«Ich hätte mir mehr Koordination vom Bund gewünscht» - Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi
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«Ich hätte mir mehr Koordination vom Bund gewünscht»

Lesedauer: 3 Minuten

Am 11. Mai gehen Kindergärten und Primarschulen auf, das steht fest. Wie aber gestaltet sich die Rückführung in die normale Schulsituation wirklich? Thomas Minder, der oberste Schulleiter der Deutschschweiz, im Interview zum geplanten Schulstart.

Wie geht es Ihnen persönlich als Vater von drei schulpflichtigen Kindern und als oberster Schulleiter der Schweiz?

Als Vater geht es mir sehr gut, in bin in einer privilegierten Lage und zwar sind meine Kinder sehr selbstständig. Zurzeit müssen sie sich teilweise selber organisieren – natürlich gibt es manchmal Streitigkeiten, aber sie machen meiner Frau und mir die aktuelle Situation einfach. Auch als oberster Schulleiter geht es mir gut, ich habe gute Unterstützung von der Geschäftsleitung und von den Kantonalpräsidien. Ich bin zufrieden, aber auch etwas müde. Die letzten Wochen waren intensiv. 

Wie geht es Ihnen, Herr Minder?

Thomas Minder im Zoom-Interview mit Online-Redaktorin Hanna Lauer.

Der Bundesrat hat entschieden, ab 11. Mai darf der Unterricht in den Primar- und Sekundarschulen wieder vor Ort stattfinden. Wie stehen Sie zu diesem Entscheid?

Wir begrüssen den Entscheid sehr. Die Einschätzung des Bundesamts für Gesundheit (BAG) ist vernünftig. Unsere Lehrpersonen freuen sich, dass die Schülerinnen und Schüler wieder in die Schule kommen. Sie vermissen die Kinder.

Wo sehen Sie Chancen, wo Gefahren?

Die Chance ist der analoge Unterricht. Auch wenn ich persönlich sehr digital unterwegs bin, der Präsenzunterricht ist in der Primarstufe entscheidend. Als Gefahr sehe ich vulnerable Personen – da müssen wir uns überlegen wie wir damit umgehen wollen.

Welche weiteren Schutzkonzepte empfehlen Sie?

Hände waschen, Hände desinfizieren und aufs Händeschütteln verzichten. Abstand der Lehrpersonen untereinander ist ebenfalls wichtig.

Ist mit dem Entscheid des Bundesrates jetzt alles geklärt oder fängt die Arbeit in den einzelnen Kantonen jetzt erst an in Bezug aufs Ausarbeiten spezieller Schutzkonzepte?

Es ist nicht alles geklärt. In Bezug auf die Schutzkonzepte muss man es individuell und vor Ort entscheiden, denn jedes Schulhaus sieht anders aus. Was ich speziell finde, dass jeder Kanton in Bezug auf den Präsenzunterricht seine eigenen Regeln macht. Es wird Kantone geben, die zum Beispiel in Halbklassen unterrichten. Die Westschweizer Kantone könnten die Schulöffnungen hinauszögern, da sie von der Pandemie stärker betroffen sind als wir in der Deutschschweiz. Dafür habe ich auch vollstes Verständnis. Generell hätte ich mir aber mehr Koordination und Vereinheitlichung vom Bund gewünscht. 

Was empfehlen Sie Eltern, die Ihre Kinder aus Sorge vor einer Ansteckung nicht in die Schule schicken möchten?

Wie wir wissen, sind Kinder selten von Corona betroffen. Wenn ein Kind kein medizinisches Problem hat oder mit einer infizierten Person im Haushalt lebt, muss es in die Schule kommen. Die Schulpflicht besteht und es gibt Regeln, die eingehalten werden müssen. Ich vertraue dem BAG und seinen Empfehlungen.
Ein interessantes Gespräch zum geplanten Schulstart am 11. Mai 2020. Lesen Sie hier ein längeres Interview mit Herrn Minder zu seinem Amtsantritt im August 2019. 
Ein interessantes Gespräch zum geplanten Schulstart am 11. Mai 2020. Lesen Sie hier ein längeres Interview mit Herrn Minder zu seinem Amtsantritt im August 2019. 

Gleiches Thema für Lehrpersonen, die Angst haben, sich anzustecken, im Lehrer- oder im Schulzimmer.

Wenn eine Lehrperson der Risikogruppe angehört oder Angehörige hat, die besonders gefährdet sind, sollte man natürlich zu Hause bleiben. Der Unterricht kann aber dennoch stattfinden und zwar als umgekehrter Fernunterricht. So kann beispielsweise die Klasse im Schulzimmer beschult und von Betreuungspersonen beaufsichtigt werden, während die Lehrperson Distance Learning über eine Kommunikationsplattform betreibt. 

Sind die Schulen gewappnet für eine mögliche zweite Welle?

Nein noch nicht, aber das ist das, was wir jetzt leisten müssen. Wir müssen uns Massnahmen überlegen, diese würde ich aber nicht ohne medizinischen Rat vom Kantonsärztlichen Dienst aufstellen wollen.

Thema Matur: Jeder Kanton darf selber entscheiden, ob es noch eine schriftliche Prüfung gibt oder nicht. Was sagen Sie dazu?

Dieses Thema ist in unserem Verband nicht angesiedelt, aber ich habe eine persönliche Meinung dazu. Ich finde es sehr verwirrend, dass jeder Kanton selber entscheidet und es teilweise individuelle Lehrpläne pro Schule gibt. Es heisst ja schliesslich eidgenössische Maturität.

Was sind Ihre persönlichen Learnings aus der Krise?

Zum einen habe ich gemerkt, dass es wichtig ist, in meiner Position Zuversicht auszustrahlen. Ich habe sehr viele positive Rückmeldungen erhalten. Man muss daran glauben, dass es gut kommt. Zum anderen das Lernen im digitalen Bereich: wir haben in den letzten sechs Wochen mehr gelernt als in den letzten sechs Monaten. Berührend fand ich die allgemeine Solidarität.

Thomas Minder: Der heute 44-Jährige begann nach der Matur ein Studium der Ingenieurwissenschaften und arbeitete danach als Flugbegleiter bei der Swissair, bevor er in St. Gallen das Studium als Sekundarlehrer phil II. abschloss und Lehrer wurde. Seit 13 Jahren leitet Thomas Minder die Volksschulgemeinde Eschlikon auf Stufe Kindergarten und Primarschule, viereinhalb Jahre lang präsidierte er den Thurgauer Verband der Schulleitenden VSLTG. Seit August ist er Präsident des Verbands VSLCH, in dem rund 2200 Schulleiterinnen und Schulleiter organisiert sind. Thomas Minder ist verheiratet und Vater dreier Kinder im Alter von 11, 13 und 14 Jahren.


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