Eine psychische Erkrankung bei Teenagern erkennen
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Eine psychische Erkrankung bei Teenagern erkennen

Lesedauer: 4 Minuten

In der Teenagerzeit zeigen Jugendliche oft Anzeichen für eine psychische Erkrankung. Mit einer neuen Herangehensweise will man den persönlichen Erfahrungen der Betroffenen besser gerecht werden.

Text: Alex Lloyd und Zóra Szalay
Bild: Adobe Stock

Teenager sind besonders ge­fährdet, psychische Probleme zu entwickeln. In den letzten Jahrzehnten ist der Anteil der Be­troffenen gestiegen. Von sechs Ju­gendlichen entwickelt ungefähr eine Jugendliche oder ein Jugendli­cher ein psychisches Problem, das die Schule, Beziehungen und ihre Lebensqualität beeinträchtigen kann. Unglücklicherweise werden viele Teenager nicht diagnostiziert und erhalten keine Behandlung.

Die Diagnose einer psychischen Störung zu erhalten, kann ein schwieriger und langwieriger Pro­zess sein. Jugendliche könnten da­vor zurückschrecken, Hilfe zu su­chen, weil psychischen Problemen ein Stigma anhaftet. Vielleicht ste­hen sie vor finanziellen Hürden we­gen der Fahrtkosten zu Unterstüt­zungsangeboten. Und wenn sie sich einmal dafür entschieden haben, professionelle Hilfe anzunehmen, werden sie mit langen Wartelisten konfrontiert.

Symptome von psychischen Problemen, wie zum Beispiel von Depressionen und Angststörungen, überlappen sich häufig.

Was passiert, wenn ein Jugendli­cher oder eine Jugendliche all diese Hürden überwindet und eine Fach­person erreicht? Klinische Psycho­loginnen beziehungsweise Psycho­logen setzen in der Regel ein Diagnostikhandbuch ein, das psy­chische Probleme anhand bestimm­ter Symptome kategorisiert und dabei klare Grenzen zwischen den verschiedenen Diagnosen zieht. Eine Fachperson, die bei einem Ju­gendlichen von einer allgemeinen Angststörung ausgeht, wird ihn an­hand der Kriterien für diese Dia­gnose beurteilen. Aber sie wird ihn wahrschein­lich nicht nach Symptomen für Depressionen fragen, obwohl der Jugendliche an diesen Symptomen leiden könnte. Dieser «taxonomi­sche» Ansatz ist insofern nützlich, als er Forschenden und klinischen Therapeutinnen eine gemeinsame Sprache gibt, wenn sie über die psy­chischen Probleme von Teenagern diskutieren.

Eine Diagnose – viele unterschiedliche Verläufe

Dennoch können diagnostische Ka­tegorien die Komplexität der einzig­artigen Erfahrungen und der Be­dürfnisse einer jungen Person nicht abbilden. Eine Depression kann bei Jugendlichen beispielsweise den Appetit verändern, sodass sie mehr oder weniger essen als sonst. Bei anderen kann eine Depression den Schlafrhythmus stören, sodass sie sich ständig erschöpft fühlen und ihre Konzentrationsfähigkeit leidet. Ausserdem überlappen sich die Symptome von psychischen Proble­men häufig – zum Beispiel finden sich bestimmte Symptome von De­pressionen oft auch bei Angststö­rungen. Darüber hinaus sind Ver­änderungen des Schlafrhythmus in der Pubertät nicht ungewöhnlich, was das Erkennen von Gründen für bestimmte Symptome erschwert. In der Folge können Eltern, Lehrper­sonen und Fachleute sich schwer­tun, die Ursache für die Probleme einer Jugendlichen zu verstehen und die angemessene Unterstüt­zung zu bieten.

Ein neuer Ansatz zum Verständnis von psychischen Problemen

Forschende und klinische Fachper­sonen haben begonnen, einen neuen «transdiagnostischen» An­satz zu verfolgen, anstatt sich auf spezifische Diagnosen zu konzen­trieren. Das bedeutet, dass sich der Fokus von den Symptomen be­stimmter Diagnosen wegbewegt und man stattdessen versucht, die zugrunde liegenden Faktoren zu identifizieren und zu behandeln, welche die psychischen Schwierig­keiten verschlimmern. Fachleute können beispielsweise abklären, ob psychische Probleme in der Familie liegen. Oder nach weiteren Faktoren wie grossem Stress, Traumata, phy­sischen Krankheiten oder dysfunk­tionalem Familienleben suchen.

Anzeichen, die auf psychische Probleme hindeuten

  • Anhaltende schlechte Stimmung, Ängste oder Erschöpfung
  • Veränderungen des Schlafs, Gewichts, der Essgewohnheiten oder alltäglichen Muster
  • Veränderungen in der persönlichen Hygiene
  • Kein Interesse mehr an Aktivitäten, die früher gerne gemacht wurden
  • Rückzug von sozialen Aktivitäten
  • Anzeichen von Selbstverletzung oder Selbstmordgedanken
  • Suchtmittelkonsum

Falls Sie eines dieser Merkmale beobachten, drücken Sie Ihre Besorgnis aus und ermutigen Sie Ihr Kind, mit einer Fachperson zu sprechen. Kinder und Jugendliche können sich unter der Notrufnummer 147 der Pro Juventute beraten lassen. Für Eltern steht unter anderem der Elternnotruf unter der Telefonnummer 0848 35 45 55 für eine Erstberatung zur Verfügung.

Diese Perspektive erkennt an, dass sich psychische Probleme bei jeder Jugendlichen anders äussern. Und, dass jede Person auch unter mehr als einem psychischen Problem lei­den kann. Damit wird auch eine individuellere Behandlung ge­fördert, die sich nicht nur auf eine Diagnose stützt, sondern auf eine offene Diskussion der ganz persön­lichen Erfahrungen einer einzelnen Person.

Die komplexen Veränderun­gen, die Teenager durchleben, wir­ken sich auf Stimmung, Schlaf, Ap­petit und Leistungen in der Schule aus. Diese Veränderungen müssen nicht unbedingt ein Anzeichen für psychische Probleme sein. Wenn sie aber anhalten oder sich mit der Zeit verschlimmern, benötigt der beziehungsweise die Jugendliche wahrscheinlich die Unterstützung einer Fachperson. Wird psychi­sche Gesundheit als Spektrum be­trachtet und weniger in spezifische Kategorien eingeteilt, ist eine Un­terscheidung zwischen normalen Stimmungsschwankungen und psychischen Problemen einfacher.

Die Fähigkeit erlernen, Gefühle wahrzunehmen

Angesichts der Vorteile dieses transdiagnostischen Ansatzes ha­ben wir diesen in unserem eigenen Hilfsangebot für Teenager inte­griert. Wir haben eine neue Art der Intervention für psychologische Gesundheit entwickelt, das Reset­-Programm für Jugendliche, die Gefahr laufen könnten, psychische Probleme zu entwickeln. Anstatt auf unterschiedliche Diagnosen zu fokussieren, konzentrieren wir uns auf allgemeine Ursachen für mehrere psychische Probleme. In diesem Programm lernen Teilneh­mende Fähigkeiten, um Emotionen wahrzunehmen und zu bewältigen und um gesunde Beziehungen auf­zubauen.

Fokussiert man weniger auf starre diagnostische Kategorien, können individuelle Bedürfnisse besser behandelt werden.

Wir haben uns dazu ent­schlossen, auf die Fähigkeiten zur Verarbeitung von Emotionen und positive soziale Beziehungen zu set­zen, weil diese zur Resilienz gegen eine Reihe von psychischen Pro­blemen beitragen. Wir hoffen, dass das Training in diesen Bereichen während dieser wichtigen Entwick­lungsphase den Ausbruch oder die Verschlimmerung von psychischen Problemen verhindert.

Der transdiagnostische Ansatz verändert unser Verständnis und die Behandlung von psychischen Problemen. Indem wir auf allge­meine Ursachen anstelle von star­ren diagnostischen Kategorien fo­kussieren, können wir individuelle Bedürfnisse behandeln. Wir hoffen, dass Interventionen wie unsere, die eine transdiagnostische Perspektive einnehmen, jungen Menschen die Fähigkeiten und die Resilienz ver­mitteln, die sie brauchen, um psy­chisch gesund zu bleiben.

Plattform Bold

Die Plattform Bold, eine Initiative der Jacobs Foundation, hat sich zum Ziel gesetzt, einer weltweiten und breiten Leserschaft näherzubringen, wie Kinder und Jugendliche lernen. Spitzenforscherinnen wie auch Nachwuchswissenschaftler teilen ihr Expertenwissen und diskutieren mit einer wissbegierigen Leserschaft, wie sich Kinder und Jugendliche im 21. Jahrhundert entwickeln und entfalten, womit sie zu kämpfen haben, wie sie spielen und wie sie Technologien nutzen.
www.bold.expert

Alex Lloyd
ist ein Postdoc Research Fellow am University College London (UCL). Er schloss sein Doktorat an der Royal Holloway University of London ab. Im Rahmen seiner Forschung untersuchte er, wie Jugendliche ihre Umgebung erforschen und warum dieser Prozess für die Entwicklung der im Erwachsenenleben benötigten Unabhängigkeit so wichtig ist.

Alle Artikel von Alex Lloyd

Zora Szalay

Zóra Szalay
ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am University College London. Sie hat einen BSc in Psychologie und einen MSc in Mental Health Studies. Zóra Szalay interessiert sich für Verbesserungen der Wirksamkeit von präventiven Methoden in der psychologischen Gesundheitsversorgung.

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