Damit die Kilos purzeln - Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi
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Damit die Kilos purzeln

Lesedauer: 2 Minuten

Jedes fünfte Kind ist heute zu dick. Doch Abnehmen ist nicht leicht. Richtige Ernährung, ausreichend Bewegung und die Unterstützung der Familie sind dabei entscheidend.

Für die Erwachsenen ist der Body-Mass-Index das Mass aller Dinge, bei Kindern hingegen muss die Perzentile berücksichtigt werden. Diese bezieht die Grösse und das Gewicht auf das Alter. «Ab einer Perzentile über 90 spricht man von Über-gewicht, ab über 97 von Adipositas, also von extremem Übergewicht», erklärt Dr. Isabelle Herter. Die Ernährungswissenschaftlerin der ETH Zürich hat mit ihrem Team zahlreiche Studien über Übergewicht bei Kindern publiziert.

Vor 15 Jahren hat das ETH-Forscherteam das Problem als Zufallsbefund entdeckt. Die Wissenschaftler kontrollierten die Jodversorgung der Bevölkerung und erhoben dabei Grösse und Gewicht. «War das Problem der dicker werdenden Kinder bis dahin ein Thema in den USA gewesen, war es nun auch in der Schweiz und dem Rest von Europa angekommen», sagt Dr. Herter.

Den Bewegungsdrang der Kinder nicht stoppen, auch wenn es manchmal nervt.

Um die Situation zu überwachen, führen die ETH und das Bundesamt für Gesundheit (BAG) seither alle fünf Jahre eine Studie durch. Zwar zeigen sich im Verlauf stabile Werte, aber eine Verbesserung ist nicht in Sicht: Noch immer sind etwa 20 Prozent der Kinder übergewichtig. Der Anteil Kinder mit starkem Übergewicht ist hingegen auf 8 Prozent gestiegen, vor allem bei den Knaben.

Gemeinsam kochen und essen

Die ETH-Studien belegen einen Zusammenhang zwischen Übergewicht und Inaktivität. Kinder und Jugendliche, die viel Zeit vor dem Computer und dem Fernseher verbringen, sind besonders gefährdet. Auch weisen die Ergebnisse auf «sozioökonomische» Zusammenhänge hin. Dabei spielen Sprachkenntnisse und Migrationshintergrund, das Bildungsniveau und die Familienstrukturen eine entscheidende Rolle. «Einige Kulturkreise setzen beispielsweise Übergewicht mit Wohlstand gleich, dann wird es nicht als Problem erkannt», sagt Isabelle Herter.

Für die Forscherin ist die Familie der wichtigste Ansatzpunkt: Gemeinsames Kochen und Essen, gemeinsame Aktivitäten und Grenzensetzen für Fernseher und Computer helfen beim Abnehmen, aber auch bei der Prävention.

Prävention sei der erste Schritt der Behandlung, betont auch Dr. Joseph Laimbacher. Der Pädiater und Chefarzt des Ostschweizer Kinderspitals St. Gallen ist einer der bekanntesten Experten für die Behandlung von übergewichtigen Kindern. 2014 wurde er mit seinem Team mit dem Guido-Fanconi-Gedenkpreis ausgezeichnet, der bedeutende Leistungen auf dem Gebiet der Pädiatrie honoriert.

Seit den neunziger Jahren, als «die Welle nach Europa überschwappte», entwickelt Laimbacher Konzepte und Empfehlungen.«Erst 2007 wurde Übergewicht bei Kindern als Krankheit anerkannt», sagt er. Eine Veranlagung dafür liege in den Genen. Ob ein Kind dann aber tatsächlich zunimmt, hänge eben von weiteren Faktoren wie Bewegung, Essverhalten, Wachstumsphasen oder sozioökonomischen Faktoren ab.

Prävention beginnt für Laimbacher bereits früh: «Das Zeitfenster für die nächste Generation öffnet sich pränatal.» Zukünftige Eltern brauchen deshalb ein Bewusstsein für das eigene Gewicht. Dies gilt auch für die Schwangerschaft, in der man eben nicht für zwei essen darf. Sind die Kinder da, sollen sie von früh an einen normalen Umgang mit Essen lernen. «Kinder haben zudem einen natürlichen Bewegungsdrang», sagt Laimbacher und empfiehlt, diesen nicht zu stoppen, auch wenn es manchmal nervt. Sie sollten sich mindestens 90 Minuten pro Tag bewegen.

Wird das Gewicht zum Dauerthema, belastet das die Seele des Kindes.

Bei der schulärztlichen Untersuchung wird Übergewicht oft erstmals als Problem erfasst. «Das erlaubt es, dieses früh anzugehen», sagt Laimbacher. Laut ihm muss Adipositas unbedingt behandelt werden, da sie viele Gesundheitsrisiken birgt, etwa Diabetes, Herzkreislauf-, Atemwegserkrankungen und Gelenkprobleme. Übergewicht könne auch psychische Probleme auslösen oder das Selbstwertgefühl vermindern und damit zu einem Teufelskreis führen.

Damit Kinder in der Gesellschaft bestehen können

Als erste Anlaufstelle empfiehlt Laimbacher den Kinder-oder Hausarzt. Er betont: «Die Behandlung von schwerem Übergewicht gehört aber in die Hände geschulter Teams.» Diese bestünden aus Medizinern, Ernährungsberatern, Psychologen, Physiotherapeuten und je nach Fall auch aus Sozialarbeitern.

Das Ostschweizer Kinderspital St. Gallen ist ein Vorreiter bei der Behandlung von Adipositas und bietet verschiedene Programme an. «Bevor wir jemanden aufnehmen, müssen uns die Kinder beweisen, dass sie motiviert sind, und die Eltern auch», sagt Laimbacher. Maxime sei eine gute Begleitung, nicht Druck. Den Eltern betroffener Kinder rät er ab, selber «herumzuprobieren» oder gar abstruse Diätprogramme mit den Kindern zu machen. Wichtig seien realistische Ziele wie die Stabilisierung des Übergewichts.

Joseph Laimbacher ist überzeugt: «Es geht nicht nur um das Normalgewicht, sondern darum, dass die Kinder in der Gesellschaft bestehen können.»