Das Modell Familie wird vielfältiger
Samenspende, Leihmutterschaft, Regenbogenfamilie: Es gibt heute viele Möglichkeiten, eine Familie zu gründen. Und ebenso viele, Familie zu leben. Wie sieht Familie in Zukunft aus? Und was machen diese neuen Modelle mit den Kindern?
Papi oder Papa – für Max* macht das einen Unterschied. Der Bub wächst mit zwei Vätern auf, lebt abwechselnd bei ihnen und seiner Mutter, die in direkter Nachbarschaft des Männerpaars wohnt. Wenn Max Geburtstag hat, kommen drei Grosselternpaare zum Fest. Schülerin Tobi hat zwei Mütter. Cedric und Felix leben bei Mama und Papa, aber sie wissen, dass es da noch zwei andere Frauen gibt, in deren Bauch sie wohnen durften, die Mama geholfen haben, ihren Kinderwunsch zu verwirklichen. Aline* wurde von ihrer Mama ausgetragen und geboren, ist biologisch aber nicht verwandt mit ihr. Die Anderthalbjährige stammt aus einer Embryonenspende. Daraus macht ihre Familie kein Geheimnis, denn für sie zählt nicht die genetische Verbindung, sondern die der Herzen.
Jedes siebte Kind lebt mit nur einem Elternteil
Die Geschichten dieser Kinder sind nicht konstruiert, sondern aus dem Leben der Familien gegriffen, die in diesem Dossier von sich erzählen werden. Sie zeigen, dass unsere traditionelle Vorstellung von Familie der Realität zunehmend weniger gerecht wird. Dafür spricht auch die Statistik, die belegt, dass in der Schweiz jedes fünfte Kind in einer anderen Konstellation aufwächst als der Kernfamilie, die aus zwei leiblichen Elternteilen und ihrem Nachwuchs besteht.
Die Zahl gelebter alternativer Familienmodelle steigt
Es wäre verfehlt, deren Untergang zu beschwören, leben doch hierzulande immerhin 80 Prozent der Familien mit Kindern nach wie vor dieses Modell. Doch die Zahl gelebter alternativer Familienmodelle steigt: Einelternfamilien zum Beispiel machen bereits 14 Prozent aller Haushalte mit Kindern aus, weitere 6 Prozent sind Patchworkfamilien, in denen Kinder bei einem leiblichen Elternteil mit neuem Partner leben. Von der offiziellen Statistik nicht erfasst werden Kinder, die bei Pflegeeltern aufwachsen – schätzungsweise sind es rund 13'000 –, oder solche in Regenbogenfamilien. Je nach Erhebung haben in der Schweiz bis zu 30'000 Kinder gleich geschlechtliche Eltern, die Mehrheit davon lebt bei lesbischen Paaren.
Wie sieht die Familie der Zukunft aus?
Wenn unsere gegenwärtige Vorstellung von Familie überholt ist: Wie wird Familie in Zukunft aussehen? Antworten auf diese Frage liefert unter anderem Klaus Preisner, Soziologe an der Universität Zürich. «Familie wird vielfältiger», sagt er zusammenfassend. Preisner ist Mitautor der OECD-Studie «Families to 2030», in der Sozialforscher aufzeigen, wie die Lebensrealität von Familien in 20 Jahren aussehen könnte.
Die traditionelle Konstellation aus verheirateten Paaren mit Kindern werde seltener, folgert der Bericht. In den OECD-Ländern lebe heute fast jedes zehnte Kind in einer Patchworkfamilie, rund jedes siebte bei einem alleinerziehenden Eltern teil und jedes fünfzehnte wachse bei den Grosseltern auf. «Noch mehr Menschen als heute werden alternative Formen zur Kernfamilie leben», sagt Klaus Preisner, «teilweise als Folge eines gescheiterten klassischen Familienmodells, teilweise aber auch, weil es von vornherein die gewünschte Form war.» Entsprechend werden gemäss der OECD Studie Einelternfamilien bis 2030 bereits 20 Prozent aller Schweizer Haushalte mit Kindern ausmachen, ebenso werde die Zahl der Patchwork und Regenbogenfamilien weiter ansteigen.