«Wir wollen bei Papi bleiben!» - Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi
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«Wir wollen bei Papi bleiben!»

Lesedauer: 6 Minuten

Noch immer leben in der Schweiz nach einer Trennung die meisten Kinder bei der Mutter. Bei Familie Baumeler und Familie Schaffner ist das anders. Ein Modell mit Zukunft? 

Es ist Sommer, in der Badi ordentlich was los. Der zehnjährige Marcel schlägt sich am Beckenrand den Zeh auf und blutet. «Oje, wo ist denn dein Mami?», fragt eine Frau besorgt. Marcel schaut sie an. Und schweigt. «Ich wusste nicht, was ich sagen soll», gesteht er verlegen. Denn ihr Mami sehen Marcel und seine siebenjährige Schwester Danielle nur jedes zweite Wochenende. Seit ihre Eltern sich trennten und ihre Mutter aus der gemeinsamen Wohnung auszog, leben die beiden bei ihrem Vater.

Roger Baumeler war von Anfang an hauptsächlich für die Betreuung der Kinder zuständig. «Meine Ex-Frau hatte den besser bezahlten Job als ich und berufliche Ambitionen. Also haben wir uns nach der Geburt des ersten Kindes dafür entschieden, dass sie hundert Prozent arbeitet», sagt der gelernte Informatiker. Er übernahm die Betreuung von Marcel und Danielle und ging freiberuflich diversen Nebenjobs nach, unter anderem im Vorstand einer Kinderkrippe. «Das stimmte so für alle.» Vor drei Jahren kam es zur Scheidung. «Man kann leider nicht sagen, dass die Trennung friedlich abgelaufen ist», sagt Roger Baumeler. Dass er nach wie vor die hauptsächliche Betreuungsperson seiner Kinder bleiben wollte, war für ihn klar – schliesslich war das sein «Job».

Vor Gericht wurden Marcel und Danielle aber in einem ersten Verfahren der Mutter zugesprochen. Ein Urteil, das Roger Baumeler bis heute nicht versteht – und das später auch durch das Kantonsgericht Luzern gerügt wurde: «Ich hatte die Kinder immer zu Hause betreut, während ihre Mutter arbeitete. Offenbar ist das Vorurteil, dass Kinder in jedem Fall zur Mutter gehören, extrem stark, und die reale Gleichstellung von Mann und Frau ist in solchen Themenbereichen kaum angekommen.» Die Kinder selbst seien nicht gefragt worden. Roger Baumeler: «Ich fühlte mich total hilflos.»

Väter haben grossen Respekt vor dieser Aufgabe

Gut 207.000 sogenannte Ein-Eltern-Familien gibt es laut Bundesamt für Statistik in der Schweiz. In 83 Prozent dieser Familien leben die Kinder hauptsächlich bei der Mutter, in 17 Prozent wohnen sie beim Vater. Vergleichbare Zahlen aus früheren Jahren gibt es laut dem Bundesamt für Statistik nicht. In einer Publikation von 2009 («Kinder und Scheidung – Der Einfluss der Rechtspraxis auf familiale Übergänge») schreiben die Rechtswissenschaftlerin Andrea Büchler und die Psychologin Heidi Simoni jedoch von 8 Prozent der Kinder, die nach der Trennung beim Vater bleiben. Im Gegensatz zu 86 Prozent, die hauptsächlich von der Mutter betreut werden. 6 Prozent wohnten alternierend bei beiden Elternteilen. Das lässt zwar erahnen, dass die Zahl der Väter, welche die Hauptverantwortung für ihre Kinder übernehmen, stetig steigt. Trotzdem sind sie auch heute noch eher die Ausnahme.

Ein gutes Team: Roger Baumeler mit seinen Kindern Marcel und Danielle.
Ein gutes Team: Roger Baumeler mit seinen Kindern Marcel und Danielle.

Dass Mütter nach einer Trennung nach wie vor mehr Verantwortung übernehmen als Väter, liege sicherlich auch daran, dass die Männer grossen Respekt vor dieser Aufgabe hätten und sich überfordert fühlten, meint Christoph Adrian Schneider, Vorstandsmitglied von männer.ch. Aber nicht nur. «Wenn beide Elternteile die genau gleichen Voraussetzungen mitbringen, die Obhut über die Kinder auszuüben, muss man halt einen Entscheid fällen», sagt Charlotte Christener, Anwältin und Präsidentin der KESB Bern. «Ist die alternierende Obhut kein Thema, kann ich mir durchaus vorstellen, dass man im Zweifel die Kinder eher der Mutter zuspricht.

Vielleicht spielt dabei eine Rolle, dass – rein rechtlich gesehen – immer sicher ist, wer die Mutter des Kindes ist, während beim Vater in den meisten Fällen kein Beweis vorliegt, dass er der biologische Vater ist», sagt die Juristin, und: «Wir bei der KESB Bern sind aber sehr bemüht, in jedem Fall gender-neutral danach zu fragen, welche Lösung dem Wohl des Kindes am besten entspricht.»

Nachdem Roger Baumeler das Urteil angefochten hatte, wurden die Kinder angehört. Ihre Aussagen waren deutlich.

Den Alltag meistert das Trio problemlos

Nachdem Roger Baumeler das Urteil des Richters angefochten hatte, wurden die Kinder angehört. Die Aussagen von Marcel und Danielle waren deutlich: «Wir wollen bei Papi wohnen!» Papi habe ja viel mehr Zeit für sie als Mami, erklärt Marcel. «Er macht Sachen mit uns, kocht und hilft bei den Hausaufgaben.» Klar vermisse er sein Mami manchmal. «Aber eigentlich ist es gar nicht so viel anders als vorher.» Jedes zweite Wochenende verbringen die Kinder bei ihrer Mutter. Die Übergabe findet nach wie vor mit einer Begleitung durch eine Fachstelle statt, koordiniert durch eine Besuchsrechtsbeistandschaft. Obwohl sich die Eltern das Sorgerecht teilen, funktioniert die Kommunikation zwischen ihnen nicht. «Aber das ist unser Problem, nicht das der Kinder, und ich gebe mir grosse Mühe, das zu trennen», sagt Roger Baumeler. 

Den Alltag meistert das Trio problemlos. Auch wenn er sich hin und wieder blöde Sprüche anhören müsse, weil er von der Mutter seiner Kinder Alimente beziehe, so Baumeler, der mittlerweile zu 50 Prozent als Berfusschullehrer arbeitet. Ob seiner Tochter manchmal eine weibliche Bezugsperson fehle? «Nun ja, eine Zeit lang fragte sie wahllos Frauen, ob sie ihren Papi heiraten wollten. Aber seit ich eine neue Partnerin habe, hat sie damit aufgehört», meint Roger Baumeler lachend. Danielle grinst breit und zeigt eine grosse Zahnlücke. «Es gibt nichts, was ich Papi nicht erzählen würde», sagt sie. «Es ist gut so, wie es ist.»

Bradie und Quentin leben beim Vater. Geht das gut? Sehr sogar, sagen die Buben.
Bradie und Quentin leben beim Vater. Geht das gut? Sehr sogar, sagen die Buben.

Das findet auch der achtjährige Bradie. Zumal er gerade Geburtstag hatte und diese Tatsache die Legosammlung in seinem Zimmer beachtlich erweiterte. Nur ein Geschenk fehlt noch. «Von Mami bekomme ich ein spezielles Ninjago-Set, wenn ich das nächste Mal bei ihr bin», erzählt er aufgeregt. Vor einem Jahr ging die Beziehung seiner Eltern in die Brüche, seither leben Bradie und sein Bruder Quentin, 10, bei ihrem Vater André Schaffner.

Als sich das Paar trennte, war klar, dass sie auszieht. Ohne die Kinder.

Genau wie Roger Baumeler war auch Schaffner bereits zuvor mit den Kindern zu Hause. Vor gut drei Jahren hatten der gelernte Schriftenmaler und seine damalige Freundin beschlossen, die bisherigen Rollen zu tauschen. «Ich konnte mir das schon immer vorstellen, und sie wollte mehr arbeiten, also versuchten wir es, und es hat bestens funktioniert.» Als sich das Paar trennte, war klar, dass sie auszieht und er mit den Kindern in der gemeinsamen Wohnung bleibt. Das Erstaunliche daran: André ist nicht Quentins leiblicher Vater. «Er trat in mein Leben, als er 18 Monate alt war. Für mich ist er mein Sohn», betont André Schaffner. Und: «Wir hätten ihn niemals von seinem Bruder getrennt.»

Online-Dossier Väter:

Dieser Artikel stammt aus
Dieser Artikel stammt aus unserem grossen Online-Dossier über moderne Väter. Lesen Sie Artikel und Interviews über die Rolle der Väter dem Kind gegenüber, in der Familie und in der Gesellschaft. Mit vielen Berichten von den Vätern selbst.

Die Buben verbringen jeden Sonntag bei ihrer Mutter, Quentin ist jedes zweite Wochenende bei seinem biologischen Vater, den er «Dädi» nennt – und so nennt Bradie ihn auch! Das Sorgerecht für Quentin teilen sich dessen Eltern, André hat sein Aufenthaltsrecht. Die Sorge für Bradie teilt er sich mit seiner Ex-Partnerin. «Zwischen uns ist alles okay, wir sprechen uns ab, wenn sie die Jungs am Sonntagabend nach Hause bringt», erzählt André.

Zu Elternabenden gehen sie zu zweit. «Einmal kam auch Quentins Vater mit. Da kam ich mir dann schon ein bisschen komisch vor – auch wenn man uns ja mittlerweile kennt im Dorf», gesteht André lachend und wuschelt seinem Ältesten durchs Haar.

«Ich vermisse den Alltag mit meinen Söhnen»

Quentin lächelt, beisst auf der goldenen Kette herum, die um seinen Hals baumelt. An ihr hängt ein Sternzeichen-Anhänger, eine Waage. Quentins Sternzei­chen ist nicht Waage. «Aber das von Mami», sagt er leise. Ob er manch­ mal lieber bei ihr wohnen würde? Er zuckt die Schultern. «Manchmal. Aber manchmal auch nicht.» Es ist nicht immer alles Gold, was glänzt.

Das weiss auch Fabienne Zollinger, die Mutter von Quentin und Bradie. «Natürlich gibt es Vorteile für mich. Weniger Diskussionen mit den Kindern, weniger Verantwor­tung», sagt sie. «Aber den Preis, den ich dafür zahle, machen diese nicht wett. Ich vermisse den Alltag mit meinen Söhnen, die kleinen Momente, wenn sie beispielsweise morgens verschlafen zu mir kom­men oder wenn ich sie abends ins Bett bringe.» Trotzdem ist sie überzeugt, dass die Entscheidung, die Buben bei ihrem Vater wohnen zu lassen, richtig war: «André ist ein toller Vater und hat sein ganzes Leben nach den Buben ausgerichtet. Ich könnte ihnen gar nicht so ge­recht werden wie er.» 

«Als alleinerziehender Vater bist du ein Frauenmagnet»

witzelt André Schaffner

Schräg angeschaut oder gar angefeindet werde sie nicht, sagt Fabienne Zollinger: «Die Leute sind eher neugierig, weil unsere Konstellation halt nicht der Norm entspricht.» Auch André Schaffner hat im Alltag keine schlechten Erfahrungen gemacht. «Im Gegenteil, als alleinerziehender Vater bist du ein Frauenmagnet», witzelt er. Dabei habe er kaum Zeit, jemanden kennenzulernen – Zeit für sich selbst hat er nur sonntags, wenn die Jungs bei ihrer Mutter sind. «Mein Sozialleben hält sich in Grenzen. Aber das ist okay, ich ver­misse nichts», sagt André Schaffner. Sein grösstes Ziel? «Dass meine Söhne später einmal sagen: «Wir hatten eine tolle Kindheit!»

André Schaffner mit Quentin und Bradie.
André Schaffner mit Quentin und Bradie.

Zur Autorin:

Sandra Casalini blieb nach der Trennung ihrer Eltern ebenfalls beim Vater, was sie nie bereut hat. Auch wenn ihre Ernährung als Teenager zu wünschen übrig liess, da niemand im Vater-Tochter-Haushalt kochen konnte.
Sandra Casalini blieb nach der Trennung ihrer Eltern ebenfalls beim Vater, was sie nie bereut hat. Auch wenn ihre Ernährung als Teenager zu wünschen übrig liess, da niemand im Vater-Tochter-Haushalt kochen konnte.


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