Welche Rolle spielen Grosseltern in der Erziehung?
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Welche Rolle spielen Grosseltern in der Erziehung?

Lesedauer: 7 Minuten

Wenn sich Grosseltern ungefragt in die Erziehung ihrer Enkelkinder einmischen, kommt es häufig zum Streit. Wie Konflikte vermieden werden, was beide Seiten voneinander lernen können und warum es nicht schlimm ist, wenn Oma und Opa ihre Enkel verwöhnen, erklärt der Zürcher Paar- und Familienberater Jean-Luc Guyer.

Interview: Nik Niethammer und Eveline von Arx
Bilder: Désirée Good / 13 Photo

Herr Guyer, welche Erinnerungen haben Sie an Ihre Grosseltern?

Zwei ganz unterschiedliche: Bei meinen Grosseltern mütterlicherseits, die im Welschland zu Hause waren, ging es jeweils sehr unkompliziert zu, wie in einer Grossfamilie, mit vielen Cousins. Es herrschte eine lockere Atmosphäre, und es war immer etwas los. In der Uhrmacher-Familie meines Vaters im Tösstal hingegen standen Ordnung und Genauigkeit an erster Stelle. Für mich als Kind war es spannend, mich in beiden Welten zurechtzufinden.

Wie war das Verhältnis zwischen Ihren Grosseltern und Ihren Eltern? Erinnern Sie sich an Konfliktsituationen?

Ja – in erster Linie zwischen meiner Mutter und meiner Grossmutter väterlicherseits. Ihre Erziehungsvorstellungen, etwa auch davon, wie man sich zu kleiden hatte, deckten sich nicht mit den Ansichten meiner Mutter.

Der erfahrene Paarberater Jean-Luc Guyer weiss, was Eltern bewegt – auch wenn es um Konflikte zwischen den Generationen geht.
Prof. Jean-Luc Guyer, 62, ist Paar- und Familienberater und Psychotherapeut am Institut für Angewandte Psychologie sowie Dozent an der Hochschule für Angewandte Wissenschaften in Zürich. Er ist Vater von zwei erwachsenen Kindern, vierfacher Grossvater und lebt in Ottenbach ZH.

Wie ist sie damit umgegangen?

Sie suchte Unterstützung bei meinem Vater, und wenn sie diese nicht erhielt, kam es schon einmal zu einer Auseinandersetzung zwischen der Mutter und der Grossmutter. Mir und meinen Geschwistern gab sie zu verstehen, dass wir die etwas veralteten Vorstellungen unserer Grossmutter nicht so ernst nehmen sollten.

Heute kommen Eltern zu Ihnen, wenn sie Schwierigkeiten mit den Grosseltern haben. Was sind die häufigsten Gründe, warum jemand dann Ihre Hilfe sucht?

Ich kann Ihnen ein paar Beispiele schildern: Da kommen junge Eltern mit dem Problem, dass sich ihre Eltern oder Schwiegereltern zu sehr in die Kindererziehung oder auch in die Partnerschaft einmischen. Die Grosseltern möchten etwa bestimmen, welche Spielgruppe oder Freizeitgestaltung die beste für die Enkelkinder ist. Oder die Eltern stören sich daran, dass die Grosseltern die Enkel zu sehr verwöhnen, vor allem auch in materieller Hinsicht, sie damit sozusagen «kaufen». Die meisten Eltern suchen dann Hilfe, weil dieser Konflikt auch ihre Partnerschaft beeinträchtigt. Die Schwiegertochter oder der Schwiegersohn wünscht sich mehr Loyalität vom Partner, während dieser sich vielleicht den eigenen Eltern gegenüber zu wenig abgrenzen oder durchsetzen kann.

Manche Eltern fallen in jene Erziehungsmuster zurück, unter denen sie als Kind gelitten haben.

Rühren Konflikte zwischen Grosseltern und Eltern auch häufig daher, dass man sich beim Erlauben und Verbieten widerspricht?

Mir fällt in diesem Zusammenhang auf, dass die Beziehung der Ratsuchenden zu ihren Eltern oft als sehr freundschaftlich empfunden und beschrieben wird. Die eigene Mutter ist quasi die beste Freundin, und nun macht sie plötzlich Dinge im Umgang mit den Enkelkindern, die man selber oder vor allem auch der Partner nicht gutheisst. Dabei kann es durchaus auch darum gehen, dass die Grosseltern den Enkeln etwas erlauben, dem die Eltern widersprechen. Es ist für die Tochter dann jedoch schwierig, sich gegenüber der eigenen Mutter zu behaupten, weil sie ambivalent ist: Sie hat einerseits das Bedürfnis nach Abgrenzung, verspürt aber auch den Wunsch nach Bestätigung und Unterstützung durch die eigene Mutter. Deshalb werde ich jeweils hellhörig, wenn es heisst, die Beziehung zu den eigenen Eltern sei sehr freundschaftlich.

Das heisst, die Generationengrenze ist heute weniger ausgeprägt.

Ganz klar, ja. Doch sie ist wichtig für die Eigenständigkeit der Eltern, auch in ihrer Rolle als Erziehende. So wird der Ablösungsprozess – notgedrungen – oft erst spät in Gang gesetzt, dann, wenn man eigene Kinder hat.

Wie helfen Sie, wenn ein Paar unter der Dominanz der Eltern oder Schwiegereltern – gerade auch in Bezug auf die Erziehung der Kinder – leidet?

Zuerst einmal möchte ich hervorheben, dass es eine Illusion ist, davon auszugehen, die Beziehung zwischen dem Paar und den Eltern bzw. Schwiegereltern müsse konfliktfrei sein. Spannungen zwischen den Generationen sind nichts Aussergewöhnliches – und es ist eine grosse Herausforderung, immer wieder gemeinsam herauszufinden, was für beide stimmt. In meiner Beratungstätigkeit ist es in solchen Situationen auf jeden Fall zentral, das Elternpaar zu stärken. Denn sie haben die Verantwortung für ihre Kinder und sollten auch entscheiden, wie sie diese erziehen möchten. Je bewusster sie sich dessen sind, desto klarer können sie ihre Vorstellungen auch nach aussen, gegenüber den eigenen Eltern oder Schwiegereltern, vertreten. Wichtig ist dabei natürlich, dass das Paar gemeinsam nach Lösungen sucht und am selben Strick zieht.

Wenn man Mutter oder Vater wird, verändert sich auch die Beziehung zu den eigenen Eltern. Einerseits kann das bedeuten, dass man eine grosse Wertschätzung dafür verspürt, was die eigenen Eltern alles mit einem durchgemacht und für einen geleistet haben. Oder es kann auch heissen, dass einem bewusst wird, was man mit dem eigenen Kind nicht so machen möchte, wie man es selbst erfahren hat.

Ja – und meist erleben Eltern ein Entweder-oder, selten beides. Einerseits wäre es ja schön, diese erwähnte Wertschätzung zu empfinden, aber auch zu merken, was man nun als Mutter oder Vater anders, auf die eigene Art, machen möchte. Manche Eltern fallen jedoch, besonders in Stresssituationen, genau in die Erziehungsmuster zurück, unter denen sie selbst als Kind gelitten hatten. Dann ist es sicher sinnvoll, genauer hinzuschauen und diese vergangenen Erfahrungen aufzuarbeiten.

Grosseltern sind mit den Enkeln oft entspannter, als sie es mit den eigenen Kindern waren.

Oma und Opa sind nach Eltern und Erziehenden im Kindergarten die wichtigsten Bezugspersonen für Kinder unter sechs Jahren. Was macht die Beziehung zwischen Enkeln und Grosseltern so besonders?

Grosseltern müssen in der Regel nicht täglich mit dem Nachwuchs zusammen sein. Sie können mit den Enkeln etwas unternehmen, sie aber nach einer gewissen Zeit wieder «abgeben» – ohne dieselbe Verantwortung zu haben, die man als Mutter oder Vater trägt. Ich spreche aus eigener Erfahrung, da ich selber vier Enkelkinder habe.

Enkel vermitteln ihren Grosseltern oftmals das Gefühl, jung zu bleiben, gebraucht zu werden, ein sinnvolles Leben zu führen.

Das ist richtig. Ich persönlich staune immer wieder, wie sehr sich meine Enkelkinder für meine Eltern und meine Grosseltern interessieren, für die Familiengeschichte also. Und es ist schön, dass ich ihnen Dinge, die ich gerne mag und die mir wichtig sind, weitergeben kann. Ich bin und war zum Beispiel schon immer sehr gerne auf dem Wasser unterwegs: als Ruderer, Segler, im Kanu. Und diese Aktivitäten bringe ich nun auch meinen Enkelkindern näher.

Und was können Grosseltern von ihren Enkeln lernen?

Vieles! Ich erlebe die Neugierde, die die Enkelkinder mitbringen, als sehr inspirierend. Zudem finde ich es heutzutage bemerkenswert, wie schon kleine Kinder mit den neuen Technologien umgehen, wie schnell sie das alles kapieren. Man ist als Grosseltern oft entspannter im Umgang mit den Enkeln, als man es vielleicht mit den eigenen Kindern war. Viele sind nun weniger im Stress, besonders wenn sie als Eltern damals auch beruflich sehr eingespannt waren und nicht so viel Zeit für die Kinder aufwenden konnten.

Wie unterscheidet sich die Beziehung Grosseltern – Kind von der Beziehung Eltern – Kind?

Ein wesentlicher Unterschied besteht darin, dass die Hauptverantwortung und -kompetenz für die Erziehung bei den Eltern liegt. Erziehung ist Elternsache. Die Grosseltern sind eine wichtige Ergänzung und Bereicherung. Sie betreuen die Enkel, aber sie erziehen sie nicht. Konflikte entstehen dort, wo Grosseltern massgeblich in die Erziehung der Enkelkinder einwirken. Ich empfehle manchmal, dass das Paar zusammen mit den Grosseltern in die Beratung kommt.

Jean-Luc Guyer vertieft in das Gespräch mit der Redaktion des ElternMagazins Fritz+Fränzi
Der erfahrene Paarberater Jean-Luc Guyer weiss, was Eltern bewegt – auch wenn es um Konflikte zwischen den Generationen geht.

Ein oft gehörter Satz von Kindern lautet: «Bei den Grosseltern gibt es mehr Süsses, mehr Fernsehen, mehr Aufmerksamkeit.» Ist es wirklich so schlimm, wenn die Grosseltern ihre Enkel verwöhnen?

Im gesunden Mass sicher nicht. Ich erinnere mich gerne daran zurück, wie wir zu unserer Grossmutter ins Bett durften, wenn wir bei ihr in den Ferien waren, und sie uns mit bunten Bonbons fütterte. Das gab es bei meinen Eltern nicht. Anders sieht es, um beim Beispiel zu bleiben, aus, wenn Kinder übergewichtig sind, und sie von den Grosseltern entgegen dem Willen der Eltern immer wieder viele Süssigkeiten bekommen. Das ist sicher problematisch.

Haben Sie schon erlebt, dass ein Time-out, also ein Kontaktstopp oder -unterbruch zwischen Grosseltern und Enkeln, notwendig wurde?

Selten. Aber wenn die Dominanz der Grosseltern so überhandnimmt, dass die Konflikte zwischen dem Elternpaar zunehmen, kann es allenfalls sinnvoll sein, zu einer solchen Beziehungspause zu raten, in welcher der Kontakt zu den Grosseltern dann eben nicht stattfindet.

Um mehr als die Hälfte der Kinder im Vorschulalter, die fremdbetreut sind, kümmern sich die Grosseltern. Eltern sind also auch angewiesen auf diese Unterstützung. Was aber geschieht, wenn die Kinder grösser sind und die Grosseltern nicht mehr so «gebraucht» werden?

Ich beobachte oft, dass genau darüber im Vorfeld viel zu wenig gesprochen wird. Man ist als Eltern zwar für eine bestimmte Zeit oft sehr abhängig von dieser grosselterlichen Hilfe, doch wenn die Enkel dann selbständiger sind, haben die Grosseltern manchmal fast das Gefühl, überflüssig zu sein und keine grosse Rolle mehr zu spielen. Das ist nicht einfach, für beide Seiten, und ich empfehle deshalb, rechtzeitig auch über solche bevorstehenden Veränderungen zu sprechen und zu klären, wie sich die Beziehung zwischen den Grosseltern und den Enkelkindern zukünftig gestalten könnte.

Wie könnte sich denn die Beziehung zwischen Grosseltern und Enkeln sinnvollerweise verändern, wenn die Kinder älter werden?

Gelingt es den Grosseltern, sich auf die gewandelten Bedürfnisse der heranwachsenden Enkel einzustellen, kann eine vertrauensvolle Beziehung mit neuen Qualitäten daraus hervorgehen: Dann können die Enkel mit den Grosseltern zum Beispiel auch Themen besprechen, über die sie mit den Eltern nicht unbedingt reden möchten, wie Liebeskummer oder schlechte Noten.

Jugendlichen fällt es oft leichter, sich statt den Eltern den Grosseltern anzuvertrauen.

Manchmal sind Grosseltern auch hilfreich, wenn es um die Unterstützung bei den Schulaufgaben geht. Im Idealfall kann eine Beziehung auch daran wachsen, indem sie zunehmend auf Gegenseitigkeit beruht; wenn zum Beispiel das Enkelkind Aufgaben im Haus oder im Garten übernimmt, die für die Grosseltern beschwerlich geworden sind.

Grosseltern sind nicht selten Vertrauenspersonen der Enkel. Wie geht man als Grossmutter oder Grossvater damit um, wenn einem das Enkelkind ein Geheimnis oder auch Problem anvertraut, von dem die Eltern des Kindes nichts wissen?

Das kommt sicher auf den Inhalt des Geheimnisses an: Wenn es etwas sehr Schwerwiegendes ist, das eine grosse Bedeutung im Leben des Kindes hat, kann es angebracht sein, mit dem Enkel zusammen zu schauen, ob man die Eltern nicht doch involvieren möchte. Manchen Kindern und insbesondere Jugendlichen fällt es tatsächlich leichter, sich dem Opa oder der Oma anzuvertrauen, weil die Beziehung zu ihnen weniger eng und somit auch weniger konfliktanfällig ist als zu den eigenen Eltern. Und das ist oft viel wert.

Eveline von Arx
ist Stiftungsrätin der Stiftung Elternsein, die das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi herausgibt. Die Erziehungswissenschaftlerin und Psychologin leitete von Dezember 2010 bis Dezember 2014 die Redaktion des Schweizer ElternMagazins Fritz+Fränzi.

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Nik Niethammer

Nik Niethammer
ist seit 2014 Chefredaktor von Fritz+Fränzi. Er ist Vater eines Sohnes und einer Tochter und lebt in Zürich und in Freiburg im Breisgau.

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