Bluthochdruck – die unterschätzte Diagnose - Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi
Merken
Drucken

Bluthochdruck – die unterschätzte Diagnose

Lesedauer: 4 Minuten

Rund zwei Prozent der Schweizer Kinder haben Bluthochdruck, Tendenz steigend. Was sind die Ursachen? Wir haben zusammengetragen, was Eltern unbedingt wissen sollten.

Cheeseburger, Chips und Cola ade! Seit der Kinderarzt bei Julian einen zu hohen Blutdruck festgestellt hat, muss der Zehnjährige lernen, gesünder zu essen, um abzunehmen. Denn starkes Übergewicht hat bei Julian zu erhöhten Blutdruckwerten geführt. Werden diese nicht gesenkt, kann das auf Dauer zu Gefässschäden an seinen Organen und ernsthaften Folgeerkrankungen wie Schlaganfall , Arteriosklerose, Herzinfarkt, oder Nierenversagen führen.

Was sind die Ursachen?

Die Entstehung von Bluthochdruck, fachsprachlich arterielle Hypertonie, bei Kindern kann unterschiedliche Ursachen haben: «Zum einen können organische Ursachen wie eine Herzerkrankung oder ein Nierenleiden zu einem erhöhten Blutdruck im Kindesalter führen», weiss Professor Giacomo Simonetti, Vorstandsmitglied der Swiss Society of Hypertension und Chefarzt der Kinderklinik am Regionalkrankenhaus von Bellinzona und Valli. «Diese Form der arteriellen Hypertonie gab es schon immer. Sie ist aber vergleichsweise selten.»
Eine Zunahme lässt sich vor allem bei der sogenannten essentiellen oder auch primären arteriellen Hypertonie verzeichnen. Davon spricht man, wenn keine ursächlichen Grunderkrankungen ausgemacht werden können. «In der Regel sind für diese inzwischen deutlich häufigere Form des Bluthochdrucks bei Kindern Übergewicht und Adipositas verantwortlich», erklärt Simonetti. «Daneben können aber auch bestimmte Medikamente wie etwa der Wirkstoff Methylphenidat zur Behandlung von ADHS, Kortison oder auch Lakritze den kindlichen Blutdruck ansteigen lassen.»

Durch nicht behandelten Blutdruck können Erkrankungen, die man sonst bei älteren Patienten findet, schon bei Jungen auftreten.

Wird der sehr früh entstandene Bluthochdruck nicht rechtszeitig behandelt, kann es zu schweren Schäden an den Gefässen kommen. Und gefährliche Folgeerkrankungen wie Schlaganfall, Nieren-, Herz- und Kreislauferkrankungen, die man sonst nur bei älteren Patienten kennt, können schon in jungen Jahren auftreten.

Hoher Blutdruck tut (leider) nicht weh

Besonders heimtückisch an hohem Blutdruck ist, dass die Krankheit über lange Zeit nahezu symptomlos verläuft. «Die Kinder spüren den zu hohen Blutdruck nicht», erklärt der Tessiner Kinderarzt. «Bluthochdruck tut nicht weh und macht auch sonst kaum spürbare Probleme.»

 Somit merken auch die Eltern oft nichts und es kann passieren, dass der zu hohe Blutdruck lange Zeit unerkannt und damit auch unbehandelt bleibt. «Im Rahmen der Vorsorgeuntersuchung wird deshalb in der Schweiz eine präventive Routinemessung des Blutdrucks ab einem Alter von sechs Jahren empfohlen», betont Simonetti. 

«Bei Kindern mit einem erhöhten Risikopotenzial für Bluthochdruck, also mit Nieren- und Herz-Kreislauf-Erkrankungen, bei familiärer Vorbelastung von Hypertonie in der Familie, bei Frühgeborenen, bei laufender Kortison- und Ritalinbehandlung sowie bei übergewichtigen und fettleibigen Kindern, sollten allerdings immer zusätzlich weitere gezielte Messungen erfolgen.»

Dasselbe gilt, wenn unklare Symptome wie häufiges Nasenbluten und Erbrechen, anhaltende Kopfschmerzen und Schwindel auftreten, die, neben anderen Ursachen, auch auf einen erhöhten Blutdruck hinweisen können.

Weshalb ist es bei Kindern so schwierig eine Diagnose zu stellen?

Die Diagnose eines Bluthochdrucks bei Kindern und Jugendlichen ist deutlich schwieriger zu stellen als bei Erwachsenen. «Zum einen benötigt der Arzt spezielle Blutdruckmanschetten, die für die unterschiedlichen Oberarmgrössen der Kinder jeweils passend sind», betont Simonetti. «Zum anderen wechselt der Blutdruck bei Kindern situationsabhängig schnell.» Deshalb werden bei Kindern immer drei voneinander unabhängige Blutdruckmessungen vorgenommen. «Erst wenn alle drei Werte über der Norm liegen, kann man von erhöhten Werten ausgehen», erklärt der Kinderarzt. «Sicherheitshalber wird meist zusätzlich noch eine ambulante 24-Stunden-Messung durchgeführt.»

Nicht ganz einfach ist die Diagnosestellung bei Kindern vor allem auch, weil es für Kinder – anders als für Erwachsene – keinen feststehenden Grenzwert für Bluthochdruck gibt. So ist der für Erwachsene optimale Blutdruckwert von 120 zu 80 mmHg zum Beispiel für einen 12-Jährigen gerade noch in Ordnung, für einen 9-Jährigen schon zu hoch und bei einem Säugling ein absoluter Notfall.

Die Grenzwerte für Bluthochdruck müssen bei Kindern also jeweils individuell in Abhängigkeit von Alter, Grösse und Geschlecht berechnet werden. Für Kinder bis einschliesslich zehn Jahre gilt dazu folgende Faustformel: Lebensjahre mal zwei plus 100 für den oberen Blutdruckwert und Lebensjahre mal zwei plus 60 für den unteren Wert. Ab 11 bis 17 Jahre wird der untere Wert mit Anzahl der Lebensjahre plus 70 berechnet.

Meist hilft eine Lebensstiländerung

Auch wenn Bluthochdruck bei Kindern eine sehr ernst zu nehmende Erkrankung darstellt, lässt sich die Krankheit in der Regel gut behandeln. Meistens ist das sogar ohne blutdrucksenkende Medikamente möglich. «Bei organischen Ursachen muss in erster Linie die zugrunde liegende Krankheit therapiert wer­den», weiss Simonetti. «Ist Überge­wicht die Ursache, kann eine Lebensstiländerung gute Erfolge bringen.» Betroffene Kinder und Jugendliche müssen dazu lernen, ge­sünder und fettarmer zu essen.

«Es ist auch wichtig, den zuvor hohen Salzkonsum zu reduzieren.»

Professor Giacomo Simonetti,

Dazu muss oft der komplette Speiseplan der Kinder auf den Kopf gestellt werden: weg von kalorienreichen, aber nährstoffarmen Fast­ Food­-Gerichten und Süssigkeiten vor dem Fernseher hin zu viel Ge­müse und Obst, satt machenden Vollkornprodukten und fettarmen tierischen Eiweisslieferanten in Form von Milchprodukten, Fleisch und Fisch.

«Wichtig im Sinne der Blutdrucksenkung ist auch, den vor­her oft hohen Salzkonsum zu redu­zieren», weiss Simonetti. «Zudem sollten stark zuckerhaltige Getränke vermieden und der Durst mit Mine­ralwasser, Saftschorlen und unge­süssten Tees gestillt werden.»

Ausserdem sollten die Kinder anfangen, sich wieder mehr zu bewegen. «Dazu muss kein Hochleistungssport betrieben werden», betont der Kinderarzt. «Leichte Ausdauersportarten wie Walken, Schwimmen oder Fahrradfahren bringen schon viel.» Damit die Kin­der diese Lebensstiländerung aber auch umsetzen und vor allem durch­halten können, brauchen sie tatkräf­tige Unterstützung. Dazu gibt es in der Schweiz viele Programme, Camps und Gruppen mit Gleichgesinnten, die es einfacher machen.

Lokale Adres­sen können auch bei den Kinderärzten erfragt werden. Vor allem aber ist es wichtig, dass die Eltern den neuen Lebensstil unterstützen und möglichst selbst mit gutem Beispiel vorangehen. Es lohnt sich, denn mit jedem Pfund, das purzelt, sinkt auch der Bluthochdruck.

Bild: iStock


Was ist Bluthochdruck?

  • Der Blutdruck ist der Druck, den das Blut beim Fliessen durch die Arterien mit jedem Herzschlag auf die Gefässe ausübt. 
  • Er verläuft wellenförmig und schwankt dabei ständig zwischen zwei Werten, die auch bei jeder Blutdruckmessung ermittelt werden: 
  • Der obere Wert ist der sogenannte systolische Wert. Er gibt den höchsten Druck auf die Blutgefässe an, wenn das Herz sich zusammenzieht und das Blut in die Arterie pumpt. 
  • Der untere Wert ist der sogenannte diastolische Wert, wenn das Herz erschlafft, um sich wieder mit Blut zu füllen und den niedrigsten Druck auf die Gefässe ausübt. 
  • Beide Werte werden in Millimeter Quecksilbersäule (mmHg) angegeben. Steigen diese Werte dauerhaft über einen gewissen Grenzwert an, spricht man von Bluthochdruck.

Hilfe bei Bluthochdruck

Fachverband Adipositas im Kindes- und Jugendalter (akj)

Viel Information und Adressen von Präventions- und multiprofessionell strukturierten Therapieangebote für Kinder und Jugendliche mit Übergewicht und Adipositas in der Schweiz.
www.akj-ch.ch

Feel-OK

Kind- und jugendgerechte Informationen zum Thema gesunde Ernährung (und anderen Themen) mit lustigen Online-Tests zur spielerischen Wissensvermittlung wie dem «Fast-Food-Check» oder dem «Spiel der Lebensmittelpyramide».
www.feel-ok.ch

ZACK – Zürcher Adipositas Camp für Kinder 

Sportcamps speziell für übergewichtige Kinder und Jugendliche im Kanton Zürich, die während der Schulferien stattfinden.
sport.zh.ch

Laureus – Girls in Sport

Sportcamp für Mädchen von 12 bis 17 Jahren mit dem Ziel, Spass am Sport ganz ohne Leistungsdruck zu vermitteln.
www.laureus.ch

Moderne, umfassende Adipositasprogramme bieten auch Kliniken wie zum Beispiel:

Universitätsspital Zürich

Inselspital Bern

Schweizerische Gesellschaft für Ernährung

Empfehlungen für ausgewogenes Essen und Trinken für Kinder mit der Schweizer Ernährungsscheibe
www.sge-ssn.ch/ich-und-du/essen-und-trinken/von-jung-bis-alt/kindheit

Zur Autorin:

Anja Lang ist Medizinjournalistin und Mutter von drei Kindern. Sie wohnt bei München.
Anja Lang ist Medizinjournalistin und Mutter von drei Kindern. Sie wohnt bei München.