«Kinder sollen nicht die Verantwortung für ihre Eltern übernehmen müssen»
Die Psychologin Irène Koch über ihre Arbeit mit Kindern von psychisch belasteten Eltern.
Frau Koch, für Eltern mit psychischen Problemen gibt es in Winterthur neu eine therapeutische Elterngruppe. Wie ist es dazu gekommen?
Im Gegensatz zu einer somatischen Erkrankung sind psychische Störungen vielfach immer noch stigmatisiert. Viele Betroffene haben darum Schuld- und Schamgefühle und machen sich grosse Sorgen um das Wohl ihrer Kinder. Sie wollen, dass sich diese trotz der momentan schwierigen Lage gut entwickeln können.
Und wo setzt die Gruppentherapie ein?
Wir arbeiten zunächst präventiv und helfen den Eltern, mit ihren Kindern altersgerecht über die Probleme zu reden. Bei einem kleineren Kind kann man das zum Beispiel mit einem Bilderbuch machen. Die Kinder sollen das Gefühl bekommen, dass sie nicht die Verantwortung für das Mami oder den Papi übernehmen müssen. Das kann entlasten.
Welche Krankheiten haben die Eltern?
Das ist sehr gemischt. Depressionen, Angst-, Zwangs- oder Persönlichkeitsstörungen, Alkoholprobleme, Borderline oder Psychosen. Es sind mehr Frauen als Männer.
Wo liegen die Schwierigkeiten für die Kinder mit einem Elternteil, der psychische Probleme hat?
Viele Kinder sind überfordert und müssen zum Beispiel Aufgaben übernehmen, die nicht altersgerecht sind. Oder sie wissen nicht, was sie jetzt über die Krankheit erzählen dürfen. Oft gilt in Familien auch ein unausgesprochenes Kommunikationsverbot. Viele Kinder fühlen sich in einer solchen Situation unsicher, sie sind irritiert, und so kommt es zu einer Sprachlosigkeit, die zu einer Einsamkeit führen kann.
Was wollen Sie als Therapeutin mit Ihrer Arbeit erreichen?
Wir wollen, dass die Eltern ihre Kinder möglichst stärken und begleiten können, trotz ihrer psychischen Krankheit. Wenn wir in der Elterngruppe über das Wohl der Kinder sprechen, gibt das nicht nur ihnen neue Zukunftsmöglichkeiten, sondern auch den Eltern. Viele bekommen so eine neue Motivation und erleben, dass sie trotz Krankheit etwas bewirken können und nicht alleine sind.
Wie setzt sich die Gruppe zusammen?
Es sind maximal acht Erwachsene, die von einer psychischen Krankheit betroffen sind und minderjährige Kinder haben. Die Gruppe trifft sich sechs Mal und behandelt jeweils ein anderes Schwerpunktthema.
Wäre es nicht sinnvoll, auch therapeutische Kindergruppen zu bilden?
Mittel- bis langfristig möchten wir auch solche Kindergruppen aufbauen. Wir wollen nicht nur die betroffenen Eltern stärken, sondern auch die Widerstandsfähigkeit der Kinder fördern.
Trotz aller Gespräche; einen psychisch kranken Elternteil zu haben, ist eine grosse Belastung für ein Kind.
Genau. Darum ist es wichtig, dass das Kind auch eine «andere Welt» hat: Es soll rausgehen können, mit anderen sprechen, mit den Grosseltern etwas unternehmen, wenn der kranke Elternteil Mühe hat, aktiv zu sein, wie das bei Depressionen vielfach der Fall ist. Die Beziehung zwischen Eltern und Kindern ist wichtig, aber es ist ebenfalls wichtig, dass das Kind auch andere Bezugspersonen hat.