«Gut ist meiner Tochter nicht gut genug» - Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi
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«Gut ist meiner Tochter nicht gut genug»

Lesedauer: 1 Minuten

Meine Freunde hatten lange nicht verstanden, was der Zettel bedeutet, der an unserem Kühlschrank hing, als meine Tochter die Primarschule besuchte. Darauf stand ein Limit, es war die Anzahl Stunden, die Emma für die Schule maximal arbeiten durfte. Meine Tochter ist eine Perfektionistin, das lässt mich als Mutter zu ungewöhnlichen Massnahmen greifen. 

In der Primarschule brachte Emma nur Bestnoten nach Hause. Ich freute mich von Herzen für meine Tochter, wollte diese Freude aber nie als Ansporn für weitere Bestleistungen verstanden wissen. Mir lagen andere Dinge am Herzen – etwa, dass sich meine Tochter ihre gesunde Neugier bewahren möge. 

 «Spitzennoten hatten sie nie davon abgehalten, sich noch mehr ins Zeug zu legen»

So war ich skeptisch, als Emma in der sechsten Klasse ankündigte, sie wolle ins Gymnasium übertreten. Spitzennoten hatten sie nie davon abgehalten, sich noch mehr ins Zeug zu legen. Dass dies im Gymnasium nicht besser werden würde, war naheliegend. Nichtsdestotrotz unterstützte ich den Wunsch meiner Tochter, übte mit ihr Mathematik und deutsche Grammatik. 

An der Gymi-Prüfung mussten die Schüler über Dinge Bescheid wissen, die sie im Unterricht noch lange nicht behandelt hatten. Eine Freundin meiner Tochter hatte niemanden, der sie beim Vorbereitungskurs aufs Gymi unterstützen konnte. Ich nahm das Mädchen unter meine Fittiche, was der Kursleiter nicht akzeptierte. Wer nicht allein lernen könne, gehöre da nicht hin, sagte er. Das ist eine Farce: Ich kenne kein Kind, das die Prüfung ohne Unterstützung geschafft hat – auch nicht meine Tochter, trotz der Sechsen im Zeugnis. Das finde ich bedenklich. 

«Ich kenne kein Kind, das die Gymi-Prüfung ohne Unterstützung geschafft hat» 

Ich hatte mich vor 35 Jahren kaum auf die Prüfung vorbereitet und sie als gute Schülerin problemlos gemeistert. Heute ist gut nicht mehr gut genug. Es geht ums Aussieben, das wird den Kindern im Gymnasium unmissverständlich klargemacht. Meine Tochter lernt extrem viel – nicht mehr wie einst, mit Neugierde und Wissensdurst, jetzt geht es darum, die schiere Menge an Stoff in den Kopf zu kriegen.

Nach der Probezeit ist es etwas besser geworden, aber nicht so, wie ich es mir für eine 14-Jährige wünsche. Emma kriegt zu wenig Schlaf, hat zu wenig Zeit zum Leben, sich, die anderen, die Welt kennen zu lernen. Dass sie die Probezeit geschafft hat, trägt wenig zu ihrer Beruhigung bei, vielmehr beschäftigt Emma das Risiko ins Provisorium abzurutschen, obwohl ihre Noten keineswegs darauf hindeuten. Das frappiert mich: Wie kann Lernen gelingen, wenn die Schule den Kindern suggeriert, dass sie sich lieber nicht in Sicherheit wähnen sollten?

Bild: fotolia.com


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