Gemeinsam statt einsam - Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi
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Gemeinsam statt einsam

Lesedauer: 3 Minuten

Gerade in Ausnahmesituationen brauchen Kinder eine Stimme. Die Stiftung Kinderdorf Pestalozzi antwortete mit ihrem Kinder- und Jugendradio auf das Coronavirus – und entwickelte eine krisenresistente Sendung, die in der Isolation vernetzte.

Neo auf die bevorstehende Radio-Projektwoche im Kinderdorf Pestalozzi. Dann kam der Lockdown und wie alle anderen Veranstalter musste auch das Kinderdorf sein Programm absagen. Neos Enttäuschung war so gross, dass sich seine Mutter beim Radioteam nach Alternativen erkundigte. Die gab es: Unter dem Hashtag #powerupverbindet lancierte das Kinder- und Jugendradio der Stiftung Kinderdorf Pestalozzi eine ­Sendung, die zum Ziel hatte, Kindern wie Neo eine Stimme zu geben. «Wir nutzten den digitalen Begegnungsort des Mediums Radio, um Kinder und Erwachsene während der Corona-Krise zu vernetzen», erklärt Projektleiterin Cinzia Hänsenberger. Dadurch, dass Menschen ihre persönlichen Erfahrungen im Umgang mit der Krise teilen, werde Solidarität erlebbar.

Vom Teenie bis zur Seniorin

Am 23. März um 11 Uhr ging das Radioteam auf Sendung. Zunächst war das einstündige Format noch sehr strukturiert: So hiessen die Rubriken etwa Wunschkonzert, Happy News oder analoger Gamecorner. Die Community für das neue Format musste erst noch aktiviert werden.
 
Doch schon bald meldeten sich die ersten Kinder zu Wort. Radio­pädagogin Samantha Kuster erinnert sich an den Nachbarssohn ihrer Eltern, den sie zum Mitmachen ermunterte. Der 13-Jährige meisterte das Gespräch trotz seines sehr ruhigen Naturells souverän. In der zweiten Woche habe er dann von sich aus in die Sendung angerufen, um von seinem Lieblingsbuch zu erzählen und Freunde und Familie zu grüssen. «Da wurde mir bewusst, dass diese Erfahrung für sein Selbstvertrauen sehr wichtig war.»

Verbindende Momente gab es beispielsweise, als ein Mädchen während einer Sendung einen Buchtipp teilte und eine Freundin grüsste, die nicht mehr im selben Dorf lebt – und diese sich daraufhin meldete. Auch ältere Menschen erzählten von ihrem Alltag in Quarantäne. Cinzia Hänsenberger hatte beispielsweise die bald 80-jährigen Eltern einer Freundin in der Leitung, die es sehr schätzten, auf diesem Weg ihr Umfeld zu beruhigen und ihre Enkelkinder zu grüssen.

Die Schule traf sich digital

#powerupverbindet entstand aus der Not heraus. Nachdem sich das Corona­virus so rasant verbreitete, mussten im Kinder­dorf zahlreiche Projekte abgesagt werden. Mit Radio- und Austauschprogrammen, die Menschen verbinden und ein Gemeinschaftsgefühl erzeugen, wollte man im Rahmen des Möglichen fortfahren. «Wir wollten den Kindern und ihren Familien zeigen, dass wir für sie da sind und dass sie uns als Austauschplattform nutzen können», sagt der Radio­pädagoge Adrian Strazza.

Strazza hätte Ende März eine Projektwoche mit einer Primar­schule in Gais durchführen wollen. Wenn schon das Projekt ins Wasser fiel, so sollte zumindest die Vorarbeit der Kinder und Lehrpersonen nicht umsonst gewesen sein. Aus den Vorproduktionen entstand eine ganztägige Sendung mit viel Raum für Interaktionen. «So haben wir uns vom analogen Prinzip mit möglichst viel Begegnung vor Ort an eine mit dem Social Distancing konforme Variante herangetastet, bei der man sich digital trifft.» Die Sendung sei ein voller Erfolg gewesen, so Adrian Strazza. Berührt habe ihn unter anderem die gemeinsame Grussbotschaft aller Kindergärtnerinnen. «Ich denke, es ist etwas Schönes, wenn Lehrper­sonen auch mal sagen können: Wir mögen Kinder und freuen uns, wenn es wieder losgeht.»

Mobile Reporter

Aber dabei wollten es die Organi­satoren nicht bewenden lassen, #power­upverbindet sollte noch stärker zum Sprachrohr aller Schülerinnen und Schüler werden. So wurden sogenannte mobile Reporter eingesetzt – ehemalige Projektteilnehmende, angefixt vom Radiomachen. Ausgerüstet mit Laptop und Aufnahmegerät realisierten sie eigene Beiträge. Seit der dritten Sendewoche waren  fünf Kinder involviert. Sie hatten Interviewpartner wie zum Beispiel die Mediensprecherin des Bauernverbands, einen Bäckermeister oder die Leiterin eines Kinderzoos zugewiesen bekommen, die sie per Telefon live aus der Sendung interviewten.

Auch der eingangs erwähnte Neo war in den Augen von Samantha Kuster ein potenzieller mobiler Reporter. Noch am selben Abend, an dem er zum ersten Mal auf Sendung war, schrieb er eine E-Mail mit der Bitte, in der kommenden Woche einen eigenen Beitrag realisieren zu dürfen. In den Augen der Radiopädagogin ein schönes Beispiel dafür, wie das Radio Kinder ermächtigen kann, selber aktiv zu werden und ihre eigene Meinung zu vertreten. #powerupverbindet habe Neo die Möglichkeit gegeben, sich in einer schwierigen Situation selber auszuprobieren und sein Selbstbewusstsein zu stärken. Ausserdem habe er etwas gefunden, das ihm Freude macht. Samantha Kuster: «Er hat die Aufgabe mit Bravour gemeistert und selbständig einen qualitativ sehr guten Beitrag über sein Hobby Basketball abgeliefert.»


Community Radio #powerupverbindet – das Wichtigste in Kürze

  • Das Radio der Stiftung Kinderdorf Pestalozzi vernetzte Kinder und Erwachsene in Zeiten des Coronavirus und gab ihnen während des Lockdowns eine Stimme.
  • Zuhörerinnen und Zuhörer erzählten einander, wie sie diese aussergewöhnliche Situation meistern, und regten damit andere an, es ihnen gleichzutun. So wurde Solidarität erlebbar.
  • Die Sendung vermittelte Helferinnen und Helfer an Hilfesuchende und stärkte so das Gemeinschaftsgefühl.
  • Während das Coronavirus die Berichterstattung in den Medien dominiert, geraten positive Ereignisse in Vergessenheit. Dieser Entwicklung wirkte die Sendung mit einer positiven Grundhaltung entgegen.
  • Schulklassen bot #powerupverbindet eine Abwechslung zum Online- und Homeschooling. In eigenen Sendungen setzten sie die Themen, verschafften sich Gehör und traten so akustisch mit ihrer Community in einen Dialog.
  • Mit der Wiederaufnahme des Unterrichts an den obligatorischen Schulen am 11. Mai wurde die Radiosendung eingestellt.
  • Die Sendungen kann man hier nachhören: www.powerup.ch/podcasts

Christian Possa ist Fachperson Kommunikation bei der Stiftung Kinderdorf Pestalozzi.
Christian Possa ist Fachperson Kommunikation bei der Stiftung Kinderdorf Pestalozzi.


Über die Stiftung Kinderdorf Pestalozzi

Die Stiftung Kinderdorf Pestalozzi ist ein international tätiges Kinderhilfswerk. Seit 1946 stehen Kinder und Jugendliche im Mittelpunkt ihrer Tätigkeit. Das Kinderdorf in Trogen ist ein Ort der Friedensbildung, an dem Kinder aus der Schweiz und dem Ausland im Austausch lernen, mit kulturellen und sozialen Unterschieden umzugehen. In zwölf Ländern ermöglicht die Stiftung benachteiligten Kindern Zugang zu qualitativ guter Bildung.
www.pestalozzi.ch