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Berufswahl ist ein Teamsport

Lesedauer: 5 Minuten

Die meisten Jugendlichen treffen mit der Berufswahl erstmals eine grosse Entscheidung selbst. Unterstützt werden sie von den Eltern, der Schule und der Berufsberatung. Auch für Mütter und Väter ist es ein grosser Schritt.

Text: Stefan Michel
Bild: Gabi Vogt

Gian hat seinen Lehrvertrag schon vor einem Jahr unterschrieben, Sarina weiss längst, in welchem Gymnasium sie ihre Schulkarriere fortsetzen wird. Florian dagegen hat gut drei Monate vor dem Ende seiner obligatorischen Schulzeit noch keine Lehrstelle. Der Druck wächst. Er hat genug von der Schule und will nicht ins zehnte Schuljahr. Dabei hatte er eine Lehrstelle in Aussicht, lehnte sie aber ab. «Er war einfach noch nicht reif für die Entscheidung», sagt seine Mutter. 

Die Schule legt den Grundstein für die Berufs- und Ausbildungswahl. Sie vermittelt den Jugendlichen die Fähigkeiten, um in einer Lehre oder Mittelschule zu bestehen. Und sie geht das Thema Berufswahl Schritt für Schritt an. Für das Fach «Berufliche Orientierung» sieht der Lehrplan 1 zwar nur eine Lektion pro Woche vor. Tatsächlich ist sie ein Dauer­thema. 

Manche kommen alleine zurecht, andere brauchen noch mehr Hilfe

Tina Tomasko unterrichtet eine 3. ekundarschulklasse  im zürcherischen Wädenswil. «Wir Lehrpersonen unterstützen unsere Schülerinnen und Schüler in ihrer Persönlichkeitsbildung, helfen ihnen herauszufinden, was sie ­wollen und was zu ihnen passt. Wir führen auch Coaching-Gespräche», beschreibt die Sekundarlehrerin ihre Aufgabe. Die Jugendlichen müssen eine Liste führen, in der jede Schnupperlehre und jede Bewerbung festgehalten ist. Wenn jemand gut alleine zurechtkomme, lasse sie ihn machen. Ist das nicht der Fall, frage sie nach, organi­siere vielleicht ein Gespräch mit der Berufsberaterin, sagt Tomasko. «Bei einigen muss ich danebensitzen, damit sie einen Anruf machen. Andere telefonieren an einem Nachmittag selbständig sechs Betriebe ab.»

Brigitte Keusch, die Lehrerin von Florian, sieht ihre Aufgabe während der Berufswahl ähnlich: «Ich weise auf Stärken hin und motiviere, schulische Lücken zu schliessen; ich ermuntere, auch andere Berufe anzuschauen. ­Einige Schülerinnen und Schüler pushe ich, von anderen versuche ich eher Druck wegzunehmen.» 

In sieben Schritten den eigenen Weg finden

Die Wahl der passenden Ausbildung nach der Sekundarschule lässt sich in sieben aufeinanderfolgende Aufgaben einteilen:

Der Berufsberater kommt in die Schule

Bruno Ruoss leitet das Beratungsteam des Berufsinformationszentrums BIZ in Zug. Er ist regelmässig in der Sekundarschule in Cham, in der Brigitte Keusch unterrichtet. Ruoss informiert die Klassen und empfängt Jugendliche zu kurzen Einzelgesprächen – meist angeregt durch deren Lehrperson. Für den Berufsberater steht fest: «Eine engagierte Lehrerin kann Jugendliche durchaus ohne weitere Unterstützung durch die Berufswahl begleiten. Manche wollen keine zusätzliche Berufsberatung und brauchen diese auch nicht. Wenn aber jemand eine individuelle Abklärung wünscht, sind wir gefragt.» Dass der Berufsberater Jugendlichen während der Unterrichtszeit zur Verfügung steht, erhöht deren Bereitschaft, Berufsberatung in Anspruch zu nehmen. 

Eltern, Schule und Berufsberatung beeinflussen die Berufswahl und Lehrstellensuche am stärksten. Die Jugendlichen informieren sich aber auch gegenseitig und manche ziehen weitere Bezugspersonen zu Rate: den Nachbarn, die Gotte, den Trainer im Sportclub. «Lehrpersonen begleiten und die Berufsberatung berät Jugendliche während der Berufswahl», sagt Ruth Sprecher, Lehrerin für das zehnte Schuljahr der berufsvorbereitenden Schule BFF in Bern. «Eltern dagegen sind fürs Motivieren, Aufbauen nach Enttäuschungen und Antreiben zuständig.» Entscheidend sei, dass Eltern, Schule und Berufsberatung auf dem gleichen Wissensstand sind.

Die Jugendlichen ­informieren sich auch ­gegenseitig und fragen weitere Bezugspersonen.

Im Fall von Simone Knecht war die Schule besonders gefordert. Die 16-Jährige besucht die Klasse von Tina Tomasko. Aufgrund eines Missverständnisses bot ihr eine Kita nach der Schnupper­lehre ein Praktikum mit Aussicht auf eine Lehrstelle an. Dabei hatte Simone aber noch ein halbes Jahr Sekundarschule vor sich. Gleichwohl hatte sie ihre obligatorischen neun Schuljahre bereits absolviert, da sie in der Primarschule eine Klasse wiederholt hatte. 

Für ihre Lehrerin Tomasko war sofort klar, dass sie sich für eine für alle Beteiligten zufrieden­stellende Lösung starkmachen würde: «Simone ist eine sehr gute Schülerin. Ich war überzeugt, dass sie den Lernstoff des letzten Semesters auch mit nur einem Tag in der Schule pro Woche plus Selbst­studium zu Hause aufnehmen kann.»

Simones Mutter Irene war von dieser Lösung zunächst nicht überzeugt: «Man hört immer wieder, wie Praktikantinnen in Kitas ausgenutzt werden. Ich fragte mich, was passiert, wenn Simone die Lehrstelle doch nicht erhält.» Im Gespräch mit der Berufsbildnerin konnten die letzten Zweifel ausgeräumt werden. Auch Simones Klassenlehrerin überzeugte sie, dass dieses Arrangement für ihre Tochter das Richtige sei. Die folgenden Monate zeigten, dass sie mit dieser Einschätzung richtig lagen. 

Simone Knecht, 16, macht bereits im letzten Schuljahr ein Praktikum. Davon war ihre Mutter Irene zunächst nicht begeistert. Lesen Sie ihre Erzählung «Ich wusste schon lange, dass ich mit Kindern arbeiten will».

«An einem Tag im März kam Simone strahlend zur Tür herein», erinnert sich die Mutter. «In der Hand hielt sie den Lehrvertrag.» Schöner Nebeneffekt: Simone geht heute lieber zur Schule als früher. «Das ist mein Erholungstag», sagt sie. Im Gegensatz zu vielen ihrer Mitschülerinnen und Mitschüler muss sie keine Lehrstelle mehr suchen. 

Auch Sekundarlehrerin Brigitte Keusch engagiert sich immer wieder persönlich bei der Berufswahl ihrer Schülerinnen und Schüler, hält die Augen offen nach Lehrstellen für diejenigen, die noch auf der Suche sind. «Ich habe viel Zeit mit meinen Schülerinnen und Schülern verbracht und will, dass sie ihre Fähigkeiten und Stärken einbringen können, Erfolge erzielen und glücklich werden», begründet sie ihr Engagement. Gleichzeitig steht für sie fest: «Die Verantwortung dafür, was die Jugendlichen nach der Schule tun, liegt letztlich bei den Eltern.» 

Das rettende Ende der ­Corona-Einschränkungen

Für Florian ist die Lehrstellensuche nach vielen Monaten voller Enttäuschungen und Rückschläge doch noch gut ausgegangen. «Entscheidend war, dass Schnupper­lehren nach dem Ende der Corona-­Einschränkungen wieder möglich waren», sagt seine Mutter. «Endlich konnte Florian vor Ort zeigen, dass er ein patenter Junge ist, was seine Schulnoten nicht unbedingt ­wiedergeben.» Zudem habe er einen enormen Reifungsprozess durchgemacht. 

Auch Florians Vater hat sich bei der Stellensuche ins Zeug gelegt. Er hat mit seinem Sohn an Bewerbungen gefeilt und schliesslich den entscheidenden Tipp gegeben: Vor wenigen Wochen hat ein Unternehmen, das in der Gebäudeinformatik tätig ist, Florian als Lernenden unter Vertrag genommen.

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Stefan Michel
ist freier Journalist und Texter und lebt mit seiner Partnerin und zwei Kindern in Zürich.

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