Familiensache Berufswahl
Für die meisten Jugendlichen spielen die Eltern die entscheidende Rolle in ihrer Berufs- und Ausbildungswahl. «Die Eltern sind die wichtigsten Berufsberater», sagt Reinhard Schmid, der seit über 30 Jahren Jugendliche und ihre Eltern am Übergang von der obligatorischen Schule in eine Berufslehre oder eine weiterführende Schule berät. Andrea Villiger, Berufs-, Studien- und Laufbahnberaterin im Kanton Aargau, ergänzt: «Die Jugendlichen befinden sich mitten in der Identitätsfindung. Die Berufswahl ist nur eine von vielen Entwicklungsaufgaben, die sie in dieser Zeit erledigen müssen. Erst wenn sie sich mit ihrer Identität auseinandergesetzt haben, schaffen sie die Grundlage für eine gute Entscheidung in der Berufswahl.»
Wie unterschiedlich Jugendliche die Berufswahl angehen, zeigt das Beispiel der Schwestern Anna, 17, und Lisa Spiess, 15. Die ältere war initiativ, suchte breit gefächert und erhielt frühzeitig die gewünschte Lehrstelle als Landmaschinenmechanikerin. Lisa hingegen war unentschlossen und deshalb wenig motiviert, sich um eine Schnupperlehre zu kümmern. Ihre Mutter erinnert sich: «Wir waren überrascht, dass sie sich so schwertat, nachdem es bei Anna so glatt gelaufen war.» Zudem sei die Lehrerin der älteren Tochter in der Berufskunde viel engagierter gewesen, habe der Berufswahl viel mehr Platz im Unterricht gegeben. Ihrer jüngeren Tochter empfahl sie, sich noch ein Jahr Zeit zu geben und beispielsweise ein Hauswirtschaftsjahr im Welschland zu machen, wie sie das schon getan hatte.
Selber entscheiden: Lust oder Last?
Wichtig ist, dass das Kind die Entscheidungen selber fällt. Die Eltern sollen unterstützen, aber ihrem Sohn oder ihrer Tochter keine Aufgaben abnehmen, sind sich die Fachleute einig. Das heisst konkret: Die Jugendlichen müssen selber Lehrbetriebe anrufen und Bewerbungen schreiben. Beides können die Eltern mit ihnen üben, wenn die Kinder unsicher sind.
Unsicher war auch Nick Weber. Eine Ausbildung zum Filmregisseur direkt nach der Sekundarschule gibt es nicht. Dass der Berufsberater ihm zur Fachmittelschule riet, worauf er selber schon gekommen war, machte ihn nur noch skeptischer. Dennoch absolvierte er diese. Dass der kreativ begabte und sensible junge Mann dabei an einer Depression erkrankte, lag nicht an der Schule, machte seinen weiteren Bildungsweg aber komplizierter. Das von der Fachmittelschule vorgeschriebene Praktikumsjahr absolvierte Nick in der Marketingagentur seines Vaters. Dieser betont: «Wir haben das beide nicht gesucht. Aber weil er immer wieder in der Klinik war und er bei mir ein vertrautes Umfeld hatte, sah ich es als die beste Lösung an.»
Motivieren und unterstützen
In der Berufs- und Ausbildungswahl sind die Eltern ihren Kindern Sparringspartner, mentale Stütze, Motivator und Helfer in der Informationsflut. Dass dies nicht immer ohne Konflikte geht, versteht sich von selbst.
Auf keinen Fall sollen die Eltern ihren Kindern deren Wunschberuf ausreden. Dieser liefert wichtige Hinweise, wofür sich das Kind interessiert und in welchem Umfeld es gerne arbeiten würde. Es gilt ihnen dann die Augen für realistische Zwischenschritte zu öffnen. Schmid umreisst die Aufgabe so: «Die hohe Schule ist, sich auf die Träume der Jugendlichen einzulassen, ihre Bedeutung zu erfassen und sie als Motivation für die Auseinandersetzung mit der Berufswelt zu nutzen.»
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- Schritt 1: Eigene Interessen und Stärken kennenlernen
Bevor Jugendliche entscheiden können, welche Ausbildung sie nach der Sekundarschule in Angriff nehmen wollen, müssen sie ein paar grundlegende Fragen an sich selber beantworten. Keine leichte Aufgabe mitten in der Pubertät, die ohnehin schon voller Fragen ist. - Schritt 2: Berufe und Ausbildungen kennenlernen
In die Lehre oder weiter zur Schule? Diese Frage stellen sich viele in der Oberstufe. Dabei schliessen sich die beiden Wege nicht aus. Die wichtigsten Bildungsangebote im Überblick. - Schritt 3: Eigene Stärken mit den Anforderungen von Berufen und Ausbildungen vergleichen
Jede Berufslehre und jede Schule hat ihre spezifischen Anforderungen. Für junge Berufssuchende bedeutet das, dass sie entweder intensiv an ihren Fähigkeiten arbeiten oder sich eine weniger anforderungsreiche Berufslehre suchen sollten. - Schritt 4: Interessante Berufen in einer Schnupperlehre kennenlernen
Eine Schnupperlehre, auch Berufswahlpraktikum genannt, gibt einen ersten Eindruck vom Arbeitsleben, von einem Beruf und vom Klima im möglichen Lehrbetrieb. Sie ist so etwas wie der ultimative Realitätscheck für junge Lehrstellensuchende. - Schritt 5: Mögliche Berufe und Ausbildungen überprüfen und eine Entscheidung fällen
Berufsberaterin Sigrid Weber kennt die Qual der Berufswahl, die viele Jugendliche durchleben. Lieblingsfächer und Hobbys seien erste Hinweise auf die passende Ausbildung, in Schnupperlehren lasse sich viel lernen – und manchmal helfe auch ein Münzwurf, sagt die Psychologin. Bei der Entscheidung müsse aber vor allem das Gefühl stimmen. - Schritt 6: Eine Lehrstelle suchen oder sich bei einer Schule anmelden
Nach der Wahl des passenden Berufs folgt die Suche nach dem geeigneten Lehrbetrieb. Gross oder klein, familiär oder formell, hierarchisch oder kollegial? Je mehr verschiedene Formen man durch Schnuppern kennenlernt, desto besser weiss man, was einem zusagt. - Schritt 7: Sich auf die Lehre oder Schule vorbereiten oder Brückenangebote abklären
Das zehnte Schuljahr gilt als Notlösung für die, die keine Lehrstelle gefunden haben. In Wahrheit ist es ein sinnvolles Bildungsangebot, um schulische und andere Lücken zu schliessen oder in der Berufswahl zu einer Entscheidung zu gelangen. Weitere Brückenangebote helfen, wertvolle Kenntnisse zu gewinnen und Weichen zu stellen.