Polster auf, das Sie dann trägt, wenn der Alltag etwas rauer wird.

Starten Sie positiv in den Tag

Der Start am Morgen als Familie beeinflusst den ganzen weiteren Tagesverlauf. So können Sie sich als Eltern nach dem Aufwachen die Frage «Worauf freue ich mich heute?» stellen und die Antworten auf Kärtchen schreiben und diese in einem grossen Gefäss sammeln. Dieselbe Frage können Sie Ihren Kindern stellen. Sammeln Sie alle Antworte und betrachten Sie gemeinsam die Fülle und Vielfalt an schönen Erlebnissen und Bedürfnissen. Dieses Morgenritual motiviert Kinder und Eltern, die Herausforderungen des Alltags in Angriff zu nehmen – mit Glücksinseln vor Augen. Die Gedanken daran beeinflussen das Mindset positiv.

Wählen Sie eine positive Perspektive

In der anspruchsvollen Coronazeit kommen Kinder nicht nur mit freudigen Erlebnissen nach Hause. Sie wollen und sollen deshalb Belastendes loswerden. Als Eltern ist es nicht immer leicht, adäquat zu antworten und empathisch zu reagieren, insbesondere dann nicht, wenn Sie spüren, dass die Erzählungen mit Ängsten und Sorgen verbunden sind. Sagen Sie dann ihrem Kind, es soll die Situation zeichnen oder aufschreiben und erst danach berichten, was noch im Raum steht. Fragen Sie Ihren Sohn oder Ihre Tochter, was gut war an den Geschehnissen des Tages, wofür sie dankbar seien, wo sie nochmals gleich handeln würden. Damit legen Sie den Fokus auf Gewinnendes, auf Erfolgversprechendes und nicht darauf, was fehlt.

Schlafen Sie mit versöhnenden Gedanken ein

«The three good things» ist eine der nachhaltigsten Übungen zur Steigerung von Wohlbefinden. Wenn Sie Ihr Kind abends zu Bett bringen, fragen Sie, was heute besonders schön, lustig, positiv gewesen war, was glücklich gemacht hat. Seien Sie neugierig auf die Antworten und kommen Sie ins Gespräch. Dieses Abendritual wird Ihnen helfen, Ihr Kind besser zu verstehen. Ältere Kinder können «die drei guten Dinge» aufschreiben oder skizzieren. Nebst der Steigerung des Wohlbefindens hilft dieser Tagesrückblick, besser in den Schlaf zu finden, denn Sie beschliessen den Tag mit einem positiven Grundgefühl.

Sorgen Sie für sichere Beziehungen in unsicheren Zeiten

In unsicheren Zeiten ist es wichtig, dass Kinder auf sichere, zuverlässige, verbindliche Partner zählen können. Ein Kind muss die Beziehung zu seinen Eltern vertrauensvoll erleben und die bedingungslose Liebe spüren. Schenken Sie ihrem Kind deshalb, wann immer es möglich ist, Zeit, um mit ihm zu spielen, zu plaudern, zu albern, zusammen zu kochen und zu backen. Nebst der Fürsorge ist es aber auch entscheidend, dass Sie ihrem Kind Verantwortung abgeben und ihm etwas zutrauen. Während Sie als Eltern im Homeoffice arbeiten und Ihr Kind mit den Hausaufgaben fertig ist, soll es tischen oder Vorbereitungen fürs gemeinsame Essen treffen. Lassen Sie die Kinder einen Menüplan und die Einkaufsliste erstellen. Dadurch werden die Kinder in ihrer Selbstwirksamkeit bestärkt, gewinnen an Selbstvertrauen und persönliches Wachstum ist möglich. Und für sie als Erwachsene ist das Abgeben von Verantwortung und Kontrolle, das Loslassen, mit mehr Zeit für sich verbunden.

Natur und Bewegung für innere Balance

Die grösste Kraftquelle für Wohlbefinden, Ausgeglichenheit und Zuversicht ist wohl die Natur. Sie steht uns fast überall bedingungslos und ohne Begrenzungen zur Verfügung. Wann immer es also möglich ist, gehen Sie mit Ihrer Familie in die Natur. Es spielt keine Rolle, ob Sie mit einem Ziel in den Wald gehen, oder ungerichtet einfach die vielen Facetten bewundern und auftanken wollen. Den Kindern kommt immer etwas in den Sinn. Und versuchen Sie sich darin, für einmal beim Spielen mitzumachen. Es ist für Kinder ein qualitativ riesiger Unterschied, ob sich Eltern beteiligen oder zuschauen. Ein Aufenthalt in der Natur wirkt sich ebenso positiv auf die körperliche wie auf die psychische Gesundheit aus.

Engagement mit persönlichen Stärken 

Glück bedeutet auch, das zu nutzen, was bereits da ist. Anstatt sich zu fragen, welche Stärken man entwickeln sollte, ist es wesentlich entspannter und glücksfördernder, wenn Sie sich auf die vorhandenen konzentrieren. Überprüfen Sie diese Signaturstärken bei einem Gespräch mit folgenden Fragen: Was kann ich gut und mache ich besonders gern? Bei welcher Tätigkeit kann ich die Zeit und alles um mich herum für ein paar Augenblicke vergessen? Welche Stärke kann ich in der momentanen Entwicklungsphase bei meinem Sohn wahrnehmen? Wo überrascht mich meine Tochter? Ältere Kinder erzählen auch gerne von Ihren Vorbildern. Interessieren Sie sich dafür und arbeiten Sie zusammen heraus, welche Stärken diese besitzen.

Sinnhaftigkeit und Zielerreichung mit Pippi Langstrumpf

Die Pippi-Übung kann helfen herauszufinden, wo man sich eigentlich zugehörig fühlt, welche Aspekte seinem Leben Sinn verleihen. Schreiben Sie in der Home-Office-Pause spontan auf, was Sie gerade tun würden, wenn Sie Pippi sein könnten. Was vermissen Sie und würden Sie sehnlichst gerne nachholen? Gibt es ein Anliegen oder Projekt, für das Sie auf die Strasse gehen würden? Gibt es einen Herzenswunsch? Antworten auf diese Fragen helfen beim Aufblühen und Ihre inneren Werte, die Sie Ihren Kindern mitgeben, werden Ihnen bewusst. Führen Sie dieselbe Pippi-Übung mit Ihren Kindern durch. Nehmen Sie ein Plakat dazu und lassen Sie die Kinder mutig über Ihre Ideen hinauswachsen. Vielleicht kann daraus ein realisierbares, gemeinsames Vorhaben entstehen, das in dieser anspruchsvollen Zeit besonders verbindet und Sinnerfüllung gibt.

Mehr Informationen unter www.praxisbeatricekuster.ch

Béatrice Kuster arbeitet als Fachperson für Psychische Gesundheit und geht mit ihrer Klientel den Fragen nach, welche Faktoren das Leben zufrieden und sinnerfüllt machen. Sie lebt mit ihrem Mann und den vier Kindern in Ermensee.
Béatrice Kuster arbeitet als Fachperson für Psychische Gesundheit und geht mit ihrer Klientel den Fragen nach, welche Faktoren das Leben zufrieden und sinnerfüllt machen. Sie lebt mit ihrem Mann und den vier Kindern in Ermensee.


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