Fröhlich und furchtlos - Tipps für Eltern mit einem frechen Kind
Merken
Drucken

6 Tipps für Eltern mit einem frechen Kind

Lesedauer: 5 Minuten

Das neue Leben im Chindsgi verlangt Kindern vieles ab. Im Gegensatz zu den Eltern können sie aber mit Frust, Wut und Enttäuschung noch nicht gut umgehen. So können wir unserem Nachwuchs unter die Arme greifen.

Text: Claudia Landolt
Bild: Pexels

Vor vier Jahren kam mein Jüngster in den Kindergarten. Für uns beide war die Umstellung nicht einfach. Plötzlich waren die Vormittage sehr ruhig ohne meinen kleinen fröhlichen Strolch. Ich vermisste mein Kind sehr. Und für meinen Sohn war es eine Herausforderung, jeden Tag früh aufzustehen und vor dem Einschlafen die vielen Eindrücke zu verarbeiten. Wir brauchten beide ein halbes Jahr, bis sich alles gut eingespielt hatte.

Insgeheim beneidete ich die anderen Mütter aus dem Kindergarten. Deren Kinder sind doch so anders, dachte ich. Sie sprangen am Morgen munter aus dem Bett, hüpften vom «Chindsgi» in den Hort und von dort ins Ballett, zum Schwimmen und zum Geigenunterricht. Und mein Kind? Blieb am liebsten daheim, spielte, malte und wollte kuscheln.

Das Verhalten Ihres Rumpelstilzchens ist ganz normal. Es ist seine Art, mit dem Kindergartenstress umzugehen.

Dann hörte ich auf, mich mit anderen Müttern zu vergleichen oder von meinem Sohn mehr Aktivität zu verlangen. Wir gaben uns ganz einfach den Tagen hin, so gut es eben ging.

Andere Mütter, gleiche Sorgen

Monate später vertraute sich mir eine der anderen Mütter an. Sie sagte: «Ich weiss nicht, was mit Mila los ist. Entweder mag sie nicht aufstehen, oder dann will sie schon um 7 Uhr los. Und am Waldtag macht sie ein Theater, weil sie nicht mit ihren Feenflügeln rausdarf, sondern die Matschhosen anziehen muss. Sage ich nein, haut sie mich und schreit herum.»Ich spürte ihre Verzweiflung, als wäre es meine eigene.

Eine andere Mutter kam hinzu. Sie sagte: «Wenn Noah nach Hause kommt, gibts nur Geschrei. Er wirft sein Täschli und die Jacke auf den Boden und plagt seinen Bruder. Er flippt sofort aus und macht, was er will!»

Ich spürte ihre Ratlosigkeit, als wäre es meine eigene. Wir alle kennen solche Szenen, haben sie zigmal erlebt. Ich darf Ihnen jetzt, da mein Sohn in die zweite Klasse geht, mit gutem Gewissen sagen: Es geht vorbei. Es ist nur eine Phase (wirklich!). Das Verhalten Ihres Rumpelstilzchens ist ganz normal, denn es ist seine Art, mit dem Kindergartenstress umzugehen.

Anpassen will gelernt sein

Der Kindergarten stellt für das Kind eine Ausnahmesituation dar, die von ihm eine grosse Anpassungsleistung abverlangt. Im Kindergarten gibt es nur eine Bezugsperson für eine Vielzahl von Kindern. Das bedeutet für jedes Mädchen und jeden Jungen: warten, die eigenen Bedürfnisse aufschieben, genügsam sein, Frustration aushalten. Und dann sind da ja die vielen anderen, lauten, wilden Kinder. Und die neuen Spielsachen. Das Kind muss teilen, sich mit anderen arrangieren, zuhören und mithelfen, sich einordnen, Dinge tun, die es nicht so gerne tut, es soll freundlich sein, seine Ge­fühle unter Kontrolle behalten, es soll mitsingen und im Kreis still sitzen.

Ein Kind braucht unsere ­Aufmerksamkeit besonders, wenn wir es als anstrengend ­empfinden. Eltern sollten sich genau dann Zeit für es nehmen.

Das ist anstrengend, ermüdend, manchmal auch nervig, langweilig und einfach doof. Das Kind macht vieles durch, was wir Erwachsenen auch kennen – wenn wir zum Beispiel einen neuen Job antreten oder es bei der Arbeit gerade harzt. Im Unterschied zu Vier- und Fünfjährigen können wir mit diesen Gefühlen aber besser umgehen. Wir ­können unseren Frust, unsere Enttäuschung, unsere Müdigkeit und unser Unwohlsein sprachlich ausdrücken. Denn wir verfügen über die sogenannten exekutiven Funktionen, der Fachbegriff für Gefühlskontrolle.

Die Beherrschung der exekutiven Funktionen hält uns Erwachsene etwa davon ab, uns abends nach der Arbeit auf den Boden zu werfen und unseren Partner, unsere Partnerin anzubrüllen oder gar zu schlagen. Kinder lernen ­diese Emotionsregulierung erst in den Kindergartenjahren. So kommen sie oft in Situationen, in denen sie mit ihren kommunikativen Fähigkeiten überfordert sind. Sie greifen ganz automatisch auf nonverbale Möglichkeiten zurück, um so ihre Wünsche und Gefühle auszudrücken. Diese selbst erprobten Tipps könnten ihrem Kind helfen:

1. Die Wirkung von Kaffee und einer Umarmung

Das Kind schiebt die Krise, ich wandere zum Kaffeeautomaten. Das hilft mir, oft aber nicht dem Kind. Das weint vielleicht, stampft mit den Beinen, plagt den Hund, wird laut oder vergräbt sich im Zimmer. Da hat man als Mutter, Vater, Grossmutter oder Opa zwei Möglichkeiten: Man ignoriert das Geschrei, trinkt den Kaffee zu Ende und stöpselt sich notfalls Kopfhörer auf. Oder man geht zum Kind, nimmt es in den Arm, und lässt es weinen oder schreien. Manchmal weint man auch zusammen. Egal, ob Variante A oder B: Beides muss man aushalten können. Einfach ist es nicht, denn Erziehung ist nie leicht.

2. Über Gefühle sprechen ist schwierig

Es gibt Kinder, die sind in Krisen gut ansprechbar. Aber das Gespräch da­rüber, was es so wütend, traurig, still oder laut macht, ist schwierig, denn das Kindergartenkind ist noch nicht im Besitz aller emotionalen Fähigkeiten, es kann sich nicht selbst kontrollieren und auch seine Handlungen und mögliche Konsequenzen nicht durchdenken. Deshalb funktionieren erwachsene Anweisungen wie: «Beruhige dich bitte», «Ist ja nicht so schlimm», «Das wird schon wieder», «Morgen ist auch noch ein Tag» bei einem Kindergartenkind schlicht nicht. Sie sind für Kinder gar nicht nachvollziehbar. Die Lösung: Punkt 1, Variante B.

Trotz ist Ausdruck des kindlichen Unabhängigkeitsstrebens. Nur wer sich auflehnt, kann herausfinden, wer er wirklich ist, und seine Persönlichkeit autonom entwickeln.

3. Eine Mittagspause

Kinder können aus den unterschiedlichsten Gründen in Krawallstimmung sein. Vielleicht sind sie müde oder mussten sich einfach sehr zusammennehmen. Vielleicht war es sehr laut oder es gab Streit. Vielleicht hat ein Kind auch einfach Hunger, weil es seinen Znüni eingetauscht hat. Hungergefühlen können ein Stückchen Brot, Apfel-, Gurken- oder Rüeblischnitze Abhilfe schaffen. Bei emotionalen Geschichten helfen Zuhören, Mitgefühl, Verständnis, Ruhe – und eine Mittags- oder Ruhepause. 

4. «Es ist nur eine Phase»

Erst mit ungefähr sechs Jahren verfügt das kindliche Gehirn über eine Reife, wie wir sie als Erwachsene kennen. Zuvor, insbesondere zwischen drei und sechs Jahren, ist das Wachstum im Frontallappen des Gehirns am grössten. Das ist der Ort, an dem sich das Urteilsvermögen, die Aufmerksamkeit und Konzentration, aber auch das Planen und Aufschieben befinden. Ebenfalls erst ab vier Jahren verbessert sich der Informationsaustausch zwischen linker und rechter Hirnhälfte.

Das Kind befindet sich also jetzt in einem grossen Entwicklungsprozess. Dass es dabei manchmal nicht verstehen kann, weshalb es warten muss, nicht fernsehen darf oder im Singkreis mitmachen soll, ist diesem Prozess geschuldet. Heisst: Es weiss nicht immer, was es tut, denn es ist ja ein Kind und braucht daher in erster Linie Verständnis und Geduld. Das Wissen um diese Entwicklungsphase kann dabei helfen, beides aufzubringen.

5. Die Suche nach der Identität

Kinder testen beständig ihre Grenzen aus. Bis zum fünften Lebensjahr kann es immer wieder Trotzphasen geben – inklusive frechen Antworten und Titulierungen in Fäkalsprache. Solches ist als Ausdruck von Trotz zu verstehen, und Trotz wiederum ist der Ausdruck des kindlichen Unabhängigkeitsstrebens. Denn nur wer sich auflehnt, kann herausfinden, wer er wirklich ist und seine Persönlichkeit autonom entwickeln.

Weil kleine Kinder aufgrund ihrer unreifen Hirnstruktur noch nicht in der Lage sind, ihre Wünsche erwachsenenkonform zu formulieren, werden sie eben manchmal zu kleinen Rumpelstilzchen. Das Wissen um die identitätsstiftende Funktion des Trotzes kann helfen, «frechen» Kindern mit Verständnis und Humor zu begegnen.

6. «Gruusige» Wörter

Tatsächlich kommt es vor, dass ein Kind aus heiterem Himmel plötzlich das A-Wort, das F-Wort oder das Sch-Wort benutzt. Es merkt, dass die Erwachsenen darauf schockiert oder verärgert reagieren und findet das natürlich spannend. Wichtig ist unsere Reaktion darauf: Wenn wir dann schimpfen, bringt das wenig. Ich habe jeweils Folgendes praktiziert: erstens Ignorieren, zweitens deutlich machen, dass ich kein A… sein möchte, drittens mit Humor reagieren – und zur Not eine Fluchstunde einlegen. Am allerwichtigsten natürlich ist: Die Wörter, die man nicht hören möchte, selbst nicht zu benutzen!

Claudia Landolt
ist Mutter von vier Söhnen und diplomierte Yogalehrerin.

Alle Artikel von Claudia Landolt

Mehr zum Thema Kindergarten

Väter: 6 Eigenschaften, die Männer zu einem guten Vater machen
Entwicklung
6 Eigenschaften, die Männer zu einem guten Vater machen
Viele Eltern teilen sich heutzutage die Familienarbeit – zum Wohl des Kindes, denn Väter erziehen anders als Mütter.
Schulstart: Die neue Rolle der Eltern
Elternbildung
Schulstart: Die neue Rolle der Eltern
Beim Übertritt an die Primarschule brauchen Eltern in der Erziehung viel Feinfühligkeit und Beziehungsstärke. Was ist damit gemeint?
Kinder im Wachstum brauchen ausreichend Vitamine und Vitamin B Strath
Advertorial
Was Kinder zum gross werden brauchen
Für ein gesundes Wachstum benötigen Kinder Vitamine, Mineralstoffe, lebenswichtige Fette – und vieles mehr.
24-04-gefühle-umgang-kindergarten-kiga-elternmagazin-stefanie-rietzler-fabian-grolimund-hk.png hg
Entwicklung
So lernt Ihr Kind, seine Gefühle zu regulieren
Erstes Kindergartenjahr: Wie Eltern ihr Kind dabei unterstützen können, Emotionen wie Wut, Freude oder Angst zu regulieren.
Lernen
Wie unsere Kinder politisch fit werden
Damit unsere Kinder ihre politische Verantwortung dereinst wahrnehmen können, müssen sie darin geschult werden – schon im Kindergarten.
Kindergarten
Unsere Lieblingstexte 2023 aus den Kindergarten-Heften
Viermal im Jahr erscheint die Sonderausgabe zum Kindergarten. Die Redaktion hat für Sie die schönsten Texte und Zitate 2023 ausgewählt.
Mikael Krogerus Kolumnist
Elternblog
Warum Sie Ihrem Kind vorlesen sollten
Mikael Krogerus über seine Freude am Vorlesen, was es ihm und seinen Kindern bringt und warum Eltern sich dabei gleich selbst austricksen.
Gesellschaft
Was tun, wenn das Kind lispelt?
Lispeln kommt bei Kindern im Kindergartenalter häufig vor und zählt zu den weniger schweren Sprechstörungen. Eine Abklärung ist aber wichtig.
Mut entwickeln und Ängste überwinden
Erziehung
Wie wird mein Kind mutig?
Eltern wünschen sich mutige Kinder. Mut zeigt sich auf verschiedene Weise. Was hilft einem Kind, mutig zu werden? Und wie können Eltern es unterstützen?
Schule wir kommen
Kindergarten
Schule – wir kommen!
Mütter und Väter spielen beim Übertritt in die erste Klasse eine wichtige ­Rolle. So können Sie Ihr Kind ­achtsam dabei begleiten.
«Es gibt nicht reife oder ­unreife, sondern einfach ­unterschiedliche Kinder»
Entwicklung
«Es gibt nicht reife oder ­unreife Kinder – nur ­unterschiedliche»
Die Entwicklungspsychologin Claudia M. Roebers sagt, was Kinder wirklich brauchen, um ihr Potenzial zu entfalten – und was nicht.
Elternbildung
Hilfe, mein Kind und seine Freundin sind so frech!
Ein Vater erlebt eine mühsame Situation und grenzt sich scharf ab. Nun plagt ihn sein schlechtes Gewissen. Das sagt unser Expertenteam.
Aktionen
Nachbestellungen: Kindergartenmagazine Frühling 2024
Kindergartenmagazine: Hier können Sie für beide Jahrgänge, die im neuen Schuljahr benötigte Anzahl Exemplare erfassen.
Elternbildung
Wenn Kinder dauernd streiten
In manchen Familien gibt es sehr häufig Konflikte zwischen den Kindern. Wie sollen Eltern dabei eingreifen?
Elternbildung
Was tun, wenn die Geburi-Einladung Ängste auslöst?
Eine Mutter befürchtet, ihr Sohn könnte sich bei einer Geburtstagsparty in einer Indoor-Spielhalle verletzen. Sie überlegt sich, die Einladung abzulehnen. Das sagt unser Expertenteam.
Kindergarten
So lernt Ihr Kind den Umgang mit seinen Emotionen
Wie Kinder emotionale Fähigkeiten entwickeln und was Eltern tun können, um sie dabei zu unterstützen.
Medien
Gamen ist nicht so schlimm, wie Sie denken
Computerspiele sind in vielen Familien verpönt oder gar verboten. Dabei können Kinder beim Gamen einiges lernen.
Kindergarten
Kinderbilder im Netz – darauf sollten Eltern achten
Der erste Chindsgi-Tag! Das möchte man als Eltern teilen. Schnell ist der Schnappschuss veröffentlicht. Sollte man das wirklich tun?
Wut im Bauch: So lernen Kinder ihre Emotionen zu regulieren
Entwicklung
So unterstützen Sie Ihr Kind im Umgang mit Gefühlen
Gefühlsregulation bei Kindern: Dieser Prozess ist an die Hirnentwicklung gekoppelt – und kann von den Eltern unterstützt werden.
Schwieriger Start im Kindergarten: Nachdenkliches Kind
Gesellschaft
Schwieriger Start im Kindergarten?
Jedem sechsten Kind fällt der Kindergarteneintritt schwer. Wenn Kinder Mühe mit Veränderungen haben, sprechen Wissenschaftler von einer ­Verhaltenshemmung.
Familienleben
Zwillinge getrennt auf verschiedenen Schulstufen
Wie es für eine Familie ist, wenn ein Zwillingspaar aus einem Kindergärtner und einem Schüler besteht. Ein Vater berichtet.
Kindergarten
Neue Sonderhefte für Eltern von Kindergarten-Kindern
Ist Ihr Kind erfolgreich im Kindergarten gestartet? Und: Wie können Eltern ihr Kind auf den Eintritt in die 1. Klasse vorbereiten? Mit diesen Fragen beschäftigen sich die beiden Kindergarten-Sonderhefte.
Medien
Vom Spielzeug zum Arbeitsgerät
Im Kindergartenalter dienen das Tablet oder Handy der Eltern den Kleinen nur zum Spass. Ab der Primarschule ändert sich das.
Kiga2-Swisscom-Eltern-Regeln-Medien-Kinder
Medien
Medienregeln gelten für alle
Regeln sollen nicht nur die Kinder disziplinieren, sondern für alle gelten – auch für die Eltern. Gerade beim Thema Umgang mit den Medien.
Kindergarten
«Kinder möchten mit Kindern zusammen sein, nicht mit Erwachsenen»
Frau Roebers erklärt, dass Frühförderung oft falsch verstanden wird, was an Schulen schiefläuft und warum Erziehende einen schweren Job haben.