Gemischte Gefühle vor dem Schulstart: «Es ist kompliziert»  - Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi
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Gemischte Gefühle vor dem Schulstart: «Es ist kompliziert» 

Lesedauer: 4 Minuten

Ab dem 11. Mai dürfen die meisten Schweizer Kinder wieder zur Schule. Freuen sie sich eigentlich darüber? Was ist mit denen, die weiterhin zu Hause bleiben müssen? Und wie sehen das Eltern und Lehrpersonen? Eine Familie erzählt. 

Bei Familie Zimmermann* aus dem Kanton Zürich war – wie bei den meisten anderen Familien auch – nicht viel «normal» in den vergangenen Wochen. Ausser, dass Vater Christoph nach wie vor täglich ins Büro, eine kleine Vermögensverwaltung, ging. Primarlehrerin Ellen Zimmermann unterrichtete ihre erste Klasse per Fernunterricht. Auch die Töchter Lena, 15, und Svenja, 12, lernten vor dem Bildschirm. Ab Montag steht Ellen wieder zwei Tage die Woche vor ihrer Klasse, die Sechstklässlerin Svenja geht halbtags zur Schule. Gymnasiastin Lena hingegen büffelt bis auf Weiteres zu Hause, da weiterführende Schulen wie Gymnasien oder Universitäten noch geschlossen bleiben.
Lena: Das ist schon ein komisches Gefühl, dass ich dann manchmal ganz allein zu Hause bin. Ich finde den Fernunterricht sehr streng. Aber er hat auch Vorteile. Zum Beispiel kann ich die Zeit, in der ich sonst auf dem Schulweg wäre, für Yoga nutzen.

Ellen: Ich bin sehr froh, dass ihr beide so selbstständig seid und wenig Unterstützung braucht beim Lernen. Ich weiss nicht, wie ich das sonst hingekriegt hätte. Wir Lehrerinnen und Lehrer wurden anfangs recht ins kalte Wasser geworfen, mussten planen, herausfinden, was, wie läuft. Ich arbeitete plötzlich jeden Tag statt nur noch zwei Tage pro Woche. Die stundenlange Bildschirmzeit finde ich sehr anstrengend, das war ich mir nicht gewohnt. In den Ferien musste ich Online-Weiterbildungen besuchen. Und für einmal war ich die Schülerin, denn Lena und Svenja kennen sich viel besser aus als ich. Sie erklärten mir Online-Tools wie Teams, Zoom oder OneNote und übten mit mir! 

Christoph: Es ist ein grosses Glück, dass die Mädchen sich schon so gut auskannten mit all den Tools. Um ihren Unterricht an und für sich müssen wir uns sehr wenig kümmern. Die grosse Herausforderung ist, eine Struktur in den Tag zu bekommen, zu schauen, dass sie nicht den ganzen Tag vor dem Bildschirm sitzen, und auch mal raus gehen. Das ist nicht immer einfach. Teenager haben eher selten Lust, mit ihren Eltern spazieren zu gehen.

Svenja: Ich übe lieber im Garten Fussball-Tricks, dafür habe ich sonst nicht so Zeit. Und ich habe das Zeichnen wiederentdeckt.

Lena: Und ich habe fast jeden Mittag gekocht.

Ellen: Überhaupt war es schön, Lena wieder «richtig» bei uns zu haben. Sie ist sonst den ganzen Tag weg. Wir haben gemerkt, wie wichtig es ist, dass man es als Familie zusammen schön hat. Auch wenn natürlich nicht jeder Tag harmonisch war, aber das muss man dann halt auch aushalten. 

Wir haben gemerkt, wie wichtig es ist, dass man es als Familie zusammen schön hat. 

Lena: Es war schon schön, mal ein bisschen mehr Zeit mit der Familie zu verbringen. Trotzdem freue ich mich jetzt drauf, wieder mehr raus zu gehen. Ich würde eigentlich auch gern wieder zur Schule. Sich jeden Tag selbst zum Lernen zu motivieren, ist recht schwierig, vor allem, da es keine Tests gibt. Und mir fehlen meine Hobbys.

Ellen: Ich vermisse vor allem die Selbstverständlichkeit, Dinge zu tun oder zu lassen, auch im Hinblick auf den Schulstart. Hygienemassnahmen, Abstandsregeln – alles ist plötzlich so kompliziert.

Christoph: Das macht mir auch Mühe. Keine Treffen mit Geschäftspartnern oder Freunden mehr, und wenn ein WhatsApp von Ellen kommt, ich solle auf dem Nachhauseweg noch WC-Papier holen, gerate ich in leichte Panik, weil abends die Regale leer sind. Und dann musst du genau drauf achten, wo du hinstehst, damit du niemandem zu nahe kommst.

Ellen: Das wird eine sehr grosse Herausforderung in der Schule. Meine Stellen-Partnerin und ich haben das Schulzimmer total umgestellt, so dass niemand zu nahe sitzt, und wir uns auch zwischen den Bänken bewegen können, ohne jemandem zu nahe zu kommen. Am Boden haben wir mit Klebband Markierungen angebracht. Zudem haben wir Böxli aufgestellt, in die die Kinder ihre Aufgaben legen, dort bleiben sie zwei Tage, bis sie korrigiert werden. Die Schule hat Visiere bestellt für den Gesangsunterricht. Nach jedem Halbtag werden die Pulte desinfiziert. Ich bin sehr froh, dass wir in Halbklassen unterrichten – nur schon, weil die zwei Lavabos in unserem Schulzimmer kaum für 24 Kinder ausreichen. Trotz all dieser Massnahmen freue ich mich sehr, wieder vor den Kindern zu stehen und direktes Feedback zu erhalten, statt Online-Monologe zu halten.

Svenja: Ich freue mich mega auf die Schule. Ich kann zwar meine Freundinnen nicht umarmen, aber nur schon, sie «live» zu sehen ist cool. Gruppenchats per WhatsApp sind halt nicht das Gleiche. Ausserdem lerne ich viel lieber im Klassenzimmer als allein in meinem Zimmer. Es ist viel einfacher, wenn man direkt eine Frage stellen kann, wenn man nicht drauskommt, statt auf eine Präsenzzeit des Lehrers zu warten. 

Lena: Das stimmt. Im Unterricht hat man den direkten Austausch mit Lehrern und Mitschülern. Zu Hause kann man sicher mal die Eltern fragen oder googeln, aber da ist man auch nicht immer sicher, ob es richtig ist.

Christoph: Ich denke, sozial gesehen, ist es für Svenja wichtiger, dass sie nochmal zur Schule kann als für dich, Lena. Sie ist in der 6. Klasse, im Sommer wird diese Klasse auseinandergehen, und es wäre traurig gewesen, hätten sie das Schuljahr im Fernunterricht beenden müssen. Zumal ja schon das Klassenlager, Ausflüge und Sporttage wegfallen.

Ellen: Ich finde es wichtig, dass wieder ein Stück Alltag zurückkehrt, besonders für Kinder. Sie brauchen Austausch mit Gleichaltrigen, ein bisschen Spass, ein Leben ausserhalb ihres Zimmers.

Svenja: Es ist ja nicht so schwierig, die Vorsichtsmassnahmen umzusetzen. Es ist eine Gewohnheitssache, zum Beispiel vor dem Znüni die Hände zu waschen. 

Als Lehrerin muss ich gestehen, dass die Krisenzeit auch Vorteile hat. 

Ellen:  Als Lehrerin muss ich gestehen, dass die Krisenzeit auch Vorteile hat. Die Eltern – und vor allem auch die Väter – bekamen einen Einblick in den Schulalltag ihrer Kinder, und viele merken, dass Kinder zu unterrichten gar nicht immer so einfach ist. Ich habe sehr viel positives Feedback bekommen. Ich glaube, die Wertschätzung unserer Arbeit ist gestiegen. Das ist schön. 

Christoph: Und ich denke, dass sich technisch einige Möglichkeiten gezeigt haben für Schule und Job, die man auch künftig nutzen könnte.

Ellen: Stimmt. Ich merke, dass ich selbst offener geworden bin diesen Möglichkeiten gegenüber. Ich fand es eigentlich immer furchtbar, wenn schon kleine Kinder am iPad hängen, aber eigentlich ist der Unterschied ja nicht so gross, ob sie jetzt Aufgaben ausgedruckt oder am Bildschirm lösen. Im Gegenteil, es spart eine Menge Papier. 

Lena: Ich finde es auch einfacher, eine Aufgabe im Teams hochzuladen statt als Papier abzugeben. Auch wenn ich im Moment fast dankbar dafür wäre, in der Schule ein Papier abzugeben!

Svenja: Ja, das ist schon komisch. Ich hätte nie gedacht, dass ich mich mal so auf die Schule freuen würde.  

* Wir haben die Namen der Familie abgeändert, die vier möchten nicht ergoogelbar sein. Namen der Redaktion bekannt.