Psychisch kranke Kinder: «Es fehlt an Zeit und Geld» - Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi
Merken
Drucken

Psychisch kranke Kinder: «Es fehlt an Zeit und Geld»

Lesedauer: 2 Minuten

3 Fragen an Dirk Büchter, leitender Arzt des ambulanten 
Bereichs der Abteilung Adoleszenten-Medizin am Kinderspital St. Gallen über den Anstieg an psychisch kranken Kindern und Jugendlichen. 

Herr Büchter, in Ihrem Spital fehlen Therapieplätze für Kinder. Wie schlimm ist es?

Die Zahl der Kinder und Jugendlichen mit psychosomatischen Störungen – das sind beispielsweise Ess-, Zwangs- oder Angst­störungen – hat im Vergleich zur Zeit vor Corona um rund einen Viertel zugenommen. Auch im stationären Bereich ist die Zahl der bei uns betreuten Patienten mit psychosomatischen Erkrankungen, allen voran mit Ess­störungen, extrem gestiegen. Alle Betten im Romerhuus, unserer psychotherapeutisch-­psychosomatischen Station, sind aktuell belegt. Darüber hinaus haben wir lange Wartelisten. Ähnliches gilt bezüglich Erst­terminen für verschiedene Abklärungen, das ist für alle Betroffenen eine schlimme Situation.

Dr. med. Dirk Büchter ist leitender Arzt des ambulanten  Bereichs der Abteilung Adoleszenten-Medizin am Kinderspital St. Gallen. (Bild: zVg)
Dr. med. Dirk Büchter ist leitender Arzt des ambulanten
Bereichs der Abteilung Adoleszenten-Medizin am Kinderspital St. Gallen. (Bild: zVg)

Wie erklären Sie sich diesen starken Anstieg an psychisch kranken Kindern und Jugendlichen? 

Ich glaube nicht, dass die Pandemie als solche für die Zunahme verantwortlich ist, sondern dass problematische Situationen vor Covid-19 besser zu bewältigen waren. Durch die Corona-Krise fehlen wichtige Strukturen für Kinder und Jugendliche in und ausserhalb der Schule und der Kontakt mit Gleich­altrigen ist stark eingeschränkt. Die bisher relativ gut funktionierenden Mechanismen, um Zwangs- und Angststörungen zu kompensieren, sind komplett weggefallen.

Wo sehen Sie Lösungsansätze?

Der wichtigste Punkt wäre, dass die psycho­somatischen Krankheiten im Kinder- und Jugendalter – und natürlich auch bei Erwachsenen – von der Bevölkerung und von der Politik wahr- und ernst genommen werden. Psychosomatische Erkrankungen und deren Therapien benötigen viel Zeit und Geld. Im Gesundheitssystem fehlt es aber gerade an beidem. Es ist einfacher und auch kosten­deckender, Operationen oder andere Therapiemassnahmen durchzuführen, die auf der Kosten-Nutzen-Seite mehr Geld in das System der Krankenhäuser spülen. Es kann nicht sein, dass Eltern sich glücklich schätzen müssen, wenn sich ihr Kind das Bein bricht, anstatt ein psychisches Leiden zu entwickeln, nur weil dann eine Behandlung rasch möglich ist.

Mehr lesen zum Thema Jugendliche in der Corona-Krie

  • «Bildung ist wichtig, aber die psychische Gesundheit ist wichtiger»
    Schulen müssen den Druck auf Jugendliche vermindern, um dem wachsenden psychischen Stress während der Coronakrise entgegenzuwirken, fordert Dominique de Quervain. Der Stressforscher und Neurowissenschaftler über Belastungen in der Pandemie und wie Eltern ihre Kinder durch die Krise begleiten können. 
  • Wie viel Corona können Eltern ihren Kindern zumuten?
    Die zweite Corona-Welle ist hier und täglich sind wir mit Nachrichten über Neu-Infektionen und neuen Vorgaben konfrontiert. Wieviel davon sollen Eltern ihren Kindern zumuten? Und wie reagiert man, wenn das Viruswirklich nah ist; Freunde, Verwandte oder das Kind selbst betrifft?