Kindergartenkinder und Medien: 6 Fragen und Antworten - Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi
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Kindergartenkinder und Medien: 6 Fragen und Antworten

Lesedauer: 5 Minuten

Die digitale Welt ist längst Teil unseres Erwachsenenlebens. Für Kindergartenkinder ist der Medienkonsum jedoch keineswegs selbstverständlich. Eltern sollten den Umgang ihrer Kinder mit Handy und Co. regelmässig überdenken und überprüfen. Die Medienpädagoginnen Eveline Hipeli und Bo Reichlin liefern Denkanstösse für sechs konkrete Situationen.

1. Darf das Handy als Zeitfüller benutzt werden?

«Ich fahre mit meiner Tochter, 4, und einer befreundeten Mutter Tram. Während der Fahrt schaut sich ihr gleichaltriger Sohn auf dem Handy der Mutter Familienfotos und -videos an. Er war damit so beschäftigt, dass er mit uns kein Wort mehr gesprochen hat. Seitdem verlangt meine Tochter im Tram jedes Mal auch mein Handy. Soll man einem Kind das Handy als Zeitfüller geben?»

Eveline Hipeli antwortet:

Grundsätzlich gilt: Je jünger das Kind, desto unwichtiger sollten digitale Geräte sein. Bei Kindern unter 10 Jahren sollten sie im Alltag nur eine geringe Rolle spielen. Kinder haben in diesem Alter andere Bedürfnisse.

In der beschriebenen Situation im Tram hätte ich dem Bub kein Handy zur Ablenkung gegeben, da noch ein anderes Kind dabei war. Auch wenn es anstrengend ist: Eltern sollten dafür sorgen, dass die Konkurrenzangebote interessanter sind als das Handy. Aus dem Fenster schauen oder «Ich sehe was, was du nicht siehst» spielen zum Beispiel. Kinder im Tram sollen miteinander interagieren. Und nicht jedes für sich in ein Handy starren.

2. Bei einer Party mit Kindern: ein Spielfilm als Babysitter

«An einem Brunch bei Freunden durften die Kinder einen Pixar-Film (FSK 0) schauen. Die anderen Eltern unterhielten sich am Tisch. Unsere Kinder (3 und 6 Jahre alt) haben den Film nicht verstanden und kamen mit Fragen zu uns. So setzten wir uns schliesslich mit ihnen hin, statt in Ruhe zu essen und mit unseren Freunden zu plaudern. Das hat uns sehr geärgert. Ab wann können Kinder längere Filme schauen? Und sollen Kinder diese ohne Begleitung schauen dürfen?»

Eveline Hipeli antwortet:

Ein klassischer Fall von «gut gemeint, aber schlecht umgesetzt». Die Gastgeber hätten die Eltern im Vorfeld über den Film informieren müssen. Zudem wird die Altersfreigabe oft missverstanden. Die freiwillige Selbstkontrolle der Filmwirtschaft FSK sagt nichts über die pädagogische Eignung eines Films aus und heisst nicht, dass Kinder ab 0 Jahren diesen Film sehen sollen. Bei FSK geht es nur um den rechtlichen Rahmen. Auch mit FSK 0 gekennzeichnete Filme können «gfürchige» oder missverständliche Inhalte beinhalten, die ein Kind nicht verarbeiten kann. 
Lange Filme sind für kleine Kinder völlig ungeeignet. Auch wenn Kindergartenkinder bei einem Trickfilm sitzen bleiben, heisst das noch nicht, dass sie alles verstanden und verarbeitet haben. Je jünger ein Kind, desto wichtiger ist es, dass eine erwachsene Bezugsperson mitschaut und bei Fragen zur Stelle ist. Kinder im fortgeschrittenen Primarschulalter können längere, von Eltern ausgewählte Filme alleine oder mit Freunden anschauen – und diese ganz anders entschlüsseln.

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Dieser Artikel gehört zu unserem Online-Dossier zum Thema Medienkonsum. Erfahren Sie mehr darüber, worauf Eltern bei der Medienerziehung achten müssen und informieren Sie sich zu den aktuellsten Erkenntnissen.


3. Fernsehen bei der Tagesmutter

«Wir hüten in der Nachbarschaft als informelle Tagesmütter gegenseitig die Kinder. So geht meine Tochter, 5, einmal die Woche zu einer Freundin. Diese hat eine ältere Schwester, die regelmässig fernsehen darf. Nur zu gern schaut meine Tochter mit. Eigentlich möchte ich das nicht, weil ich aber auf diese Betreuung angewiesen bin, schweige ich. Ist das klug?»

Eveline Hipeli antwortet:

Ich rate, das Thema TV auf jeden Fall anzusprechen. Im Bewusstsein, dass in anderen Haushalten andere Regeln gelten können. Eventuell kann die ältere Schwester ihre Sendung in einem anderen Raum ansehen, damit die jüngeren Mädchen ohne Ablenkung etwas anderes spielen können? Andernfalls gibt es die Möglichkeit, gemeinsam mit den drei Kindern in die Bibliothek zu gehen und eine altersgerechte DVD auszuleihen.

4. Eine Geburtstagsparty im Kino für Fünfjährige?

«Ein Kollege aus dem grossen Kindergarten lädt meinen Sohn (der ein Jahr jünger ist) zu einer Geburtstagsfeier im Kino ein. Gezeigt wird der neuste Disney-Film. Unser Sohn war noch nie im Kino und es war geplant, dass ich das erste Mal mit ihm dorthin gehe. Kann ich ihm die Geburtstagsparty aus diesem Grund verwehren?»

Bo Reichlin antwortet:

Kinder sind emotionale Wesen. Ihre Hirnreifung ist noch nicht abgeschlossen. Deshalb reagieren Kinder auch innerhalb einer ähnlichen Altersgruppe sehr unterschiedlich auf Filme. So können schnelle Schnittfolgen, eine brenzlige Situation oder eine gefahrengeladene Geräuschkulisse Ängste auslösen, die nicht alleine verarbeitet werden können. Bei schwierigen Szenen ist es wichtig, dem Kind zu signalisieren, dass man da ist. Man nimmt es beispielsweise auf den Schoss oder hält seine Hand. Je schneller man nach Filmende über Eindrücke und Gefühle sprechen kann, desto besser. Der erstmalige Kinobesuch ist daher nicht zu unterschätzen. Vor diesem Hintergrund empfehle ich, das Kind auf das Erlebnis vorzubereiten und das Kino gemeinsam zu besuchen. Nur so können Eltern herausfinden, wie ihr Kind im Kino reagiert, und gleichzeitig sicherstellen, dass problematische Medieninhalte ihr Kind nicht nachhaltig belasten.

5. Handy-Game auf dem Spielplatz

«Kürzlich spielte mein vierjähriger Sohn auf dem Spielplatz mit einem unbekannten Jungen. Ich kümmerte mich um mein jüngeres Kind. Später sah ich die beiden Jungs auf ein Handy starren. Mein Sohn darf zu Hause nicht einfach so mit dem Handy spielen. Später sah ich, dass der fremde Junge ein Game spielte, das ich nicht als altersgerecht empfand. Wie erkläre ich meinem Kind, dass ich nicht will, dass er sich solche Sachen anschaut?»

Bo Reichlin antwortet:

Inhalte mit Gewalt sind für Kinder völlig ungeeignet und können sie überfordern und verstören. Hier ist die elterliche Intervention mit einem klaren «Stopp, nicht erlaubt» unvermeidlich. Als Eltern haben wir das Privileg, den Kindern mediale Inhalte zugänglich zu machen und sie vor problematischen Inhalten zu schützen. Wer sein Kind in jungem Alter beim Umgang mit Medien gut begleitet, schafft gute Voraussetzungen, dass es zu einer medienkompetenten Person heranwächst.

6. Minecraft mit den Cousins

«Mein Sohn, 6, ist regelmässig bei seinen Cousins (8 und 12) zu Besuch. Die beiden spielen gerne Minecraft. Mein Sohn schaut meistens zu, manchmal darf er auch spielen. Wenn ich ihm das verbieten will, tobt er. Meine Schwägerin macht null Regeln für ihre Jungs, sie spielt manchmal gerne selber mit. Wie viel Gamezeit macht Sinn?»

Bo Reichlin antwortet:

Was uns Erwachsenen völlig harmlos vorkommen mag, kann Ihr Kind verstören. Ein Beispiel: Während des Nachtrhythmus dieses Spiels erscheinen je nach Schwierigkeitsgrad aggressive Monster, die den Spieler überraschen können. Deshalb ist es wichtig, dass Sie Ihr Kind beim Gamen beobachten und entsprechend reagieren, wenn es sich ängstigt oder überfordert ist. Auch verlangt Minecraft vom Spieler Geschicklichkeit bei der Bedienung.

Das Spielerlebnis ist schier grenzenlos, die Grenze ist die eigene Kreativität. Dementsprechend besteht die Gefahr, dass man für gewisse Bauten Stunden oder Tage aufwendet. Hier muss auf alle Fälle mit dem Kind eine Zeitregel vereinbart werden, beispielsweise in Form eines Wochenbudgets. Ich empfehle für unter Siebenjährige eine Mediennutzung von maximal 20 Minuten pro Tag als Richtwert. Eine flexible Einteilung des Zeitbudgets je nach Wetter, Verabredungen usw. lehrt das Kind von Anfang an den eigenverantwortlichen Umgang mit Spielen. Wird bei den Cousins gespielt, schrumpft das Wochenbudget entsprechend. Mit der Mutter würde ich das Gespräch suchen, ihr von den eigenen Befürch­tungen erzählen und die Zeit­regelung einbringen, an die sich der Junge halten muss.


Zu den Personen:

Eveline Hipeli ist Medienpädagogin, Kommunikationswissenschaftlerin und Dozentin an der Pädagogischen Hochschule Zürich. Als Mutter von drei Mediennutzern (2, 5 1⁄2 und 8 Jahre) kennt sie die Herausforderungen: Ihr Smartphone gibt sie fast nie in Kinderhände. Und trotzdem kennen ihre Kinder einige Kinder-Apps. Zurzeit besonders beliebt: eine Mathe-App und Fiete.
Eveline Hipeli ist Medienpädagogin, Kommunikationswissenschaftlerin und Dozentin an der Pädagogischen Hochschule Zürich. Als Mutter von drei Mediennutzern (2, 5 1⁄2 und 8 Jahre) kennt sie die Herausforderungen: Ihr Smartphone gibt sie fast nie in Kinderhände. Und trotzdem kennen ihre Kinder einige Kinder-Apps. Zurzeit besonders beliebt: eine Mathe-App und Fiete. www.ulladieeule.ch
Bo Reichlin ist Medienwissenschaftlerin und Dozentin für frühkindliche Medienerziehung und Mutter von drei Kindern (7, 6 und 4 Jahre alt). Medienzeit ist Familienzeit: Die Familie hört gerne Zambo auf SRF 3 – leider konnten sie bis heute noch nie beim Besserwisserwettbewerb teilnehmen.
Bo Reichlin ist Medienwissenschaftlerin und Dozentin für frühkindliche Medienerziehung und Mutter von drei Kindern (7, 6 und 4 Jahre alt). Medienzeit ist Familienzeit: Die Familie hört gerne Zambo auf SRF 3 – leider konnten sie bis heute noch nie beim Besserwisserwettbewerb teilnehmen.
www.boreichlin.ch

Weiterlesen:

Dieser Artikel stammt aus dem Heft Kindergarten 2 Frühjahr/Sommer und richtet sich an Eltern von Kindergartenkinder im 1. Jahr.
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Kein Fernsehen unter 3, keine eigene Spielkonsole vor 6, Internet nach 9 und soziale Netzwerke nach 12.

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