«Wie an einem Marathonlauf – aber ohne Aussicht auf Erholung» - Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi
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«Wie an einem Marathonlauf – aber ohne Aussicht auf Erholung»

Lesedauer: 3 Minuten

Der Spagat zwischen Arbeit und Familie brachte unsere Autorin an den Rand ihrer Belastbarkeit. Seit sie sich aus der Abhängigkeit als Angestellte losgesagt hat, hat sie vor allem gewonnen: Zeit und Geld und Lebensqualität – inzwischen ist ihr drittes Baby zur Welt gekommen. 

Ich weiss nicht, was letztlich den Ausschlag gab. War es das Gespräch mit meiner Ärztin, das mir nicht mehr aus dem Kopf gehen wollte? «Kümmern Sie sich allein um Ihre Kinder und den Haushalt oder werden Sie von Ihrem Mann unterstützt?», fragte sie während einer Routineuntersuchung. «Falls nicht – kündigen Sie Ihren Job und suchen Sie erst wieder eine Stelle, wenn Ihr jüngster Sohn in der Schule ist. Sonst fallen Sie irgendwann um vor lauter Erschöpfung.» Moment! Irgendwie hatte ich das Gefühl, etwas nicht richtig mitbekommen zu haben. «Ich? Zu Hause? Soll das etwa ein emanzipiertes Leben sein?», wollte ich sagen, doch ich schwieg. War denn meine jetzige Situation «emanzipiert»? Dieses Gehetze zwischen Kita und Büro? Diese Anspannung, die sich anfühlte wie bei einem Marathonlauf, aber ohne Aussicht auf Erholung? 

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Einige Tage nach diesem Gespräch reichte ich die Kündigung ein. Vielleicht war es auch das Niveau im Büro, wo ich als Kommunikationsverantwortliche angestellt war: Mit dem neuen Chef sank dieses zusehends. Ich ärgerte mich, für einen Vorgesetzten zu arbeiten, der nicht imstande war, selbst eine Mail zu verfassen, aber darauf bestand, dass man ihn als Herrn Doktor ansprach. Als ich mich einmal mit ihm im Flur unterhielt, brach er das Gespräch abrupt ab, weil er zu einem Treffen mit «wichtigen Leuten» musste. Ganz Herr alter Schule, überreichte er mir seinen Füllfederhalter, bat mich, ihn zurück in sein Büro zu bringen. Natürlich gehorchte ich. Aber mal ehrlich: Würde er das auch von einem Mann verlangen? 

«Ich? Zu Hause? Soll das etwa ein emanzipiertes Leben sein?»

Sibylle Stillhart, Journalistin und Mutter von drei Kindern

Meine Bemühungen, Job und Familie unter einen Hut zu bringen, brachten mich zusehends an den Rand meiner Belastbarkeit. Ich fühlte mich zerrissen zwischen zwei Welten, die sich gegenseitig abstossen. Zudem hatte ich das Gefühl, weder meinen Kindern noch meinem Arbeitgeber gerecht zu werden – obwohl ich von früh bis spät auf den Beinen war. Das begann schon am Morgen, wenn ich nach neun Uhr ins Büro kam und von meinen Kollegen bloss genervte Blicke erntete. Denn es galt die unausgesprochene Regel: Der Erste im Büro ist der Fleissigste. Als Mutter zweier Kleinkinder war ich die ewige Verliererin in diesem Wettbewerb, an dem sich alle zu orientieren schienen. 

Meine Erinnerungen an diese Zeit sind noch sehr lebendig: Der Tag beginnt um halb sechs Uhr in der Früh. Um diese Zeit verlangt der dreijährige Sohn seinen Schoppen – so laut, dass auch sein kleiner Bruder wach wird. Ich haste todmüde in die Küche, wärme Milch, wickle das Baby, setze Kaffee auf, mache Frühstück. Um halb neun stehe ich mit den beiden Buben vor der Haustüre. Trotz Minustemperaturen bin ich nass geschwitzt, weil ich den Nuggi in der Wohnung vergessen habe und vorher noch die Playmobil- Pistole unter dem Bett hervorklauben musste. Die Wohnung sieht aus, als ob ein Wirbelsturm darin gewütet hätte: Das Frühstücksgeschirr liegt unter dem Tisch, tausend Playmobil-Teilchen sind auf dem Boden zerstreut. Endlich in der Kita, heult der Grosse. Ich tröste ihn und verspreche, ihn frühabends abzuholen. Mit einem klammen Gefühl verabschiede ich mich von meinen Kindern und renne zum Tram, das mich ins Büro bringt. 

«Als Mutter zweier Kleinkinder war ich die ewige Verliererin in diesem Wettbewerb, an dem sich alle zu orientieren schienen.» 

Sibylle Stillhart

Es ist nun fast vier Jahre her, seit ich mich aus der Abhängigkeit als angestellte Arbeitnehmerin befreit habe. Der Stress ist wie weggefegt. Heute arbeite ich als freischaffende Journalistin und Autorin, während die Kinder an zwei Tagen die Kita oder den Hort besuchen. Als Freiberuflerin habe ich nun die Freiheit, meine Arbeitszeit selbst einzuteilen: Was nicht nur mir, sondern der ganzen Familie zugutekommt. Ich kann problemlos darauf reagieren, wenn ein Kind krank wird, und es ist auch keine Katastrophe, dass meine mittlerweile schulpflichtigen Kinder 13 Wochen Ferien haben. Selbst mein Mann profitiert: Natürlich hat er nach wie vor ein schlechtes Gewissen, wenn er am Wochenende arbeiten muss oder der Bürotag bis weit in die Nacht dauert. Trotzdem hat sich unsere familiäre Situation inzwischen so entspannt, dass wir uns für ein drittes Kind entschieden haben – was ich als Angestellte niemals auf die Reihe gekriegt hätte. Baby Antonin ist vor einem Jahr auf die Welt gekommen. 

Ich verdiene heute viel weniger als früher. Doch seltsamerweise haben wir immer noch gleich viel Geld zur Verfügung wie zuvor: Die Steuern sind gesunken, ebenfalls die Betreuungskosten, die dem neuen Einkommen angepasst wurden. Geblieben ist die Ernüchterung: Erwerbstätige Mütter haben nicht die gleichen Chancen auf dem Arbeitsmarkt wie erwerbstätige Väter. Ich staune, wie fleissig Mütter auf ihren Teilzeitjobs arbeiten – befördert wird dann aber doch der männliche Kollege. Selbst wenn Frauen in ihren Teilzeitpensen oft effizienter arbeiten, erhalten sie weniger Lohn und haben weniger Aufstiegsmöglichkeiten. Seit ich mich von meinem Arbeitgeber losgesagt habe, haben wir als Familie vor allem gewonnen: ein wunderbares Baby, Zeit, Geld und mein Buch, das inzwischen erschienen ist.


Dieser Text erschien innerhalb unseres Dossiers zum Thema Vereinbarkeit von Beruf und Familie. Lesen Sie alle Texte in der Ausgabe 11/16. Sie können diese hier bestellen.

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