Neues Scheidungsrecht: «Die wirtschaftliche Realität sieht anders aus!» - Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi
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Neues Scheidungsrecht: «Die wirtschaftliche Realität sieht anders aus!»

Lesedauer: 3 Minuten

Mit Ende Vierzig und nach fast zwanzig Jahren Abwesenheit in ihrem Job, ist Claudia M. nach ihrer Scheidung damit konfrontiert, wieder ins Berufsleben einzusteigen. Als Mutter von zwei Teenagern ist ihr laut Rechtsprechung zuzumuten, 80 bis 100 Prozent zu arbeiten.

«Ich will ja nichts lieber als finanziell unabhängig zu sein», sagt Claudia M.* Wenn das nur so einfach wäre.

18 Jahre Ehe hat Claudia M. aus dem Kanton Zürich hinter sich, als ihr Mann vor zwei Jahren Knall auf Fall die Scheidung will. Claudia ist zu diesem Zeitpunkt 47 Jahre alt, die beiden Kinder im Teenager-Alter. Bis zum ersten Kind ist sie im kaufmännischen Bereich tätig, als sie Mutter wird, zieht sie sich erstmal aus dem Berufsleben zurück. Als der Sohn knapp einjährig ist, möchte Claudia wieder einsteigen. «Für meinen Mann war es allerdings keine Option, sein Hundertprozent-Pensum zu reduzieren.» Fremdbetreuung kann und will sich Claudia nicht leisten.

Mit viel Glück findet sie einen Job in einer privaten Kinderkrippe, wo sie ihre Kinder mit zur Arbeit nehmen kann. Gut zehn Jahre lang arbeitet sie dort Teilzeit. «Irgendwann fühlte ich mich nicht mehr gefordert, wollte etwas anderes machen.» Zurückkehren in den alten Job stellt sich als unmöglich heraus, zum einen wegen der Kinder, zum anderen wegen ihrer langen Abwesenheit. So engagiert sie sich jahrelang ehrenamtlich in ihrer Gemeinde.

«Etwas mit Sozialpädagogie hätte mich interessiert. Ich freute mich auf eine neue Herausforderung.»

Als die Kinder das Teenager-Alter erreichen, möchte Claudia die Chance packen und eine neue Ausbildung beginnen. «Etwas mit Sozialpädagogie hätte mich interessiert. Ich freute mich auf eine neue Herausforderung.» Als ihr Mann die Scheidung will – für sie «total aus dem Blauen heraus» – fällt die Ausbildung flach.

Die Anwältin Caterina Nägeli kritisiert das Urteil des Bundesgerichts, dass eine 45-jährige Hausfrau wieder ins Berufsleben einsteigen kann – und nach der Scheidung keinen Anspruch auf Alimente bis ins Pensionsalter hat. Sie erklärt, was der Entscheid für Frauen bedeutet. Lesen Sie das Interview hier.
Die Anwältin Caterina Nägeli kritisiert das Urteil des Bundesgerichts, dass eine 45-jährige Hausfrau wieder ins Berufsleben einsteigen kann – und nach der Scheidung keinen Anspruch auf Alimente bis ins Pensionsalter hat. Sie erklärt, was der Entscheid für Frauen bedeutet. Lesen Sie das Interview hier.

Die Kinder leben nach der Scheidung bei ihr, den Vater wollen sie nur unregelmässig sehen. Dazu zwingen will sie sie nicht. Claudia erhält zwar Alimente, die Unterhaltszahlungen für sie entfallen jedoch gemäss Scheidungsvereienbarung per Ende 2021. Das Ziel ist, dass sie wieder vollständig wirtschaftlich integriert ist und unabhängig von ihrem Mann. Laut Rechtsprechung ist es ihr trotz ihrer 47 Jahre und fast 20 Jahre Abwesenheit von Job zuzumuten, in einem 80 bis 100 Prozent-Pensum zu arbeiten. «Natürlich ist mir das zuzumuten – ich traue mir selbst das ja auch zu. Nur: Die wirtschaftliche Realität sieht anders aus!», sagt sie.

Jobsuche und Erschöpfungsdepressionen

Claudia findet eine 40-Prozent-Stelle im kaufmännischen Bereich, die finanziell nirgends hinreicht, erhöht dann auf 100 Prozent. Und kommt richtig unter die Räder. Die neuen, schnellen Tools, die grossen Anforderungen, der immense Druck – das ist alles zu viel. Claudia fällt in eine Erschöpfungsdepression, kündet noch in der Probezeit. Die anschliessende Jobsuche in ihrem erlernten Beruf, die bis heute andauert, ist ernüchternd.  «Ich habe zwar vielseitige Berufs- und Lebenserfahrung, konnte mich aber nicht spezialisieren. Ich bin eine Allrounderin. Diese Nischen gibt es kaum noch im Beruf, oder man hat keinen Zugang zu den Stellen.»

Claudia will arbeiten, 100 Prozent, will unbedingt auf eigenen Beinen stehen, unabhängig und frei sein . Aber auch jetzt sieht die Realität einmal mehr anders aus. Sie macht einen Rotkreuz-Kurs, jobbt als Pflegehelferin. «Damit verdiene ich knapp 3000 Franken im Monat, Vollzeit. Wie soll ich künftig  davon leben? Die Vorstellung, in die Armut abzurutschen – wie so viele geschiedene Frauen – macht mir grosse Sorgen.» Die über Jahre andauernde Mehrfachbelastung, Existenzangst, hinterlassen bei ihr Spuren und es erfordert viel Kraft, sich nicht zu entmutigen lassen.

«Ich will nicht um Geld betteln müssen. Ich will arbeiten.»

Claudia M. will ihren Ex-Mann nicht an den Pranger stellen. «Ehen scheitern nun mal, und es geht nicht um Schuld oder Anklage. Ich als Frau möchte mich auch nicht als Opfer sehen, sondern alles dafür tun, ein selbstbestimmtes Leben zu führen.» Trotzdem findet sie die ungleichen Verhältnisse nicht ganz fair. «Ich habe jahrelang dafür gesorgt, den Kindern ein stabiles Gefüge zu geben, und komme nach wie vor meiner elterlichen Präsenzpflicht nach, denn dies bleibt auch in der Pubertät wichtig.» Während ihr Ex-Mann ein mehr oder weniger sorgenfreies Leben führt, sieht sich in der Rolle der Bittstellerin. «Ich will nicht um Geld betteln müssen. Ich will arbeiten.» Auch ihre Versuche, über Netzwerke oder offizielle Stellen an Jobangebote zu kommen, scheitern regelmässig. Und die Chancen werden schlechter, mit jedem Jahr, das sie älter wird. «Hier müsste doch die Wirtschaft irgendwie in die Pflicht genommen werden», sagt sie. «Frauen in ähnlichen Situationen brauchen mehr wohlwollende Förderung und Chancen.»

Ihr grösster Wunsch: Irgendwann auch finanziell auf eigenen Beinen stehen. Aufgeben will Claudia diesen Traum nicht. Auch wenn es schwierig ist. «Ich wünsche mir wirklich nichts mehr, als dass mir dies eines Tages gelingt. Dann gehe ich endlich mal wieder in die Ferien. Ganz einfache Ferien. Aber nur für mich allein.»

* Name der Redaktion bekannt


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