- Die Fachstelle mobbing.gr berät Kinder und Jugendliche sowie Eltern und Lehrpersonen zum Thema und stellt online Merkblätter, Selbst-Checks und Vorlagen zur Verfügung: www.mobbing.gr
- Verzeichnis der Jugenddienste der Polizei: www.skppsc.ch/de/download/jugenddienste
- Kantonale Opferberatungsstellen: www.opferhilfe-schweiz.ch
- Elternnotruf: www.elternnotruf.ch
- Notrufnummer der Pro Juventute für Jugendliche: www.147.ch oder Telefon 147
Mobbing: Alle gegen einen

Bild: iStockphoto
Wenn Kinder andere fertigmachen, passiert oft nichts, bis der Notfall eintritt. Wer Mobbing wirksam bekämpfen will, muss eingreifen, bevor es brennt. Soziales Miteinander gelingt nur da, wo Beteiligte konstant daran arbeiten.
Vor 20 Jahren kannte den Begriff praktisch niemand, heute ist er ein Schlagwort: Mobbing «Wir haben ein starkes Bewusstsein für die Problematik», sagt Eveline Gutzwiller-Helfenfinger, eine der führenden Schweizer Mobbingforscherinnen. «Frühere Generationen sahen es als normal an, dass Kinder einander plagten. Man glaubte, das härte ab. Heute herrscht glücklicherweise ein anderer Konsens.»

Was Streit von Mobbing unterscheidet
Was aber ist unter Mobbing zu verstehen? «Mobbing bezeichnet ein gezielt aggressives Verhalten, das sich systematisch und wiederholt gegen ein bestimmtes Kind richtet, und das über mindestens mehrere Wochen hinweg», sagt Gutzwiller-Helfenfinger. «Mobbing ist ein Gruppenphänomen, bezeichnend dafür ist ein Machtungleichgewicht. Meist mobben ein paar Kinder zusammen auf Geheiss eines Anführers ein unterlegenes Kind, das kaum Chancen hat, sich zu wehren.»
Mobbing unterscheidet sich von einem Konflikt, den die Forscherin als Auseinandersetzung mit ebenbürtigen Beteiligten bezeichnet. Von einem Konflikt sei etwa die Rede, wenn sich Kindergärtler um die Schaufel zankten oder in der Jugendclique ein Meinungsstreit entbrenne. «Bei Konflikten geht es um gegensätzliche Ansichten oder Ziele; meist steht eine Sache im Vordergrund», sagt Gutzwiller-Helfenfinger. Streit und Konflikte seien ein wichtiger Bestandteil der sozialen Entwicklung, weil Kinder so lernten, Lösungen auszuhandeln. «Mobbing bietet keine Lernchancen», sagt Gutzwiller-Helfenfinger, «sondern beeinträchtigt die gesunde Entwicklung aller Beteiligten.» So leiden Opfer langfristig häufig unter Angstzuständen, depressiven Stimmungen oder Suizidalität, Täter haben ein erhöhtes Risiko für späteren Drogenmissbrauch und Gesetzesbruch. Die Gefahr, von Schulabbruch, Depressivität oder Alkoholmissbrauch betroffen zu sein, erhöht sich selbst für unbeteiligte Zeugen des Geschehens.
Zusammenspiel direkter und indirekter Aggressionen
Wenn Mobber ihre Opfer schlagen, beschimpfen oder ihre Sachen beschädigen, ist von direktem Mobbing die Rede: Hier wird deutlich, wer wen fertigmacht. Schwieriger erkennbar ist indirektes Mobbing, bei Täter die offene Konfrontation vermeiden. Die Augen verdrehen, wenn sich das Opfer zu Wort meldet, ihm «zufällig» das Bein stellen, es ausschliessen oder Gerüchte verbreiten – das sind typische Formen indirekten Mobbings. Mobbing sei in der Regel ein Zusammenspiel direkter und indirekter Aggressionen, sagt Gutzwiller-Helfenfinger: «Daher sollten Lehrpersonen auch scheinbar harmlose Vorkommnisse ernst nehmen, wenn sie immer dasselbe Kind betreffen.»
«Mobbing ist eine Gewaltform, die in der Gruppe entsteht, von dieser aufrechterhalten und auch vertuscht wird», weiss die Forscherin. Jedes Kind nehme innerhalb des Geschehens seine Rolle ein. Direkt beteiligt seien Opfer, Täter sowie Mitläufer, die Opfer mitplagten oder als Verstärker agierten, indem sie etwa über Attacken lachten. Die grösste Teilgruppe sei die der indirekt Beteiligten: Zeugen, die passiv zuschauten oder das Weite suchten. Hat Mobbing Fahrt aufgenommen, ist es schwer zu stoppen. «Die Beteiligten sind in ihrer Rolle gefangen», sagt Gutzwiller-Helfenfinger, «auch die Mobber. Durch die Rückmeldungen der Mitläufer fühlen sie sich stark. Dafür erwarten ihre Peers aber, dass sie für Unterhaltung sorgen.» Derweil habe die schweigende Mehrheit oft Angst, selbst zum Opfer zu werden, oder sei überfordert mit der Lösung des Problems. «So entsteht mit der Zeit ein mobbingfreundliches Klima», sagt Gutzwiller-Helfenfinger, «und irgendwann gilt es als normal, dass das Opfer fertiggemacht wird.»

Diese Warnsignale sollten Eltern ernst nehmen
Typisch für Mobbing ist das Schweigen der Beteiligten. «Deshalb ist entscheidend, mögliche Warnsignale als solche zu erkennen», sagt Gutzwiller-Helfenfinger. Obwohl es laut der Expertin keine Symptome gibt, die eindeutig auf Mobbing schliessen lassen, sollten Eltern folgende Warnsignale ernst nehmen:
- Häufige Klagen über Kopfweh, Bauchweh, Übelkeit, Appetitlosigkeit
- Schlafstörungen
- Nachlassende Schulleistungen
- Ängstlichkeit und zunehmender Rückzug
- Verletzungen, blaue Flecken
- Zerstreutheit und fehlende Konzentration
- Abwertende Bemerkungen des Kindes über sich selbst
- Das Kind «verliert» regelmässig persönliche Sachen oder bringt sie beschädigt nach Hause
Wie sollen Eltern das Kind darauf ansprechen? «Am besten konfrontieren sie es nicht gleich mit ihrem Verdacht», sagt Wolfgang Kindler, Autor von mehreren Büchern über Mobbing. Ratsam sei es, das Gespräch mit Beobachtungen zu beginnen: «Ich stelle fest, dass du kaum mehr Anrufe bekommst und öfters bedrückt bist. Ich möchte mit dir darüber reden.» Wenn das Kind abwehre, sollten Eltern keinen Druck aufsetzen und bei nächster Gelegenheit nachhaken. Öffne sich das Kind, beschränkten sie ihre Rolle am besten aufs Zuhören und verzichteten auf Ratschläge – vor allem auf den, das Kind solle sich wehren: «Mit solchen Aussagen schieben Eltern dem Kind indirekt die Schuld für das Problem zu.» Dann könnten Eltern nachfragen: Wann hat es angefangen? Wie viele sind auf der anderen Seite? Gibt es Klassenkameraden, die sich mit dem Kind solidarisieren? «Viele Mobbingopfer wollen die Eltern mit ihrer Situation nicht belasten», weiss Kindler. «Es ist daher wichtig, dass diese nicht zu emotional reagieren.» Kindler rät ausserdem davon ab, Täter eigenhändig zur Rede zu stellen oder deren Eltern zu kontaktieren: «Das verschlimmert in aller Regel die Situation des Opfers.»
Die Schule steht in der Pflicht, dass Kinder sich sicher fühlen
«Kinder haben ein Recht darauf, sich an ihrer Schule sicher zu fühlen. Ist dieses Recht gefährdet, muss die Schule handeln», sagt Christian Stalder, ehemaliger Schulsozialarbeiter und Gründer der Beratungsstelle mobbing.gr. Vertraue sich das Kind den Eltern an, sollten diese die Lehrperson informieren. Im Gespräch sollten Eltern auf Anschuldigungen verzichten und stattdessen beschreiben, was sie beobachten, etwa: «Mein Kind leidet darunter, wenn es in der Pause nicht mitspielen darf.» Dann müssten sie die entscheidenden Fragen stellen: Was unternimmt die Schule bei Mobbing? Wer kann sie dabei professionell begleiten? Welches sind die nächsten Schritte zum Schutz des Kindes?

«Bei Mobbing ist es entscheidend, dass eine Fachperson involviert wird», sagt Stalder. «Sonst kann der Schuss nach hinten losgehen.» Werde das Opfer etwa vor der Klasse öffentlich bedauert, laufe es Gefahr, als Petze hingestellt zu werden. Der Erfolg von Anti-Mobbing-Programmen ist bescheiden, wenn die Schule erst bei Handlungsbedarf reagiert, weiss Stalder: «Eine negative Gruppendynamik, die sich bereits verfestigt hat, lässt sich oft kaum mehr aufbrechen. Man muss eingreifen, bevor es brennt.»
Programm mit hoher Wirksamkeit
Wie das geht, zeigt das deutsche Bundesland Baden-Württemberg. 2015 startete es mit dem Olweus-Programm nach dem Psychologen Dan Olweus. In Norwegen, Schweden und den USA konnte das Programm Mobbingfälle um bis zu 50 Prozent reduzieren. Ein Unterschied zwischen Olweus’ und anderen Ansätzen ist, dass die Auseinandersetzung mit sozialen Themen während des gesamten Schuljahres stattfindet. Im Zentrum stehen folgende Grundsätze:

- Lehrkräfte und Eltern nehmen am Leben der Kinder teil und greifen ein, wenn sie merken, dass etwas nicht stimmt.
- Schüler und Lehrpersonen handeln gemeinsam Verhaltensregeln aus und überlegen sich, wie bei Verstössen gegen diese vorzugehen ist.
- Schüler und Lehrpersonen definieren gemeinsam Konsequenzen, die bei einem Verstoss gegen die Verhaltensregeln eintreten.
- Kinder werden ermutigt, aufeinander zu achten und Bescheid zu geben, wenn etwas passiert, das nicht mit den Abmachungen übereinstimmt.
In der Schweiz gibt es keine vergleichbaren Bemühungen. Material ist jedoch vorhanden –etwa von Françoise Alsaker, die zum Forscherteam um Olweus gehörte und das Programm Be-Prox entwickelte. Es enthält umfangreiche Praxistipps für Lehrpersonen. «Mobbing können nicht nur Experten lösen», sagt die Forscherin. «Was es braucht, ist eine klare Haltung dagegen.»
Für Lehrpersonen:
- Françoise D. Alsaker: Mutig gegen Mobbing in Kindergarten und Schule. Hogrefe, zweite unveränderte Auflage 2016, 272 Seiten, ca. 33 Fr.
- Mobbing auflösen in der Klasse: Der «No Blame Approach» ist ein lösungsorientierter Ansatz, der auf Schuldzuweisungen und Bestrafung verzichtet. Das Programm erfolgt in drei Schritten, die innerhalb von 14 Tagen durchgeführt werden. Im Zentrum steht nicht die Rekonstruktion der Taten, sondern die Lösung des Problems, für die Mitschüler der Klasse einbezogen werden. Anleitungen und Videos dazu finden Lehrpersonen auf www.fritzundfraenzi.ch
Hintergrundinformationen gibt es ausserdem unter: www.no-blame-approach.de
Für Lehrpersonen und Eltern:
- Schweizerische Kriminalprävention (SKP): Cybermobbing. Alles, was Recht ist. Informationen zum Thema Cybermobbing und dessen rechtlichen Rahmenbedingungen. SKP, zweite Auflage 2017. Download unter:www.skppsc.ch/de/themen/internet/cybermobbing
Dieser Text ist eine leicht gekürzte Version des Dossier-Textes «Alle gegen einen: Was tun gegen Mobbing». Die komplette Version lesen Sie hier.