Diese Mittwochs-Serie träumte Sophia mit fünf Jahren. Mittlerweile ist sie zwölf und erzählt den Soldaten-Traum so lebhaft, dass man als Zuhörerin das Bartöl zu riechen glaubt. Träumen ist Sophias Leidenschaft. Sie legt sich abends hin, denkt sich eine Geschichte aus und träumt sie schlafend weiter. Manchmal vergisst sie, was sie träumt, oder erinnert sich nur an Teile davon. Und oft erfindet sie zum Erinnerten noch «ein bisschen etwas dazu, damit der Traum verstanden wird».
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Warum träumt mein Kind so intensiv?

Bilder: Fabian Unternährer / 13 Photo
Alleine in der Welt

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Wo beginnt ein Traum?

Das Wesentliche bleibt unsichtbar
Spätestens seit der Psychoanalytiker Sigmund Freud 1900 sein berühmtes Werk «Die Traumdeutung» veröffentlichte, finden der Traum und dessen Deutung zunehmendes Interesse, nicht nur in esoterischen Kreisen, sondern auch in der Wissenschaft. Von allen Seiten werden das menschliche Gehirn und die darin stattfindenden nächtlichen Aktivitäten erforscht. Die zusammengetragenen Erkenntnisse ergeben ein immer differenzierteres Bild über das Wesen des Traums.

Was unterscheidet den nächtlichen von einem Tagtraum?
Beim Tagträumen ist der Träumende wach. In der Regel weiss er, dass er tagträumt. Spätestens wenn ihn aber etwa der Lehrer beim Namen ruft, ist er wie der präsent für Aussenreize. Im Schlaf schirmen wir uns ab vor Aussenreizen. «Die Übergänge sind jedoch fliessend», sagt Michael Schredl. Seit über 30 Jahren erforscht er Träume. Der fehlende Zugriff auf den Traum nennt er die grösste Hürde: «Wir sind auf den Traumbericht angewiesen. Dies setzt voraus, dass sich die Träumerin oder der Träumer nach dem Aufwachen an den Traum erinnert.»
Wo wohnt der Traum?
Anhand eines Hypnogramms beschreibt er den idealtypischen Schlafzyklus. Dieser beginnt mit einer Wachphase, nach etwa fünf Minuten steigen gute Schläfer die Schlaftreppe hinunter in den oberflächlichen Schlaf (Non-REM 1 und 2), dann weiter hinunter in den Tiefschlaf (Non-REM 3 und 4), von dort wieder hoch in den oberflächlichen Schlaf, bevor dann nach rund 90 Minuten der REM-Schlaf eintritt. Dieser Zyklus wiederholt sich vier bis fünf Mal pro Nacht, wobei der REM-Schlaf immer länger und der Tiefschlaf immer kürzer wird.

Ein Blick ins Schlaflabor
Wer hier untersucht wird, tritt abends ein, erhält alle wichtigen Informationen und wird verkabelt, bevor die Lichter gelöscht werden – bei Kindern etwa um 21 Uhr. Über die zwei Kameras erfährt die Laborantin, was das Kind sagt und tut. Sie betritt das Zimmer nur, wenn etwas nicht in Ordnung ist. Aus den Aufzeichnungen der Gehirnströme, der Atmung sowie der Muskel- und Augenbewegungen kann Johannes Mathis am nächsten Tag Auffälligkeiten erschliessen. Zwei davon werden gerne mit Albträumen verwechselt.
Nachtschreck: Wenn das Kind schreit und schlafwandelt
Ebenso verhält es sich beim Schlafwandeln – quasi der Weiterführung des Nachtschrecks. 20 bis 30 Prozent aller Kinder schlafwandeln regelmässig. Schlafwandler sind schwierig zu wecken und tun mitunter seltsame Dinge. «Viele verunfallen, weil sie die Treppe hinunter- oder zum Fenster hinausfallen», sagt Johannes Mathis. «Die schlafwandlerische Sicherheit gibt es nicht.»
Eltern können ihr Kind schützen, indem sie sanft, aber bestimmt mit ihm reden, es an der Hand nehmen und zum Bett zurückführen. Sie sollten es aber weder wecken noch ihm widersprechen. «Sonst», so Mathis, «kann es aggressiv werden.»
Weiter hilft eine halbe Stunde Schlaf vor dem Abendessen, um Schlafdruck abzubauen. Und schliesslich gilt es Weckreize zu minimieren wie jegliche Form von Lärm im Zimmer, eine volle Blase oder ein zu reichliches Nachtessen. Schwieriger ist es mit den psychologischen Faktoren: Sorgen wecken auf. Nicht beeinflussbar sind genetische Faktoren oder Fieber – beide begünstigen das Schlafwandeln.
Für den Fall, dass Kinder eine Therapie brauchen, arbeitet Johannes Mathis eng mit Psychiatern und Psychologen zusammen. Vor allem wenn der Trauminhalt selbst zur Belastung wird, überweist er das Kind seinen Fachkollegen: Hier kommt der Neurologe an seine Grenzen.
Was träumen Kinder?
Dazu gehören auch Filme, wie bei der achtjährigen Lilou. Sie will im Traum ihre Freundin vor einem Feuer retten. Dazu fällt ihr der erste Yakari-Film ein: «Yakari sass in einem Waldbrand fest. Da kam der kleine Donner, sprang über das Feuer und befreite ihn.» Studien zeigen, dass jüngere Kinder häufiger als ältere von Tieren, Bezugspersonen und Fantasiegestalten träumen. All das gehört zu ihrer Alltagserfahrung. Bei Jugendlichen treten hingegen Interaktionen und Peers in den Vordergrund wie beim elfjährigen Luis, der im Traum mit Kollegen eislaufen geht. Das sei sein Hobby. Von Hobbys träumen Buben laut Studien häufiger als Mädchen.

Mädchen erinnern sich etwas mehr an Träume als Buben, weil sie auch mehr über Träume berichten – vielleicht, weil sie aus Sozialisierungsgründen mehr über ihre Innenwelt reden. Aber letztlich sei das Erinnern eine Frage des Interesses, sagt Traumexperte Michael Schredl. «Wird in der Familie viel über Träume geredet, steigt die Erinnerung an sie.»
Kinder haben nicht nur schöne Träume…
Räuber-und-Poli-Spielen vertreibt Albträume
Lilous zwölfjähriger Bruder Thierry zum Beispiel wurde mit sechs Jahren Zeuge davon, wie seine Eltern und Grosseltern nachts überfallen wurden. «Geht weg!», habe die Grossmutter gerufen. «Geht weg!», rief danach auch Thierry im Schlaf. Bis vor einem Jahr. Daran erinnert er sich aber nicht mehr: Das wiederholte Räuber-und-Poli-Spielen verschaffte Thierry Abhilfe.
Als Sophia weinend aufwachte, nachdem ihre Puppe Nina im Traum geschmolzen war, fragte ihre Mutter nach dem Trauminhalt. Sie tröstete Sophia und zeigte ihr die noch intakte Puppe. Auf diese Weise signalisierte sie ihrer Tochter, dass sie sie ernst nimmt.
«Ich war erleichtert, als ich sah, dass Papa da war»
Klarträume statt Albträume?
Mit Klarträumen befasst sich der Sportwissenschaftler Daniel Erlacher. Er untersucht an der Universität Bern, ob mit Klarträumen Bewegungsabläufe optimiert werden können. Sein Interesse wurde geweckt, als er sich im Traum dabei ertappte, wie er in der Küche Basketball spielte. «Ich zweifelte, weil es seltsam ist, in der Küche Basketball zu spielen. Ich sagte mir: Wenn ich den nächsten Wurf treffe, weiss ich, dass ich träume.» Er traf daneben. Und dennoch liess ihn das Thema nicht mehr los.

Mit Sprechstunden gegen Albträume
Ein Traum ist wie eine Rose
Manchmal verweist der Traum aber auf etwas, das nicht explizit dargestellt ist. Dann fängt die Deutungsarbeit an, wie sie der Kinder und Jugendpsychiater Dieter Bürgin in seiner Praxis durchführt.
Wäre ja noch schöner, wenn das Rätsel des Traums nach Jahrtausenden des Suchens plötzlich einfach so gelöst wäre.
Zur Autorin

Tipps und Links
Für die Praxis: Reinhard Pietrowsky und Johanna Thünker: Ratgeber Alpträume. Hogrefe 2015.
Aus der Forschung: Michael Schredl: Die nächtliche Traumwelt. Eine Einführung
in die psychologische Traum forschung. Kohlhammer 1999.
Aus den Anfängen: Sigmund Freud (1900): Die Traumdeutung. In Studien ausgabe, Bd. II, Fischer 1972.