Sonya Gassmann begleitet Eltern in der Trennungszeit. Wichtiger als reden sei es, präsent zu sein und mit den Kindern etwas zu unternehmen, sagt die Psychologin.
Typisch sind drei Reaktionen: Verunsicherung, Verlustängste und Schuldgefühle. Gerade kleine Kinder wissen nicht, was bei einer Trennung passiert. Vor allem können sie nicht abschätzen, dass die Elternschaft trotz einer Trennung weitergeht. Wenn Eltern sich streiten, hören Kinder heraus, dass es um sie geht, selbst wenn das nicht so sein sollte. Das erzeugt Schuldgefühle und Scham. Eltern beziehen in solchen Extremsituationen unbewusst ihre Kinder zu wenig mit ein, weil sie so stark mit sich selbst beschäftigt sind. Deswegen ist es wichtig, dem Kind ein Sprachrohr zu geben. In meinen Beratungen trete ich als eine Art Kinderanwältin auf.
Zu den wichtigsten Schutzfaktoren für Kinder gehört, dass sie während der Trennungsphase eine Vertrauensperson haben, mit der sie das Ereignis einordnen und Strategien für die Bewältigung finden können. Dafür muss ich die Bedürfnisse der Kinder kennen. Wenn die Eltern einverstanden sind, kommen die Kinder ohne sie zu mir. Dann geht es darum, das Vertrauen der Kinder zu gewinnen. Mein wichtigstes Credo dabei: Ich stelle keine Fragen. Denn die verschliessen das Herz der Kinder.
Ich versuche auf spielerische Art und Weise herauszufinden, was sie brauchen. Zum Beispiel zeichne ich ganz rudimentär zwei Häuser auf ein Flipchart: «Mutters Haus» und «Vaters Haus». Ganz automatisch beginnt das Kind selbst zu zeichnen und zu erzählen, was ihm gefällt, was es vermisst und wie es sein neues Zuhause gestalten möchte.
Dass Mami und Papi für sie da sind. Das Kind hat ja beide gern und sollte nicht in einen Loyalitätskonflikt geraten. Auch ganz wichtig sind beständige Strukturen wie Familienrituale, zuverlässige Regelungen und verbindliche Absprachen sowie konstante Bezugspersonen neben den Eltern.
Ungefähr jedes dritte Kind verändert sein Verhalten in der Schule. Diese Kinder ziehen sich entweder zurück oder werden verhaltensauffällig. Schulische Schwierigkeiten treten oft im Alter von sechs bis acht Jahren sowie während der Pubertät auf. In diesen Phasen baut das Kind wichtige Stufen seiner Ich-Entwicklung auf – unter anderem die Konzentrationsleistung. Eine Trennung der Eltern kann diesen Prozess beeinträchtigen. Sie kann auch ein Kompensationsverhalten auslösen: eine verstärkte Nutzung von sozialen Medien einhergehend mit Sozialkontaktverlust oder ein verändertes Ess- und Schlafverhalten. Zudem ist es möglich, dass die Entwicklung des Kindes verzögert oder beschleunigt wird. Bei all diesen Folgen gilt: Je konfliktreicher eine Trennung – also je mehr Streitgespräche, Wut und Aggressionen –, desto schlimmer für das Kind und desto stärker die möglichen Folgen.