Die «Mobbingbrille» – eine Hilfe für Lehrpersonen - Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi
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Die «Mobbingbrille» – eine Hilfe für Lehrpersonen

Lesedauer: 4 Minuten

Die Mobbingexperten und Buchautoren Heike Blum und Detlef Beck haben ein ­Instrument entwickelt, das Lehrpersonen helfen kann, Mobbing auf die Schliche zu kommen: die Mobbingbrille.

Mobbing als solches zu erkennen, ist eine Herausforderung. Erstens, weil es nicht nur im Klassenzimmer stattfindet, zweitens, weil Mobber in aller Regel verdeckt vorgehen, so dass Erwachsene nichts mitbekommen: Schülerbefragungen zufolge entgeht Lehrpersonen jede dritte Mobbingsituation, die sich in ihrer Anwesenheit abspielt. Die Mobbingexperten und Buchautoren Heike Blum und Detlef Beck haben ein ­Instrument entwickelt, das Lehrpersonen helfen kann, Mobbing auf die Schliche zu kommen: die Mobbingbrille. «Wir setzen diese symbolisch auf, wenn wir bemerken, dass sich ein Kind oder Jugendlicher ohne ersichtlichen Grund ­verändert oder Eltern einen Mobbingvorwurf äussern», sagt Beck. Unter der Prämisse, dass Mobbing ein möglicher Grund für die Veränderung sein könnte, ist es sinnvoll, dass Lehr­personen in drei Bereichen genauer hinsehen und -hören:

Signale
Schüler, die von Mobbing betroffen sind, verbringen die Pausen häufig allein, spielen kaum mehr mit anderen Kindern und arbeiten im Unterricht lieber für sich. Vielfach klagen Betroffene über Kopf- oder Bauchschmerzen, kommen zu spät in den Unterricht, weil sie Umwege gehen, oder suchen Schutz bei den Erwachsenen, indem sie nach dem Unterricht Kontakt zur Lehrperson suchen oder die Pause in der Nähe des Lehrerzimmers verbringen. Weitere Warnsignale sind, wenn das Kind im Vergleich zu früher ängstlicher oder zunehmend aggressiv wirkt, sich zurückzieht oder Wutanfälle sich häufen.

Handlungen
Im Fall von Mobbing lässt sich bei genauerem Hinschauen erkennen, dass Klassenkameraden das betroffene Kind ­häufiger auslachen, immer wieder beschuldigen oder ­regelmässig abwertende Bemerkungen machen, wenn es etwas sagt. Im Unterricht wird das Kind häufig von ­Gruppenarbeiten ausgeschlossen, im Sport zuletzt oder gar nicht in die Mannschaft gewählt.

Informationsquellen
Soweit notwendig, erweitert die Lehrperson ihre eigenen Beobachtungen um die Einschätzung weiterer Personen, die ebenfalls Auskunft über die Situation des Kindes geben können. Hilfreich sind etwa Rückmeldungen von anderen Lehrpersonen, Mitschülern, Mensa-Personal, Hausmeistern oder von Eltern.

Mutig gegen Mobbing

Das Präventionsprogramm Be-Prox der Mobbingforscherin Françoise Alsaker will Lehrpersonen befähigen, die Gruppendynamik in ihrer Klasse positiv zu beeinflussen. Die wichtigsten Handlungsempfehlungen im Überblick:

  • Um Mobbing stoppen zu können, muss man es wirklich stoppen wollen. Es ist notwendig, dass sich die Lehrperson mit ihrer eigenen Einstellung zum Thema auseinandersetzt, denn eine klare Meinung ist die Grundlage für klare ­Botschaften.
  • Eine anonyme Schülerumfrage zum Thema Mobbing ist hilfreich, damit sich alle Beteiligten – inklusive Eltern – ein Bild von der Situation machen können. Vorher ist jedoch Sensibilisierungsarbeit nötig, damit alle wissen, wovon die Rede ist.
  • Im Vorfeld dieser Klassengespräche sollten die Schüler Zeit haben, selbst über Mobbing nachzudenken. Überlegungen und Fragen, die dabei aufkommen, können sie in die ­nachfolgende Klassendiskussion einbringen. 
  • Im Klassengespräch können unterschiedliche Fragen als Anregung dienen: Was denken wir über Mobbing? Welche Erfahrungen haben wir damit gemacht? Wie fühlen sich Mobber und Opfer? Kinder machen sich viele Gedanken über Gewalt, Freundschaft oder Gerechtigkeit, werden aber selten aufgefordert, sich zu äussern. Das Ansprechen von Mobbing bietet eine gute Möglichkeit, herauszufinden, wie es den Schülern und der Klasse geht.
  • Stufengerechte Vorlagen für die Schülerumfrage finden sich im Buch «Mutig gegen Mobbing». Wichtig ist, dass den Kindern Anonymität und Vertraulichkeit versichert werden. Die Auswertung der Fragebögen sollte für alle involvierten Lehrpersonen, Kinder und Eltern einsehbar sein. 
  • Idealerweise wird die Umfrage gleich in mehreren Klassen oder an der ganzen Schule durchgeführt. Im Anschluss zur Auswertung können Lehrpersonen gemeinsam ­Thementage oder -stunden durchführen, die Befunde aus der Umfrage aufgreifen. 
  • Reden allein genügt nicht: Gemeinsam erarbeitet die Klasse mit der Lehrperson einen Verhaltensvertrag. Er sollte nicht zu viele, klar formulierte und nachvollziehbare Regeln beinhalten. Der Vertrag wird sichtbar aufgehängt und von allen unterschrieben.
  • Der Vertrag beinhaltet idealerweise Hinweise auf ­angemessenes Reagieren bei Mobbing. Zum Beispiel Vereinbarungen dazu, wie und wann Hilfe zu holen ist, oder eine Regel, die besagt, dass es die Pflicht aller ist, Mobbinghandlungen zu stoppen.
  • Ein Verstoss gegen die Abmachungen zieht Konsequenzen nach sich. Klasse und Lehrperson besprechen im Voraus gemeinsam, welche Massnahmen sinnvoll wären. 
  • Die Konsequenz einer Regelübertretung sollte wenn möglich eine Wiedergutmachung sein. Jedes Kind kann sich im Vorfeld selbst überlegen, was es sich als ­Wiedergutmachung wünscht, wenn ein Klassenmitglied seine Grenzen nicht respektiert. Diese Vorschläge können im Plenum oder mit der Lehrperson besprochen, ­gutgeheissen oder abgelehnt werden. 
  • Regelmässige positive Rückmeldungen und Lob für ­erfreuliches Verhalten sind wichtig, um die Schüler zu ­motivieren, sich weiterhin an den Vertrag zu halten. 
  • Das Ziel ist es, Kinder zu ermutigen, Bescheid zu geben, wenn etwas passiert, das nicht mit den Abmachungen ­übereinstimmt. Hierzu müssen Schüler aber wissen, dass die Lehrperson hinter ihnen steht. Mitverantwortung und ­Zivilcourage sind keine Mutprobe: Kinder müssen Mobber nicht eigenhändig stoppen, aber sie können Hilfe holen.
  • Wichtig ist es, mit den Schülern im Gespräch zu bleiben, um mehr über ihre individuellen Interessen zu erfahren. Dieses Wissen kann hilfreich sein, wenn es darum geht, soziale Themen als Klasse anzugehen.

Sämtliche Arbeitsunterlagen für das Progeramm Be-Prox finden Lehrpersonen im Buch «Mutig gegen Mobbing in ­Kindergarten und Schule» von Françoise Alsaker.

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Dieser Artikel gehört zum Online-Dossier Mobbing Lesen Sie mehr zu Fragen, wie: Wie werden Kinder zu Tätern, warum werden sie zu Opfern? Und was können Eltern und Lehrpersonen tun?
Dieser Text stammt aus dem Juniheft 2020.
Dieser Text stammt aus dem Juniheft 2020. Sie können das gesamte Heft hier als Einzelausgabe bestellen.
Wer hatte auch schon mal mit Mobbing zu kämpfen? Wir sammeln Ihre Erlebnisse, gerne auch anonym.
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