Buchhalter? Malerin? Pilot? Eltern-Tipps für die Berufswahl - Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi
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Buchhalter? Malerin? Pilot? Eltern-Tipps für die Berufswahl

Lesedauer: 3 Minuten

Es ist eine der wichtigsten Entscheidungen im Leben: Welchen Beruf will ich lernen? Ein Lehrer erzählt, wie die Schule die Jugendlichen in der Berufswahl begleitet und wie die Eltern ihre Kinder am besten unterstützen. 

Arbeiten Sie noch in dem Beruf, den Sie einst gelernt haben? Wenn ja, sind Sie heute eher die Ausnahme. Die Zeiten, als man Schreiner, Lehrer, Maurer oder Kaufmann lernte im Glauben, diesen Beruf bis zur Pensionierung auszuüben, sind vorbei. Auch definiert man sich in der heutigen Gesellschaft zunehmend nicht mehr nur über den Beruf. Der Druck auf Jugendliche, sich für den einen richtigen Beruf zu entscheiden, müsste also abgenommen haben.
Meine Erfahrung ist eine andere. Ich bin Klassenlehrperson einer zweiten Sekundarklasse und stehe mit den Jugendlichen gerade mitten im Berufswahlprozess. Es zeigt sich: Aus über 230 Berufen den richtigen zu wählen, stellt immer noch eine grosse Herausforderung dar. Was machen wir in der Schule? Und was können Eltern zu einem gelungenen Berufswahlprozess beitragen?

Auch Fächer wie Musik, Werken und Sport sind wichtig

Die «Berufliche Orientierung», so heisst das Fach im neuen Lehrplan, startet im Frühling der ersten Sekundarschulklasse und dauert bis in den Herbst des letzten obligatorischen Schuljahres. Bis dann sollten sich die meisten Schülerinnen und Schüler in einem Bewerbungsprozess befinden. Bis dahin sollten sie wissen, was sie können und was sie mit ihren Voraussetzungen machen wollen.

Meist wissen Jugendliche beim ­Besuch eines Betriebs bereits 
nach zwei Stunden, ob ihnen ein Beruf zusagt oder nicht.

In einem ersten Schritt habe ich versucht, den Schülern viele Möglichkeiten zu geben, um sich selbst kennenzulernen: Worin bin ich gut? Was mache ich gerne? Welches sind meine Stärken und Schwächen? Die Schule fördert die persönlichen Kompetenzen der Schülerinnen und Schüler, um sie zu befähigen, eine gute Entscheidung zu treffen: Sie schreiben über sich selbst, lernen Ad­­­jektive und Verben, werden – auch provokativ – mit persönlichen Fragen konfrontiert, be­­kommen verschiedene Aufgaben, die unterschiedliche Kompetenzen wie Fingerspitzengefühl, logisches Denken oder Handgeschick erfordern. 
Wir versuchen, an der Schule ein Umfeld zu schaffen, in welchem die Jugendlichen ihre Fähigkeiten und Fertigkeiten entdecken können.

Wichtig sind auch Fächer wie Musik, Werken, Handarbeit, Kochen und Sport, die ich als Klassenlehrperson nicht oder nur selten mit allen unterrichte – ich vernetze mich dafür mit den anderen Lehrpersonen. Gelingt der Prozess der ersten Selbstfindung gut, können sich die Jugendlichen in der Regel gut auf die Berufswahl einlassen. Können sie sich von Gruppendynamiken lösen, dann kommen sie meist auch zu einer guten Entscheidung.

Jugendliche unter Druck

Oftmals stehen die Jugendlichen jedoch unter Druck – oder sie empfinden es zumindest so: von den Peers, von den Eltern, die sie zufriedenstellen wollen, und nicht zuletzt von sich selber, weil sie noch nicht wissen, was sie überhaupt wollen, und weil sich dies in den hormonellen Schwankungen jeden Tag anders anfühlt.

In diesem Prozess sind Sie, liebe Eltern, wichtige Ansprechpersonen. So können Sie Ihr Kind unterstützen:

  • Seien Sie Ihrem Kind ein Sparringpartner, interessieren Sie sich für seine Fragen und Gedanken.
  • Formulieren Sie Ihre Erwartungen: Die Jugendlichen können mit klaren Erwartungen besser umgehen als mit einer vermeintlichen Freiheit.
  • Eltern haben eine Vorbildfunk­tion, was das berufliche Engagement betrifft. Eine positive Einstellung zum Arbeiten hilft den Jugendlichen, auch selber den Schritt ins Berufsleben positiv anzugehen.
  • Gelassenheit hilft: Es nützt nichts, Ihr Kind zu drängen. Umgekehrt sollten Sie auch nicht einfach zuschauen, wie es sich nicht mit der Berufswahl befasst. Auf die richtige Mischung aus Vertrauen und sanftem Druck kommt es an.
  • Unterstützen Sie ihr Kind bei der Organisation seiner Schnuppertage oder Schnupperwochen. Nehmen Sie ihm aber die Arbeit nicht ab: Zu telefonieren, vorbeizugehen, sich Situationen mit Erwachsenen zu stellen, stärkt das Selbstbewusstsein.
  • Unterstützen Sie die Berufswünsche Ihres Kindes. Oft sind die ersten Traumberufe nicht diejenigen, welche die Jugendlichen dann auch wirklich erlernen wollen – doch sie weisen auf Inter­essen hin. Fragen Sie nach: Was macht diesen oder jenen Beruf für dich spannend?

Nachdem der Prozess der Selbstfindung gestartet ist, ist das Kennenlernen der Berufswelt der nächste wichtige Schritt. Selten kennen wir Er­­­wachsenen mehr als 40 Ausbildungsberufe, bei Jugendlichen sind es meist noch weniger. An Berufsmessen und bei Besuchen von Gross­unternehmen können sie viele verschiedene Berufe kennenlernen.

Meist wissen die Jugendlichen bereits nach zwei Stunden, spätestens jedoch nach einem halben Tag, ob ihnen ein Beruf zusagt oder nicht. Diese Kurzbesuche, auch Berufs­erkundungen genannt, sind wichtig, um in einer nächsten Phase die zwei bis drei interessantesten Berufe weiterzuverfolgen und in einer Berufswahlschnupperlehre, die etwa zwei bis drei Tage dauert, zu erleben.

Lehrpersonen in Sorge

Erst im dritten Oberstufenjahr finden die Bewerbungsschnupperlehren statt. Hier geht es um das gegenseitige Kennenlernen in einem Be­­trieb. Dabei wird entschieden, ob die Lehrstelle passt oder nicht. Wir Lehrpersonen beobachten mit Sorge, dass Lehrstellen teilweise bereits im zweiten Oberstufenschuljahr ver­geben werden. Oft folgt dann im dritten Jahr die Ernüchterung. Wir be­­stehen deshalb darauf, dass der 1. November als Stichtag für die Lehrstellenvergabe eingehalten wird.

Heute können wir in fast allen Situa­tionen noch beinahe jeden Beruf erlernen. Sogar ein Universitätsstudium kann einer Lehre noch folgen. Es gibt zwar gute Gründe, das Gymnasium zu besuchen, oft aber erliegen Eltern dem Irrtum, dass die Matura der höchste Abschluss sei. Denn in Tat und Wahrheit beginnt der Berufsfindungsprozess erst nach dem Gymi-Abschluss. 

Es gibt zwar gute Gründe, das Gymnasium zu besuchen, doch damit ist der 
Berufsfindungsprozess ­
nur aufgeschoben.

Lehrabschliessende mit Berufsmatura hingegen haben nicht nur die Reifeprüfung in der Tasche, sondern auch bereits einen Beruf er­­lernt. An den Berufsweltmeisterschaften WorldSkills Ende Oktober 2017 konnte man den Wert einer Schweizer Berufslehre deutlich sehen: Unsere Berufsleute holten 13 Weltmeistertitel!

Bild: Tim Gouw/Pexels


Zur Person:

Samuel Zingg ist Lehrperson an der Sekundarstufe I in Buchholz GL und Mitglied der Geschäftsleitung des LCH. Der Vater einer vierjährigen Tochter und eines zweijährigen Sohnes wohnt in Mollis GL.
Samuel Zingg ist Lehrperson an der Sekundarstufe I in Buchholz GL und Mitglied der Geschäftsleitung des LCH. Der Vater einer vierjährigen Tochter und eines zweijährigen Sohnes wohnt in Mollis GL.


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Welche Berufe haben Zukunft? Wie haben sich Jugendliche entschieden und vor allem, wie unterstützen Sie als Eltern Ihre Kinder bei der Berufswahl? Alles zu diesem Thema in unserem Berufswahl-Spezial! Bestellen Sie jetzt das Magazin.
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