Kanban für Chindsgi-Kinder - Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi
Merken
Drucken

Kanban für Chindsgi-Kinder

Lesedauer: 3 Minuten

Stimme aus der Community: 

Nadine Friedel, Mama vom sechsjährigen Jack, versucht mit dem japanischen Projektmanagement-Tool Kanban, Ordnung in den stressigen Corona-Familienalltag zu bringen. Vor allem, aber fragt sie sich jetzt auch: Ist es wirklich die richtige Entscheidung das Kind am 11. Mai wieder in den Kindergarten zu schicken

Nach fünf Wochen in Selbst-Quarantäne (zum Glück sind hier immer noch alle gesund) muss ich sagen, meine Nervenstränge ertragen kein µ mehr an Bewegung. 

Wie sehne ich mich nach meinem Leben von vor fünf Wochen zurück, als Homeoffice noch Homeoffice war und aus «in Ruhe schaffen», Pyjama und Espresso bestand. Jetzt wirbeln wir neben Homeoffice (Mum 90 Prozent, Daddy 80 Prozent) als Gärtner, Putzfee, Forscher, Tierbeobachterin und Karatetrainer durch den Tag, was das Pensum in ungeahnte Höhen treibt. Und ambitioniert wie man ist, will man den Nachwuchs kurz vor der Einschulung auch nicht hängen lassen. 

Doch wie schafft man das alles? Nun, Kanban hat Toyota schon zum Effizienz-Siegeszug gegen die gigantische amerikanische Automobilindustrie der 40er Jahre verholfen. Dann sollte das wohl auch unserem Sprössling und unserem Homeoffice-Dasein zur Effizienzsteigerung verhelfen. 

Auch wenn sie ein Kanban-Fan ist, fragt sich unsere Autorin Nadine Friedel: Muss man als Familie ein Projektmanagement-Tool einführen, um den Alltag zu meistern?
Auch wenn sie ein Kanban-Fan ist, fragt sich unsere Autorin Nadine Friedel: Muss man als Familie ein Projektmanagement-Tool einführen, um den Alltag zu meistern?
Wir planten alles ganz akribisch: 7 Spalten, eine pro Wochentag in der richtigen Farbe, so wie im Kindergarten. Die Klammer der Kindergärtnerin, mit dem Icon des Nachwuchses zeigt den Wochentag an. Die 7 Spalten haben jeweils eine Zeile für jede Stunde (bei uns von 8-19) inklusive Mittagessen und Nachmittagssnack. Jeder Wochentag besteht aus 3 Routinen. 

Zu stressig: Sohn wünscht sich eigenen Rhythmus

Das Board hat nicht nur Jack eine Alltagsstruktur gegeben, sondern auch uns: gemeinsame Mahlzeiten (viel öfter als je zuvor) und klar definierte Pausen. Allerdings fragte ich mich je länger je mehr: Muss man als Familie ein Projektmanagement-Tool einführen, um den Alltag zu meistern? Sind wir Nerds? Tja, die ersten Wochen funktionierte es super. Doch dann sahen wir, dass die Taktung unseres Home-Schedules höher war, als jedes Chindsgi-Programm. Kurz: Unser Sohn wünschte sich mehr Auszeit. 

«Ich habe das Gefühl, mein Sohn geniesst die intensive Zeit mit uns und die 24-Stunden-Betreuung.» 

Nun planen wir nicht mehr stündlich, sondern Jack entscheidet, bei welchem Programmpunkt er länger Pause machen oder womit er sich länger als eine Stunde beschäftigen möchte. Am Morgen startet er auf eigenen Wunsch zuerst mit dem Chindsgi-Lernprogramm. Nachher möchte er etwas Ruhe haben. Wir lesen dann ein Buch oder er malt. Sowieso möchte unser Sohn ganz genau wissen, wann Papizeit und wann Mamizeit ist. Denn: Papi spielt besser Lego- und Playmobil während Mami super gut im Vorlesen, Rumturnen, Malen und Märchen-Erzähl-Würfel-Spiel ist. 

Ein Dreamteam trotz Corona-Stress

A propos Mami- und Papizeit: Wir sind weiterhin ein echtes Dreamteam. Trotzdem ist es schwer, eine Rückzugsmöglichkeit zu finden. Mein Mann und ich sind beide sehr kreativ und brauchen unseren Freiraum. Dazu muss man wissen, dass wir kurz vor dem Lockdown von einer 5-Zimmer-Wohnung in eine 3-Zimmer-Wohnung gezogen sind. Wir wollten unseren Beitrag dazu leisten, einer grösseren Familie bezahlbaren Wohnraum zu ermöglichen. 
 
Wir mussten also Alternativen finden. Mehr Zeit miteinander bedeutet auch mehr reden und aushandeln müssen. Mehr Grenzen ziehen wo man vorher gar nicht wusste, dass man eine Grenze braucht. Denn was sonst easy läuft (wir schmeissen beide den Haushalt zu 50/50), wird jetzt zur Herausforderung: Wann soll man putzen, desinfizieren, Essen bestellen, waschen, aufräumen und, und, und? Doch wir ziehen an einem Strang und unterstützen uns wo wir nur können. Und sonst genügt eine einfache Ansage: «Ich brauche jetzt zwei Stunden für mich». Das funktioniert super. 

Kindergarten! Riskant? Oder doch nicht? 

Nun gehen am 11. Mai die Schule und Kindergärten wieder auf. Aber: Soll ich mein Kind wirklich in den Kindergarten schicken? Meine persönliche Kraft sagt: «Unbedingt!» Denn: Ich kann diese 60-Stunden-Wochen auch als Superwoman nicht mehr leisten. Doch unsere Nachforschung sagt: Nein – zu riskant für meinen Partner als Teil der Risikogruppe. Was also tun? 

Wir haben hin und her überlegt, abgewägt und uns entschieden, Jack am 11. Mai in den Kindergarten zu schicken. Doch ganz wohl ist uns nicht dabei. Auf jeden Fall werden wir die Situation bis dahin und im Chindsgi weiter beobachten. 

Für meinen Sohn ist es jedenfalls kein Problem, so viel Zeit mit Mama und Papa zu verbringen. Ich bin überrascht, mit welcher Leichtigkeit er, die Selbstquarantäne meistert. Jack wirkt total zufrieden, auch wenn wir die ersten drei Wochen gar nicht rausgingen. Erst in der fünften Woche meinte er mal, dass dieses doofe Virus verschwinden solle, damit er endlich seine Freunde wiedersehen könne. Sehr berührt hat mich, als mein Sohn uns vor kurzem mitteilte, dass er das Zu-Hause-Sein mit uns, auch wenn wir arbeiten müssen, viel toller fände, als nach Portugal in die Ferien zu fahren. Ich habe das Gefühl, er geniesst die intensive Zeit mit uns und die 24-Stunden-Betreuung. Das stimmt mich nachdenklich. Denn ich frage mich: Hat er während unseres normalen Arbeitsalltags etwas vermisst, was er jetzt «dank Corona» geschenkt bekommt? 


Zur Autorin:

Nadine Friedel leitet beim Schweizer Fernsehen (SRF) den Bereich Distribution der Abteilung Jugend, Familie, Unterhaltung. Sie ist Mutter eines sechsjährigen Sohnes und lebt mit ihrer Familie in Zürich.
Nadine Friedel leitet beim Schweizer Fernsehen (SRF) den Bereich Distribution der Abteilung Jugend, Familie, Unterhaltung. Sie ist Mutter eines sechsjährigen Sohnes und lebt mit ihrer Familie in Zürich.


Mehr zum Thema Corona-Krise:

  • Dossier «Corona-Virus»: Relevante Themen für Familien
    Die aktuelle Krise verunsichert viele Familien. Wie unterstütze ich meine Kinder am besten beim Lernen zu Hause? Wie schaffe ich es, Homeschooling und Kinderbetreuung zu vereinbaren? Welche Rituale helfen gegen den Lagerkoller? 
  • Corona-Lockdown-Mamablog
    Michèle Binswanger berichtet über ihre Erlebnisse im Homeoffice. Die Zweifach-Mutter blogg zweimal pro Woche, jeweils Sonntag und Donnerstag.