Schulunterricht auf dem Acker - Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi
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Schulunterricht auf dem Acker

Lesedauer: 5 Minuten
Wussten Sie, dass man mit Parfüm Schädlinge vom Gemüse fern halten kann? Die GemüseAckerdemie fördert Nachhaltigkeit und Wertschätzung für Lebensmittel an Schulen und das Wiederbeleben von alten Schulgärten. Wir haben eine 3. Primarklasse bei ihrer Arbeit auf dem Acker begleitet.
Es ist der erste Donnerstagmorgen nach den Sommerferien, als sich die frisch gebackenen 3. Klässlerinnen und 3. Klässler des Zürcher Schulhauses Im Gut in Reih und Glied vor dem Schulgarten versammeln. Die Sonne strahlt, es ist bereits um acht Uhr morgens heiss. Bewaffnet mit Znüni, gekleidet in Gummistiefel und Latzhose warten die Kinder gespannt bis sich die Türe zu ihrem «Traumgarten» öffnet. 
 
Was ist in den Sommerferien passiert? Welches Gemüse ist gewachsen?
Kaum hat die Klassenlehrerin Harriet Jenkins die Türe aufgeschlossen, stürmen die Schülerinnen und Schüler los. Staunend beobachten sie die wuchernden Pflanzen auf den vier Beeten. «Wow, sind die Kürbisse gross geworden!» ruft ein Schüler. Im «Garten Eden» hat sich über die Sommerferien viel getan: die verschiedenen farbigen Tomaten hängen schwer an ihren Sträuchern, der Mangold präsentiert sich wie ein üppiger Blumenstrauss und die riesigen Kürbisse liegen von der Sonne geküsst légère unter ihren Blättern auf dem Boden.
«Wir versammeln uns nun alle vor Beet eins!» ruft die Klassenlehrerin. Die Kleinen brauchen einen Moment bis sie sich vor Beet eins einfinden. «Darf ich die Spinne auch mal halten?», raunt es aus der Menge. «Du hast sie schon gehalten, jetzt will ich!» Beim zweiten Zurufen der Lehrerin klappt es. Alle stehen vor Beet eins und beantworten Fragen, wie «Welches Gemüse wächst hier?», «Hat es genug Wasser?», «Was müssen wir hier machen?», «Wie hat sich der Boden und die Ernte verändert in den vergangenen Wochen und Monaten?»

Mit Freude ackern und Lebensmittel kennenlernen

Immer weniger Kinder und Jugendliche wissen, wo Lebensmittel herkommen oder haben schon einmal selber Gemüse angebaut. Dem möchte die 2013 ursprünglich in Deutschland ins Leben gerufene Bildungsinitiative entgegenwirken. «Wir wollen den Kindern Nachhaltigkeit und die Lebensmittelproduktion näherbringen», sagt Xenia Meier von der GemüseAckerdemie Schweiz. Ziel sei es einerseits, die vorhandenen Schulgärten wiederzubeleben und andererseits will man, dass sich die Kinder mit Freude und Begeisterung dem Themengebiet Lebensmittel nähern.

Sie lernen, woher Lebensmittel kommen und darüber hinaus, nachhaltig mit ihnen umzugehen. Bis zu 25 Gemüsearten lassen sich innerhalb des Projekts anbauen und pflegen. Durch das Bildungsprogramm lernen die Schülerinnen und Schüler die vollständige Produktionskette des Gemüseanbaus kennen und entwickeln so mehr Wertschätzung für Lebensmittel.

«Was haben wir hier im Glas?»

«Was haben wir hier im Glas?»

Es gibt viel zu tun in der Doppellektion auf dem Acker

Nachdem die Kinder alle vier Beete inspiziert haben geht es an die Aufgaben. «Was müssen wir heute ernten?», fragt Harriet Jenkins die Klasse. «Sicher die Tomaten!», ruft eine Schülerin. Die Klasse teilt sich auf: eine Gruppe erntet das Gemüse, eine andere bearbeitet die Fugen zwischen den Beeten und eine dritte bewässert die Sträucher. Eine vierte Gruppe sucht Insekten, die während der Doppellektion in kleinen Vergrösserungsgläsern untersucht werden. Zudem hat die Klasse eine eigene Methode zur Schädlingsbekämpfung entdeckt und zwar besprühen ein paar Schülerinnen und Schüler die Pflanzen mit Parfüm: «Das vertreibt die Schädlinge, sie mögen keine Parfüms», erklärt eine Schülerin.

«Die Abwechslung zwischen Frontalunterricht und Ackerarbeiten tut den Kindern sichtlich gut», sagt Harriet Jenkins und weiter: «Sie sind danach konzentrierter im Schulzimmer». Besonders Kinder, die Mühe haben im Unterricht zuzuhören, leben auf dem Acker auf. Eine willkommene Abwechslung auch für die Primarlehrerin: «Auch ich lerne mehr über den Gemüseanbau und die Lebensmittelproduktion kennen, vieles wusste ich nicht.» Sie schätzt die Zusammenarbeit mit der GemüseAckerdemie und hofft, dass das Projekt ein fester Bestandteil des Unterrichts an ihrer Schule wird. In der Schweiz sind es seit dem Programmstart im Jahr 2018 rund 20 Schulen, die mitackern.

Während den Sommerferien war der Schulgarten jeweils einmal pro Woche für ein paar Stunden offen, so stand es den Kindern frei auch während den Schulferien unter Aufsicht auf dem Acker zu arbeiten.

Es wird geackert, geerntet und bewässert.

Es wird geackert, geerntet und bewässert.

Die Zeit vergeht wie im Flug draussen

Die Lektion neigt sich dem Ende zu. Der Tisch, wo das geerntete Gemüse draufliegt, quillt über. Unglaublich was die Kinder in dieser kurzen Zeit aus den Beeten geholt haben: ein kunterbuntes Bouquet aus Tomaten, Gurken, Zwiebeln, Mangold, Zucchinis, Bohnen etc. ziert den Tisch. «Was haben wir heute geerntet?», will die Klassenlehrerin zum Schluss wissen. «Bohnen!» ruft ein Schüler. «Tomaten!», ein anderer. Nochmals wird jedes Gemüse durchgegangen. Nun geht es ans Aufräumen. Die Schaufeln müssen versorgt werden, der Boden gewischt und die Beete bewässert. Eilig machen sich die Kinder an die Arbeit, denn wer schnell fertig ist, darf früher in die grosse Pause.

Was passiert nun mit dem ganzen geernteten Gemüse? «Wir geben es den Kindern mit nach Hause oder verwerten es selber und bringen es für die Kinder wieder mit als Schokozucchinikuchen, Bohnensalat oder Palmkohlchips», sagt Jenkins. Aber auch gemeinsam als Klasse werde das Gemüse gegessen: «Wir verwerten es als Znüni mit Kresse und Radieschen, Salat zum Zvieri, Ofenpommes zum Zmittag oder Tomatensalat zwischendurch», so Jenkins weiter. «Die Reaktionen der Eltern sind positiv, schon mehrmals wurde das Gemüse zuhause verarbeitet und dann beispielsweise als Zucchinibrot für die ganze Klasse den Kindern mitgeben.» Die Pause naht, der Schulgarten ist aufgeräumt. In fünf Minuten läuten die Glocken für die grosse 10 Uhr Pause. «Paaaauuuuseee», ruft die Klassenlehrerin und im Nu ist der «Garten Eden» menschleinleer.

«Was ist das für ein Gemüse?», fragt Harriet Jenkins

«Was ist das für ein Gemüse?», fragt Harriet Jenkins

Das macht die GemüseAckerdemie:

Der Verein GemüseAckerdemie Schweiz unterstützt die Lehrkräfte bei der Organisation und Durchführung des Unterrichts auf dem Acker. Wie funktioniert das? Der Acker wird unmittelbar auf oder in der Nähe des Schulgeländes angelegt. Als pädagogischer Lernort genutzt, verbringen die Kinder und Jugendlichen während des Jahresprogramms im Schnitt 80 bis 100 Stunden auf dem Acker. Begleitend zur Praxis auf dem Acker gibt es stufengerechte Bildungsmaterialien für das ganze Ackerjahr. Das Jahresprogramm ist in drei Programmphasen gegliedert: 

  • Die VorAckerZeit von Januar bis April beinhaltet die organisatorische und inhaltliche Vorbereitung: Die Lehrkräfte nehmen an der ersten Fortbildung teil und die Schul- und Kindergarten-Kinder bekommen einen ersten Einblick in das Thema Gemüseanbau, biologische Vielfalt sowie Bodenfruchtbarkeit.
  • Die AckerZeit von April bis Oktober ist das Herzstück des Programms: Die Arbeit auf dem Acker. Nach der Bepflanzung des Schulgartens geht es pro Woche eine Doppelstunde innerhalb des Unterrichtfachs Natur-Mensch-Gesellschaft des Lehrplanes auf den Acker. Die Kinder pflanzen, pflegen, ernten, probieren, verwerten ihr Gemüse. Teilweise vermarkten sie es auch.
  • Die NachAckerZeit von Oktober bis Dezember bietet einen Blick «über den AckerRand»: Hier werden weiterführende Unterrichtsthemen wie Lebensmittelverschwendung und Haltbarmachung vertieft.

Bücher und Links fürs Ackern zuhause:


Hanna Lauer ist Onlineredaktorin beim Fritz+Fränzi. Den grünen Daumen hat sie vor ein paar Jahren entdeckt. Seit da ist ihr Balkon grüner und die Pflanzen und Kräuter ihre Kinder.
Hanna Lauer ist Onlineredaktorin beim Fritz+Fränzi. Den grünen Daumen hat sie vor ein paar Jahren entdeckt. Seit da ist ihr Balkon grüner und die Pflanzen und Kräuter ihre Kinder.


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