Frau Durrer, was brauchen wir, um Familie und Beruf zu vereinbaren? - Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi
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Frau Durrer, was brauchen wir, um Familie und Beruf zu vereinbaren?

Lesedauer: 2 Minuten

Am 25. September 2016 entschied sich das Stimmvolk im Kanton Zürich gegen die Initiative «Bezahlbare Kinderbetreuung für alle». Für Sylvie Durrer, Direktorin des Eidgenössischen Büros für die Gleichstellung von Frau und Mann, sind verschiedene Massnahmen nötig, um die Vereinbarkeit von Beruf und Familie zu verbessern. Erschwingliche Kinderbetreuung ist eine davon. 

Frau Durrer, laut einer Umfrage, die im Rahmen einer Masterarbeit durchgeführt wurde, könnten weder niedrigere Betreuungskosten noch Steuervorteile gut qualifizierte Mütter dazu bewegen, ihr Teilzeitpensum zu erhöhen beziehungsweise früher in den Beruf zurückzukehren. Halten Sie dieses Ergebnis für repräsentativ? 

Die Erhebung ist interessant, aber nicht repräsentativ. Bei den knapp 500 Familien, die befragt wurden, handelt es sich mehrheitlich um gut verdienende und hochqualifizierte Paare, welche bereits in hohen Arbeitspensen tätig sind. 

Mir persönlich sind sehr wohl Fälle bekannt, in denen gut qualifizierte Mütter auf einen weiteren Arbeitstag verzichten, da sich die Mehrarbeit kaum rechnen würde. Eben wegen der hohen Krippenkosten. Sie sagen: Da verbringe ich die Zeit doch lieber mit den Kindern…

… absolut verständlich. Die Studie zeigt aber auch, dass immerhin 30 Prozent der befragten – gut qualifizierten – Eltern bereit wären, das Arbeitspensum bei tieferen Kita-Kosten zu erhöhen. Anders präsentiert sich die Lage für Frauen, die weniger gut verdienen: Sie haben oft gar keine andere Wahl als zu Hause bei den Kindern zu bleiben, da sie sich spätestens mit dem zweiten Kind keine zusätzliche familienergänzende Kinderbetreuung mehr leisten können. Deshalb braucht es schweizweit sehr wohl genügend qualitativ hochwertige und erschwingliche Betreuungsangebote für Kinder im Vorschulalter. Aber das ist nur eine von mehreren Massnahmen, um die Zahl an arbeitenden Müttern zu erhöhen. 

Was braucht es noch?

Es braucht einen Wandel der Unternehmenskultur. Flexible Arbeitszeitmodelle, Homeoffice, Jobsharing und vernünftige Teilzeitpensen auf allen Unternehmensstufen und in allen Berufen sollten zur Selbstverständlichkeit werden. 
Sylvie Durrer weiss, worauf es bei der Gleichstellung von Mann und Frau ankommt.Foto: zVg
Sylvie Durrer weiss, worauf es bei der Gleichstellung von Mann und Frau ankommt.
Foto: zVg

Und es braucht Vorgesetzte, die Verständnis dafür haben, wenn sich ihre Mitarbeiterinnen spätestens um 17 Uhr verabschieden, um die Kinder von der Krippe abzuholen…

… und dies auch ihren männlichen Mitarbeitern zugestehen. Zudem sollten sich Vorgesetzte auch für die finanzielle Gleichbehandlung von Mann und Frau einsetzen: Nur wer gleichen Lohn für gleichwertige Arbeit erhält, hat eine echte Wahlfreiheit. Ist diese nicht gegeben, sind es mehrheitlich die Mütter, die zuhause bleiben beziehungsweise in den niedrigeren Arbeitspensen arbeiten, da sie in vielen Bereichen noch immer schlechter entlöhnt werden. Das EBG bietet Unternehmen kostenlos Selbsttest-Tools an, um die Lohnpraxis einfach und schnell zu überprüfen.

Es ist aber auch nicht leicht, als Frau seine Kinder fremd betreuen zu lassen, solange in unserer Gesellschaft die Meinung vorherrscht, die Mutter sei die allerwichtigste Bezugsperson in den ersten Lebensjahren eines Kindes und durch nichts und niemanden zu ersetzten…

…aber Studien belegen doch, dass auch die Väter sehr gute und wichtige Betreuungs- und Beziehungsarbeit leisten – und Kinder von Kitas sogar profitieren können, wenn es sich um eine gute Einrichtung handelt.

In Zürich entschied sich das Stimmvolk am 25. September gegen die Initiative «Bezahlbare Kinderbetreuung für alle». Ziel war es, das Betreuungsangebot auszubauen, qualitativ zu verbessern und für Eltern bezahlbar zu machen. Dafür sollten die Unternehmen 0.2 bis 0.5 Prozent der AHV-pflichtigen Lohnsumme in einen Betreuungsfonds einzahlen. 

In den Kantonen Freiburg, Neuenburg und Waadt wurde vor einigen Jahren eine ähnliche Lösung angenommen. Die Erfahrungen sind mehrheitlich positiv. Auch die Unternehmen profitieren davon, gerade die mittleren und kleineren Unternehmen, die keine firmeneigenen Krippen einrichten können, bieten ihren Mitarbeitenden auf diesem Weg Betreuungsplätze für ihre Kinder.

Nun möchten aber manche Mütter trotzdem die ersten Jahre ausschliesslich bei ihren Kindern sein oder nicht mehr als 40 Prozent arbeiten. 

Zu einer echten Wahlfreiheit gehört auch diese Option. Ich gebe aber zu bedenken, dass unser Schweizer Vorsorgesystem nichts verzeiht. Alles, was während des Erwerbslebens geschieht, schlägt sich darin nieder. Längere Phasen von Teilzeitarbeit können einschneidende Auswirkungen auf die Höhe der Altersleistung von AHV und zweiter Säule haben. Wer über längere Zeit in einem Pensum von unter 50 Prozent arbeitet, riskiert nach der Pensionierung mit dem Existenzminimum von 3’100 Franken pro Monat auskommen zu müssen oder finanziell stark abhängig zu sein vom Partner. Mit einer Scheidung erhöht sich dieses Risiko zusätzlich. Berufstätig zu sein heisst Risikominimierung in eigener Sache.

Bild: Fotolia


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