«Wir sind alle Helden!» - Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi
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«Wir sind alle Helden!»

Lesedauer: 4 Minuten

Von der Spielgruppe auf die Covid-19-Intensivstation. Als Jessica Thompson ihre Spielgruppe wegen der Corona-Krise schliessen muss, ist für die Mutter und ausgebildete Intensivpflegefachkraft klar: «Ich will helfen»! Sie meldet sich beim Unispital Basel zurück zum Dienst. Was macht der Job auf der Intensivstation mit dem eigenen Familienleben?  

Frau Thompson, wann haben Sie realisiert, dass die Situation rund um Corona ernst wird? 

Bevor ich die Spielgruppe «Zottelbärli» von meiner Mutter übernommen habe, arbeitete ich über 15 Jahre als Pflegefachkraft, 8 Jahre auf der Intensivstation des Unispitals Basel, darunter viele Jahre auf der Infektiologie. Als die ersten Corona-Fälle in der Schweiz bekannt wurden, war für mich sofort klar, dass mit Covid-19 einiges auf uns zukommt. Es traf mich daher nicht unvorbereitet, dass ich meine Spielgruppe schliessen musste. 

Wie haben Sie das erlebt? 

Wir führen im Auftrag des Erziehungsdepartements Basel-Stadt die im Kanton obligatorischen Deutsch-Frühförderkurse für Kinder mit Deutsch als Zweitsprache durch. Deswegen waren wir als Spielgruppe mit dieser Zusatzfunktion von Beginn weg von den vom Bund verordneten Massnahmen für obligatorische Schulen betroffen. Die Schliessung der Spielgruppe ist für mich und meine vier Mitarbeiterinnen zweifellos einschneidend. Auch dass mein kleiner Sohn mit seinen geliebten Grosseltern und seinen Cousins, die wie Geschwister sind für ihn, keinen Kontakt haben darf, fällt uns allen sehr schwer. Da sind schon ein paar Tränen geflossen. Neben dem Spital mache ich für die Spielgruppenkinder noch Fernunterricht, was natürlich nicht vergleichbar ist mit dem Fernunterricht der Schulen. Trotzdem sollte auch der Wechsel in den Kindergarten vorbereitet werden. Ich fände es sehr schade, wenn die Kinder jetzt stagnieren würden, speziell die Kinder mit Deutsch als Zweitsprache.
Als die 42-jährige Baslerin Jessica Thompson ihre Spielgruppe wegen Corona schliessen muss, ist für die ausgebildete Intensiv-Pflegeexpertin sofort klar: Ich melde mich zurück zum Dienst! 
Als die 42-jährige Baslerin Jessica Thompson ihre Spielgruppe wegen Corona schliessen muss, ist für die ausgebildete Intensiv-Pflegeexpertin sofort klar: Ich melde mich zurück zum Dienst! 

Nach der Schliessung Ihrer Spielgruppe sind Sie temporär in Ihren alten Beruf als Intensivpflegefachkraft zurückgekehrt und arbeiten nun auf der Covid-19-Intensivstation des Unispitals Basel. Wie kam es dazu? 

Als ich die Spielgruppe zumachen musste, wusste ich: das ist der Moment. Ich habe mich dann sofort beim Unispital Basel gemeldet. Mir war klar, was meine Kolleginnen und Kollegen gerade durchmachten und dass gerade die Intensivpflege jetzt besonders gefordert war. Auf der Intensivstation arbeiten Pflegefachkräfte, die das Intensivpflege-Repertoire abdecken können. Dafür braucht es eine mehrjährige Zusatzausbildung, die ich habe. 

Wie ergeht es Ihnen im Spitalalltag? 

Der Zusammenhalt unter den Kollegen und Ärzten ist sehr gross. Auf persönlicher Ebene war es anfangs eine kleine Challenge, ich musste zurückfinden in meine alte Berufsrolle, Abläufe aktivieren, was dann doch erstaunlich schnell ging. Zudem ist der Einsatz auf einer Intensivstation eine sehr anspruchsvolle Arbeit. Man muss nonstop fokussiert sein, auch aus Selbstschutz. Und es fordert einen körperlich, einerseits durch die Bedingungen in der Schutzkleidung, in der man sehr schwitzt, und anderseits durch das Arbeiten am Bett. Wir übernehmen ja alle körperlichen Tätigkeiten der Patienten, die teilweise im künstlichen Koma liegen.

Für die Gesellschaft ist klar: Menschen wie Sie sind Helden. 

Wie definiert man Heldentum? Ich glaube Heldinnen und Helden sind wir alle. Heldentum heisst für mich, Leistungen zu erbringen, die ausserordentlich sind. Und die sehe ich überall: Mütter und Väter, die sich in ganz neue Rollen einbringen, die ihre Kinder rund um die Uhr betreuen, ihnen einen sicheren Hafen schaffen, die schauen, dass alles so gut wie möglich weiterläuft. Im Prinzip sind alle, die gerade das Beste aus der Situation machen, seien es Lehrer, die Fernunterricht anbieten, die Mitarbeitenden im Supermarkt und alle anderen, die dafür sorgen, dass die Welt weiter funktioniert, Helden. Für mich sind auch alle Heldinnen und Helden, die zu Hause bleiben, und sich an die BAG-Vorgaben halten, auch wenn ihnen gefühlt die Decke auf den Kopf fällt! 
 In Vollmontur auf der Covid-19-Station: «Mit meinem Einsatz möchte ich auch meinem Kind vorleben, was Solidarität bedeutet», sagt Jessica Thompson, die das Bild für ihren Sohn gemacht hat, weil er wissen wollte, was «Mami so im Spital macht».
 In Vollmontur auf der Covid-19-Station: «Mit meinem Einsatz möchte ich auch meinem Kind vorleben, was Solidarität bedeutet», sagt Jessica Thompson, die das Bild für ihren Sohn gemacht hat, weil er wissen wollte, was «Mami so im Spital macht».

Freut es Sie, dass die Leute in den sozialen Medien ihre Dankbarkeit äussern oder für Ärzte und Pflegefachkräfte klatschen? 

Es ist natürlich toll und es freut mich sehr, dass der Pflegeberuf mehr Aufmerksamkeit bekommt. Ich erhoffe mir, dass daraus ein nachhaltiger Effekt entsteht, auch auf politischer Ebene, der nach der Krise zu einer Verbesserung der Arbeitsbedingungen führt.

Wie vereinbaren Sie Ihren Einsatz im Spital, den Fernunterricht für Ihre Spielgruppen-Kinder und Ihre Familie? 

Man kommt schon an seine Grenzen. Aber mein Partner unterstützt mich sehr. Wir haben grosses Glück, dass der Arbeitgeber meines Partners sehr kulant ist und ihm sofort freigegeben hat für die Tage, die ich im Spital arbeite, ohne auf Home-Office zu pochen. So wird unser Sohn von seinem Papi betreut, wenn ich weg bin. Aber ich muss auch sagen, dass wir die Zeit als Familie nun noch viel intensiver gemeinsam verbringen. Das bringt eine ganz neue Qualität der Nähe mit hinein, die uns allen sehr guttut.

Was macht Ihr Einsatz in der Covid-19-Abteilung mit Ihrem Privatleben? Haben Sie Angst, dass Sie Ihre Liebsten anstecken? 

Angst habe ich nicht, aber Respekt. Wir schützen uns im Spital nach allen BAG-Standards und ich dusche immer zuerst, wenn ich nach Hause komme. Wenn wir als Familie rausgehen, dann immer nur zu dritt und nur in die Natur – mit Sicherheitsabstand. Wir haben auch keinen Kontakt zu anderen Familien oder Kindern. Aber klar: Ein Restrisiko bleibt. Mir war daher anfangs mulmig beim Gedanken, was passieren würde, wenn mein Partner oder ich ins Spital gehen müssten bei einer allfälligen Ansteckung. Weil eben die Grosseltern sowie meine Schwester, die aufgrund einer chronischen Erkrankung ebenfalls zur Risikogruppe gehört, wegfallen. Ich bin froh, dass sich meine beste Freundin und Gotte meines Sohnes sofort bereit erklärt hat, meinen Sohn im Ernstfall zu sich zu nehmen. Das hat mich sehr entspannt. 

Was macht die Corona-Krise mit Ihnen persönlich? 

Dieses Virus hat uns gezeigt, dass alles möglich ist. Und dass nichts in Stein gemeisselt ist. Aber es zeigt auch: Es geht immer weiter im Leben. Das Solidarische, das durch die Pandemie entstanden ist, empfinde ich als eine schöne Erfahrung. Viele Menschen kriegen Zeit geschenkt oder merken, dass sie mit viel weniger auskommen. Aber klar: Viele Unternehmen und Selbstständige haben, trotz Hilfe vom Bund, weiterhin Existenzängste. Auch die Spielgruppen haben aktuell einen schweren Stand: Ihr offizieller Status als Bildungseinheit im Frühförderbereich ist nicht klar definiert, die Verluste der Elternbeiträge führen zu Konkursen und Schliessungen. Aber ich bleibe positiv, Angst blockiert nur. Ich versuche, jede Herausforderung Schritt für Schritt zu meistern. Darum werde ich, wenn die Krise vorbei ist, meine Spielgruppe weiterführen. Darauf freue ich mich. Das «Zottelbärli» ist meine Leidenschaft und ich vermisse meine Spielgruppenkinder sehr.

Zur Person:

Jessica Thompson ist Inhaberin der Spielgruppe «Zottelbärli» in Riehen im Kanton Basel-Stadt. Die Spielgruppe führt im Auftrag des Erziehungsdepartements Basel-Stadt auch die im Kanton obligatorischen Deutsch-Frühförderkurse für Kinder mit Deutsch als Zweitsprache durch. Bevor sich Jessica Thompson zur Spielgruppen-Leiterin und Sprachführerpädagogin ausbilden liess, arbeitete die heute 42-Jährige über 15 Jahre als Pflegefachfrau mit Zusatzausbildung für die Intensivstation. Sie ist Mutter eines vierjährigen Sohnes und lebt mit ihrer Familie in Basel.

Link zur Spielgruppe: www.zottelbärli.ch


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