«Mama ich hasse dich!» - Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi
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«Mama ich hasse dich!»

Lesedauer: 6 Minuten

Was tun, wenn einem das Kind wutentbrannt und voller Verachtung böse Worte an den Kopf wirft? Erst einmal entspannt bleiben. Solche Sätze sind in der Regel nichts anderes als ein altersgerechter Ausdruck von Frustration. 

Mein Kind hat neulich «Ich lieb dich nicht mehr!» zu mir gesagt. Wie ich das verdient
habe? Ich habe meiner 4-jährigen Tochter den Fernseher ausgeschaltet. Da sprang sie mit geröteten Wangen und zusammengekniffenen Augen vom Sofa, stemmte die Hände in die Seiten und schüttelte wild den Kopf. Sie liebe mich nun ganz und gar nicht mehr.

«Ich lieb dich nicht mehr!», «Du bist doof !», «Blöde Mama!». Die meisten Eltern kennen solche Wutausbrüche. Diese und ähnliche Worte aus dem Mund des eigenen Kindes drehen vielen Müttern und Vätern das Herz in der Brust um. Und der schlimmste dieser Sätze lautet «Ich hasse dich!». Er kann Eltern eiskalt erwischen und schockieren. Doch wie kann man mit ihm umgehen? Wie sich selbst und dem Nachwuchs in der unschönen Situation helfen?

Kurzschlussreaktionen verhindern

Soforthilfe bei Schock und Traurigkeit bietet tiefes Durchatmen. Atemübungen bringen ein erstes Gleichgewicht zurück. Brodelt dagegen die Wut im Bauch, empfiehlt sich körperliche Ablenkung. Etwa joggen oder im Garten arbeiten. Solche Aktionen entspannen, bauen Stress ab und können Kurzschlussreaktionen sowie eine Eskalation der Situation verhindern. 

Auch beim Gefühl der überwältigenden Hilflosigkeit hilft kurzweilige Ablenkung. Etwa Blumen giessen, Wäsche zusammenlegen oder mit dem Hund spazieren gehen. Und hat das Kind den Satz in aller Öffentlichkeit fallen lassen, heisst es: andere Menschen möglichst ignorieren, um weitere Aufregung zu vermeiden.

«Es ist keineswegs ungewöhnlich, dass Kinder und Jugendliche sich zu den Worten ‹Ich hasse dich!› hinreissen lassen»

Beate Schwarz, Professorin für Entwicklungs- und Familienpsychologie an der ZHAW.

Gleichzeitig hilft es, sich zu vergegenwärtigen, dass die Reaktion des Nachwuchses grundsätzlich kein Grund zur Besorgnis ist. «Es ist keineswegs ungewöhnlich, dass Kinder und Jugendliche sich zu den Worten ‹Ich hasse dich!› hinreissen lassen», sagt Beate Schwarz, Professorin für Entwicklungs- und Familienpsychologie an der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften. Für Kindergarten und Primarschulkinder ist es schwer aushaltbar, wenn jemand etwas anderes will als sie. Kinder in diesem Alter sind noch nicht in der Lage, ihre Emotionen zu kontrollieren und ihre Gedanken zu artikulieren. Das kindliche «Ich hasse dich!» ist deshalb meistens ein altersgerechter Ausdruck von Frustration.

Grenzen setzen, ohne dem Selbstwert zu schaden

Bei Kindern kann es während der Trotzphase – also im Alter von zwei bis rund sechs Jahren – zu unschönen Kommentaren kommen. Schulkinder neigen eher seltener dazu. Anders ist es bei Jugendlichen: Sie befinden sich in einem Alter, in dem sie sich von ihren Eltern abgrenzen und ihre eigene Identität ausbilden müssen. Dadurch können ihnen die Gebote und Verbote ihrer Eltern wie ein übermächtiger Einfluss auf ihr Leben vorkommen. Der Widerspruch zwischen ihrem Bedürfnis nach Unabhängigkeit und ihrer Abhängigkeit von den Eltern äussert sich in häufigen Streitereien – und auch in Worten wie «Ich hasse dich!».

«Dennoch sollten Eltern diesen Satz nicht einfach ignorieren, denn der Zorn und die Enttäuschung des Kindes sind in dem jeweiligen Moment sowohl echt als auch stark», erklärt Beate Schwarz. Ausserdem sollten Mutter und Vater den Kommentar ansprechen, um einen respektvolleren Umgang zwischen dem Nachwuchs und sich selbst zu fördern. Das Ziel bei diesem Gespräch: Kindern und Jugendlichen Grenzen setzen, ohne dem Selbstwertgefühl des Sohnes oder der Tochter zu schaden.

Deshalb ist es wichtig, dem Nachwuchs erst einmal zu signalisieren: «Ich habe dich trotzdem lieb.» Sowohl bei einem Kind als auch bei einem Teenager sind Sätze denkbar wie: «Es tut mir leid, dass du mich hasst, weil ich dich liebe.»

 «Helfen sie ihrem Kind, mit seinen eigenen Emotionen in Kontakt zu treten!» 

Eltern sollten ihrem Nachwuchs ebenfalls zeigen, dass sie seine Gefühle wahr- und ernst nehmen, etwa mithilfe von Sätzen wie: «Ich kann sehen, dass du sehr wütend bist.» Auf diese Weise helfen sie ihrem Kind, mit seinen eigenen Emotionen in Kontakt zu treten. Gerade jüngeren Kindern können Eltern konkrete Empfehlungen geben, damit sie mit ähnlichen Situationen in der Zukunft besser umgehen können, etwa: «Wenn du wütend bist, sag ‹ich bin wütend› und wir werden gemeinsam nach Lösungen suchen.»

Ausserdem ist es wichtig, dass Mutter und Vater erklären, wieso sie nicht auf den Wunsch des Kindes eingehen wollen oder können. Etwa: «Wenn du länger fernschaust, wirst du weniger Schlaf bekommen und morgen den ganzen Tag müde sein. Dadurch wirst du keinen Spass beim Spielen haben.» Indem Eltern kurz ihre Gründe erklären, verhindern sie, dass das Kind ihr Verbot als Willkür empfindet. Stattdessen machen Mutter und Vater deutlich: Unser Handeln ist nachvollziehbar und an dein Wohlbefinden geknüpft.

Eltern prägen die Kommunikation mit dem Kind

Aber Eltern können noch mehr tun, damit die unschönen drei Wörter seltener fallen. Dafür sollten sie sich fragen, ob ihr Kind den verletzenden Kommentar womöglich von ihnen übernommen hat. Ist beispielsweise öfter ein Satz gefallen wie: «Wenn du nicht tust, worum ich dich bitte, dann habe ich dich nicht mehr lieb»?

Gerade wenn es im Alltag schnell gehen soll, fallen solche Kommentare allzu leicht – und womöglich ohne dass man es merkt. «Mütter und Väter sollten jedoch zum Wohl der Beziehung zu ihren Kindern auf sie verzichten», sagt Beate Schwarz. Durch ihre grosse Vorbildfunktion können sie die Kommunikation mit ihrem Kind stark prägen.

In einigen Fällen werden Eltern den Dialog mit ihrem Nachwuchs nicht verbessern können. Dann fallen Kommentare wie «Ich hasse dich!» allzu oft. Gibt es keinen Raum mehr für ein ruhiges Gespräch und entsteht bei Mutter oder Vater Leidensdruck, empfiehlt es sich, professionelle Hilfe aufzusuchen.

Aber in der Regel ist ein vereinzeltes «Ich hasse dich!» ein normaler Kommentar, sowohl von Kindern als auch von Jugendlichen. Wenn Eltern dann dem Kind helfen, mit seinen starken Emotionen fertigzuwerden und zudem kompromissbereit und respektvoll Grenzen setzen, dann stärkt das nicht nur die Streitkultur in der Familie – es fördert auch die künftige Kommunikations- und Konfliktfähigkeit ihres Kindes.


Zur Autorin:

Anna Gielas schliesst zurzeit ihr Doktorat an der University of St Andrews in Schottland ab und schreibt für deutsch- und englisch- sprachige Printmedien. Sie lebt mit ihrer Familie in Edinburgh.
Anna Gielas schliesst zurzeit ihr Doktorat an der University of St Andrews in Schottland ab und schreibt für deutsch- und englisch- sprachige Printmedien. Sie lebt mit ihrer Familie in Edinburgh.


4 Tipps für den Umgang mit dem kindlichen Hass

  • Wichtig ist der Austausch der Eltern unterein­ander und eine Absprache darüber, wie man auf das «Ich hasse dich!» reagiert. Kinder und Jugendliche sollten nicht zwei grundlegend unterschiedliche Reaktionen der Eltern erleben.
  • Wenn die Bestürzung über die drei Worte anhält, können Mütter und Väter in Elterngruppen Austausch suchen. Das Gespräch mit anderen betroffenen Eltern kann eine wichtige emotionale Stütze sein.
  • Eltern sollten mit Jugendlichen mindestens zwei Kommunikationsregeln befolgen: das aufmerksame gegenseitige Zuhören und das respektvolle Ausredenlassen.
  • Je früher die Eltern ihrem Nachwuchs die Gründe für die Verbote kurz und nachvoll­ziehbar erklären, desto förderlicher ist das für die langfristige Kommunikation in der Familie.

Hier finden Eltern Hilfe



«Jugendliche sollten eigene Lösungen vorschlagen»

Während der Pubertät kommt es oft zu Streit mit den Eltern. Fallen böse Worte, sollen Mütter und Väter in einem ruhigen Moment die zugrunde liegenden Konflikte thematisieren, rät Psychotherapeutin Gabrielle Marti. 

Frau Marti, gerade Jugendliche gehen oft auf Konfrontationskurs mit den Eltern. Wie sollten diese reagieren, wenn ihr Teenager «Ich hasse dich» zu ihnen sagt?

Diese Aussage ist bei Jugendlichen meist nicht wörtlich zu verstehen. Es sind akute Ohnmachts-, Wut- und Verzweiflungsgefühle, die Heranwachsende zu solchen Sätzen bewegen. Da Jugendliche aufgrund ihres Entwicklungsstandes oft impulsiv reagieren und Konsequenzen wenig berücksichtigen, gilt es ihnen einen «bedingten Welpenschutz» einzuräumen.

Dieses Entwicklungsverständnis hilft Eltern, im eskalierten Streit emotional Abstand zu gewinnen, damit sie auf «Ich hasse dich» nicht gleichermassen impulsiv reagieren wie ihre Kinder. Danach braucht es meist Zeit, um die eigenen Gefühle zu ordnen. Erst dann sollte man das Gespräch über den Auslöser des Wutausbruches mit dem Kind wieder aufnehmen. Bei Jugendlichen – im Gegensatz zu Kindern – kann dies auch erst nach ein paar Tagen sein.

«Lassen Sie sich Zeit um  die eigenen Gefühle zu ordnen, bevor Sie mit dem Kind ein Gespräch über den Wutausbruch aufnehmen» rät Psychotherapeutin Gabrielle Marti.
«Lassen Sie sich Zeit um  die eigenen Gefühle zu ordnen, bevor Sie mit dem Kind ein Gespräch über den Wutausbruch aufnehmen» rät Psychotherapeutin Gabrielle Marti.

Wie sollte dieses Gespräch ablaufen?

Hilfreich ist, wenn Mutter und Vater für einen geeigneten Ort und Zeitpunkt sorgen. Dies kann auch ausserhalb der vier Wände sein. Eltern können das Gespräch mit dem Jugendlichen beginnen im Sinne von «Ich habe dich gestern extrem wütend erlebt und möchte gerne verstehen, was dahintersteckt». Mit dieser Haltung ermöglichen Eltern, dass ihr Kind respektvoll seine Standpunkte vertreten lernt und sich ernst genommen fühlt.

Und dann?

Geht es darum, mit den Jugendlichen über die Konsequenzen des von den Eltern kritisierten Verhaltens zu sprechen. Mütter und Väter sollten im Gespräch einen Eindruck über die Fähigkeiten ihres Teenagers gewinnen: Ist ihr Kind in der Lage, die Folgen des problematisierten Verhaltens abzuschätzen? Wie viel Entscheidungsfreiheit ist sinnvoll? 

Oft macht es Sinn, gegensätzliche Positionen zwischen Jugendlichen und ihren Eltern konkret zu benennen, um diese im Anschluss daran aushandeln zu können. Dabei ist es hilfreich, dass Eltern wie Jugendliche nicht nur ihre Position vertreten, sondern auch die zugrunde liegenden Sorgen und Wünsche. Bei der Suche nach Kompromissen ist es hilfreich, den Sohn oder die Tochter aufzufordern, eigene Lösungsvorschläge einzubringen und altersgerecht Verantwortung zu übernehmen. Schriftliche Vereinbarungen von Regeln können zur Klärung und Verbindlichkeit beitragen.

Es gibt auch Situationen, in denen Eltern und Jugendliche über längere Zeit nicht mehr miteinander ins Gespräch kommen. 

Wenn Konflikte über wesentliche Dinge längere Zeit nicht gelöst werden können und die Beziehung in einem Machtkampf blockiert ist, ist es hilfreich, eine Beratung aufzusuchen. Fachstellen wie psychologische Jugendberatungsstellen oder das Nottelefon für Eltern können da hilfreich sein, damit Eltern und ihre heranwachsenden Jugendlichen wieder miteinander ins Gespräch kommen.

Zur Person:

Gabrielle Marti ist eidgenössisch anerkannte Psychotherapeutin MSc und Leiterin der
Gabrielle Marti ist eidgenössisch anerkannte Psychotherapeutin MSc und Leiterin der psychologischen Jugend-beratungsstelle der Stadt Zürich.


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