«Im Alltag fällt mir das Loslassen nicht immer leicht»
Loslassen hat viel mit Vertrauen zu tun, sagt Yolanda Andreoli. Absprachen und Kompromisse geben der Familie Sicherheit.
Yolanda Andreoli ist sozialpädagogische Familienbegleiterin und ihr Mann Guido arbeitet in der Versicherungsbranche. Die 53- und der 57-Jährige haben zwei Töchter, Ladina, 16, und Chiara, 19.
Yolanda: «Loslassen ist für mich etwas Positives und hat viel mit Vertrauen zu tun. Im Alltag gibt es aber Momente, in denen es mir nicht ganz leichtfällt. Guido und ich fahren demnächst zusammen weg. Ladina ist dann für zwei Wochen allein zu Haus und freut sich sehr darauf. Für mich ist das ein grosser Schritt.»
Guido: «Loslassen kann auch Angst machen. Etwas fällt runter, treibt von mir weg. In Bezug auf die Kinder ist da die Sorge, sie irgendwann nicht mehr beschützen zu können. Gleichzeitig bin ich zuversichtlich, dass sie Situationen allein meistern können. Wir müssen uns als Eltern ja auch immer wieder hinterfragen. Angst kann zum Beispiel dazu führen, dass man auf Prinzipien zurückgreift und rigid wird. Yolanda und ich diskutieren dann, wie sinnvoll gewisse Regeln noch sind, oder ob wir den beiden etwas mehr Freiheiten geben sollten.»
Wenn es um Gesundheit oder Sicherheit geht, fällt mir das Loslassen schwer.
Guido Andreoli
Yolanda: «Der Ausgang ist bei uns immer wieder Thema. Da geben mir klare Abmachungen Sicherheit. Was die sozialen Medien betrifft, kann ich loslassen, solange ich weiss, dass es in der Schule läuft, Freundschaften gepflegt werden und sie ihren Hobbys nachgehen. Ich glaube, dass Loslassen einfacher ist, wenn wir unseren Kindern vertrauen, dass sie die bestmöglichen Entscheidungen für sich treffen – und wenn wir uns als Eltern sicher fühlen, vieles richtig gemacht zu haben.»
Guido: «Beim Thema Ausgang bin ich etwas lockerer als Yolanda. Wenn ich aber merke, dass unseren Töchtern etwas nicht guttut, dann habe ich Bedenken. Wenn es zum Beispiel um Gesundheit oder Sicherheit geht, fällt mir das Loslassen schwer. Irgendwann wollten die beiden keinen Velohelm mehr anziehen, damit habe ich bis heute ein Problem. Was mich sehr beschäftigt, ist der ganze Handykonsum und die sozialen Medien. Es macht mir Mühe, zuzusehen, dass sie dem so ausgesetzt sind.»
Bessere Kommunikation
Ladina: «Mir ist bei gewissen Sachen auch bewusst, dass sie schädlich sind. Dann ist es gut, zu wissen, dass die Eltern nach einem schauen. Allgemein ist die Kommunikation zwischen uns im Vergleich zu früher besser und vertrauensvoller geworden. Ich traue mich heute auch viel mehr, meinen Eltern gegenüber für meine Meinung einzustehen.»
Ich teile meinen Handystandort mit meinen Eltern, ohne mich von ihnen beobachtet zu fühlen.
Chiara, 19
Chiara: «Früher gab es schon Momente, in denen ich mir gewünscht hätte, meine Eltern würden mich mehr loslassen. Doch im Nachhinein war das gut so, und wir konnten immer gut miteinander reden. Meinen Eltern die Wahrheit sagen zu können, hat mir sehr geholfen. Das Gefühl, keine Freiheiten zu bekommen, habe ich jedenfalls seit Langem nicht mehr. Ich teile auch meinen Handystandort mit meinen Eltern, ohne mich von ihnen beobachtet zu fühlen. Dagegen habe ich Kolleginnen, die ausgezogen sind, weil sie sich mit 19 noch an Handyzeiten halten mussten.»
Yolanda: «Wenn Chiara und Ladina irgendwann ausziehen, wäre es mir ein grosses Anliegen, gewisse Rituale beibehalten zu können. Zum Beispiel das feine Essen am Sonntagabend am schön dekorierten Tisch. Zusammen essen, reden und einander einfach geniessen, wenn sie zu Besuch kommen, das fände ich schön.»
Guido: «Ich sehe dem Auszug der beiden gelassen entgegen. Ich bin zuversichtlich, dass sie gerne zu uns kommen werden, und zwar nicht einfach aus Pflichtgefühl. Dass wir gute Gespräche führen und es lustig haben werden. Das hat für mich viel mit Beziehung zu tun.»