Wann sollen Kinder zur Logopädie? - Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi
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Wann sollen Kinder zur Logopädie?

Lesedauer: 11 Minuten

Serie: Kind und Therapie – Teil 2

Kinder erschliessen sich die Welt durch Sprache. Durch Sprache gelingt soziales Miteinander, komplexes Denken und natürlich Lesen und Schreiben. Deshalb sind Sprachfähigkeiten für die kindliche Entwicklung so essenziell. Jedes fünfte Kind hat Schwierigkeiten damit. 

Selma ist vier Jahre alt und sagt «hot» statt «rot». Die Kindergärtnerin sieht keinen Handlungsbedarf. Louis ist sechs und spricht «l» statt «r», was in seiner Klasse oft zu Spöttereien führt. Das macht ihm zu schaffen. Seit wenigen Wochen geht er einmal die Woche zur Logopädin. Vincent, acht Jahre alt, hat viele Zähne auf einmal verloren und lispelt ein wenig. Die Lehrperson empfiehlt seinen Eltern eine logopädische Abklärung. 

Selma, Louis und Vincent: drei typische Fälle von leichten sprachlichen Auffälligkeiten. Dennoch sind Eltern verunsichert. Sie fragen sich: Braucht das Kind wirklich Unterstützung? Gerät mein Sohn, meine Tochter nun in die Abklärungsschlaufe? Erledigt sich das Problem mit dem «R» und mit dem «Sch» nicht einfach mit zunehmender Entwicklung von selbst?

Die Antwort von Ärzten und Logopäden lautet: Ja, aber. Auf der einen Seite wachsen sich sprachliche Auffälligkeiten tatsächlich aus. Denn gerade in der Entwicklungsphase ab vier Jahren kann bei Kindern viel passieren: «Bei Kindern im Kindergartenalter ist es oft auch sinnvoll, wenn man bei gewissen Auffälligkeiten nicht gleich generell die ganze Unterstützungsmaschinerie laufen lässt», sagt Peter Lienhard, Experte für schulische Heilpädagogik an der Interkantonalen Hochschule für Heilpädagogik. «Nicht jede sprachliche Auffälligkeit ist gleich eine Störung und muss behandelt werden», sagt auch der deutsche Kinderarzt und Autor Herbert Renz-Polster. «Gerade weil Kinder in so unterschiedlichem Tempo sprechen lernen, ist es für Eltern oft nicht leicht zu beurteilen, ob ihr Kind altersgerecht spricht.» 

«Nicht jede sprachliche 
Auffälligkeit ist eine ­Störung und muss ­behandelt werden», sagt Kinderarzt Herbert Renz-Polster.

Auf der anderen Seite braucht es Zeit, bis Kinder Sprache sicher beherrschen, und manchmal stossen sie eben auf Probleme, die sie selber nicht überwinden können – sei es in der gesprochenen Sprache («Fis» statt «Fisch» beispielsweise), sei es in der Lese- und Schreibkompetenz («Fruend» statt «Freundin»). 

«Kleine Sprachauffälligkeiten wie ‹Tasse› statt ‹Kasse› können bei einem kleinen Kind noch putzig sein, spätestens im Kindergarten und in der Schule kann das aber zu einem Problem werden», sagt Renz-Polster. Das Kind wird ausgelacht, verspottet oder empfindet sich selbst als «nicht richtig». 

Kind und Therapie – die Serie Mehr als die Hälfte der Schweizer Schulkinder wird im Laufe ihrer schulischen ­Laufbahn einmal therapiert. Viel zu viele, sagen manche Kinderärzte und Experten, und plädieren für mehr Gelassenheit bei Schul- und Lernschwierigkeiten. Eltern wiederum sind oft ratlos, hinterfragen ihre Ansprüche, fürchten sich vor Stigmatisierung. In dieser fünfteiligen Serie möchten wir das Feld des schulischen Therapieangebots ­beleuchten. Was ist das Ziel der sogenannten sonderpädagogischen Massnahmen? Wann sind sie nötig? Was macht eine Heilpädagogin im Unterricht? Wie arbeitet eine Logopädin? Was bedeutet Psychomotorik? Und haben wir nicht vielleicht einfach falsche Vorstellungen davon, was der Norm entspricht und was nicht? Alle bisher erschienen Artikel finden Sie hier: Kind und Therapie – die Serie (Bild: Klaus Vedfelt/Getty Images)
Kind und Therapie – die Serie
Mehr als die Hälfte der Schweizer Schulkinder wird im Laufe ihrer schulischen ­Laufbahn einmal therapiert. Viel zu viele, sagen manche Kinderärzte und Experten, und plädieren für mehr Gelassenheit bei Schul- und Lernschwierigkeiten. Eltern wiederum sind oft ratlos, hinterfragen ihre Ansprüche, fürchten sich vor Stigmatisierung. In dieser fünfteiligen Serie möchten wir das Feld des schulischen Therapieangebots ­beleuchten. Was ist das Ziel der sogenannten sonderpädagogischen Massnahmen? Wann sind sie nötig? Was macht eine Heilpädagogin im Unterricht? Wie arbeitet eine Logopädin? Was bedeutet Psychomotorik? Und haben wir nicht vielleicht einfach falsche Vorstellungen davon, was der Norm entspricht und was nicht?
Alle bisher erschienen Artikel finden Sie hier: Kind und Therapie – die Serie
(Bild: Klaus Vedfelt/Getty Images)

Dafür ist die Logopädie unter anderem da. Sie ist eine heilpädagogische Therapieform, die verschiedenste Auffälligkeiten der Sprache und des Sprechens, des Redeflusses, der Stimme, des Schluckens, der Schriftsprache in Bezug auf Lesen und Schreiben, der Kommunikation umfasst. Aber auch die sogenannte Dyskalkulie (Rechenschwäche) gehört zum Gebiet der Logopädie.

Erstmals damit konfrontiert werden Eltern sehr oft über den Kindergarten im jährlichen Standortgespräch. Da erfahren sie von even­­­tuellen sprachlichen Schwächen ihres Kindes, die sie selbst vielleicht als «normal» beurteilen. Bei kleineren Kindern sind phonetische Unklarheiten oder Lispeln häufig. Etwa 40 Prozent aller Kinder lispeln im Laufe ihrer Sprachentwicklung bei den Zischlauten «S», «Z» und «X». So liegt die Zunge normalerweise ein Stück hinter den Zähnen, wenn das «S» gebildet wird. Beim Lispeln stösst sie an die Vorderzähne, so dass das «S» wie «F» oder ähnlich wie das englische «Th» klingt. Das betrifft auch die Lautverbindungen «ts» und «ks», die im Deutschen beim «Z», beim «X» und in der Buchstabenfolge «chs» vorkommen. Lispeln kann aber auch das «Ch» und das «Sch» betreffen (Chitismus genannt): Das «Ch» wird dann wie «Sch» oder «S», das «Sch» wie «S», «Ch» oder «T» gesprochen.

Jedes fünfte Kind betroffen

In der Schweiz hat die Heilpädagogin und Logopädin Barbara Zollinger jahrzehntelang die Sprachentwicklung kleiner Kinder erforscht. Sie sagt, dass Sprache weit mehr als Sprechen ist. 

Die Sprache hat drei Funktionen. «Die Fähigkeit, vorhandene Bilder, Gegenstände oder Personen zu benennen, hat mit Sprache wenig zu tun. Was die Sprache ausmacht, ist die Möglichkeit, von Dingen und Ereignissen zu sprechen, die nicht vorhanden, das heisst an einem anderen Ort, vergangen oder zukünftig sind. Dies nennt man die repräsentative oder symbolische Funktion der Sprache», sagt Zollinger. Zweitens wolle man mit der Sprache etwas bewirken, mitteilen. Das bezeichnet sie als die kommunikative Funktion der Sprache. «Drittens besteht ein wichtiger Teil der Sprache nicht im Reproduzieren von Wörtern, sondern im Verstehen von dem, was andere sagen.» In der logopädischen Abklärung werden diese drei Funktionen untersucht. Gerade weil aber die Sprachentwicklung von Kindern so unterschiedlich verläuft, sei es laut Zollinger so wichtig, zwischen «sprachverzögerten« Kindern und «Spätzündern» zu unterscheiden: «Fast jedes fünfte Kind zeigt einen verzögerten Sprechbeginn, das heisst, es kann im Alter von zwei Jahren noch nicht 50 Wörter sagen und/oder zwei Wörter miteinander verbinden», sagt Zollinger. Diese Kinder werden auch als Late Talker (= späte Sprecher) bezeichnet. Die meisten Late-Talker-Kinder beginnen mit etwa drei Jahren, spontan zu sprechen: Etwa ein Drittel hat den Rückstand zu diesem Zeitpunkt aufgeholt und spricht in vollständigen Mehrwortsätzen; man nennt diese Kinder deshalb «Late Bloomer» (= spät Blühende). 

Mehr als die Hälfte der Kinder mit verzögertem Sprechbeginn entwickelt daraus eine Spracherwerbsstörung, ihre Satzbildung ist auch mit vier oder fünf Jahren noch fehlerhaft, die Lautbildung unvollständig und der Wortschatz eher klein. Viele dieser Kinder zeigen später im Schul- und zum Teil auch im Erwachsenenalter noch Schwierigkeiten beim Lesen und Schreiben, zum Beispiel Legasthenie, erworbener Analphabetismus. «Aufgrund der Kenntnisse über diese Zusammenhänge ist es wichtig, die gefährdeten Kinder möglichst früh zu erfassen und entsprechend zu fördern», erklärt Zollinger.

In der Logopädie geht es auch darum, die Persönlichkeit eines Kindes mit Sprachstörungen
zu stärken.

Das ist der Grund, weshalb die meisten Logopäden für eine möglichst frühe Therapie plädieren. Auch Annina Sievi. Sie betreut als Logopädin im Primarschulhaus Gerberacher in Wädenswil ZH rund 18 Kinder, das sind etwas über 10 Prozent aller Schülerinnen und Schüler im Schulhaus. Vordergründig geht es in der Logopädie um Störungen der Kommunikation und der Sprachentwicklung, erklärt sie. «Die Störungsbilder in der Logopädie sind aber vielfältig», erklärt Sievi. Oft gehe es aber auch darum, die Persönlichkeit der Kinder zu stärken. «Und je früher dieser Prozess einsetzen kann, desto besser», so Sievi.

Je früher, desto besser

Deshalb setzt sie sich jede Woche einmal in den Kindergarten, «denn je früher ein Kind eine Verbesserung seiner Beeinträchtigung erfährt, desto besser für die gesamte Entwicklung». Denn wie soll ein Kind selbstsicher in die Schule gehen, wenn es «F» und «W» nicht unterscheiden könne oder «Tanne» statt «Kanne» sage? Wie soll es ­schreiben lernen, wenn die Buchstaben sich nicht unterscheiden? «Schon mit drei Jahren kann mit Sicherheit beurteilt werden, ob eine Sprachentwicklungsstörung vorliegt», erklärt Sievi. In vielen Fällen auch schon mit zwei Jahren.

Auch jüngere Kinder könnten schon ein ausgeprägtes Störungsbewusstsein haben und leiden, erklärt Sievi. Es sei durchaus möglich, solch komplexe Themen bereits im Kindergartenalter in geeigneter Form anzusprechen. Sie wolle in der Therapie darauf abzielen, den Leidensdruck der Kinder und die Auffälligkeiten so weit möglich zu verringern. Sievis Zuwendung und ihr Vertrauen sollen dabei die Entwicklung der Kinder stützen. Mit jüngeren Kindern verläuft eine logopädische Stunde hauptsächlich spielerisch. So spielen die Kinder beispielsweise Memory, benennen Bilder oder erzählen eine Bildergeschichte. 

Mit älteren Kindern richtet sie die «Logostunde» gezielt schulisch aus. Mit dem Drittklässler Kai beispielsweise. Der Junge kommt immer dienstags zu Annina Sievi in den Einzelunterricht. Die beiden wollen bei unserem Besuch mit Leseübungen fortfahren und das Sprachverständnis vertiefen. Zuerst legt die Logopädin dem Jungen ein Blatt mit Multiple-Choice-Übungen vor: ein Bild, drei Begriffe. Kai muss die richtigen Begriffe dem Bild zuordnen. Neben der Flamme steht: Feuer, Feier, Feuer. Neben dem Bild eines Kirchturms steht: Kirche/Kirsche. Kai kreuzt «Kirche» an. Annina Sievi hakt nach: «Was ist denn die Kirsche?» «Etwas zum Essen», antwortet Kai. 

Während seiner Logostunde erhält Kai von Annina Sievi volle 45 Minuten Aufmerksamkeit. Entsprechend abwechslungsreich gestaltet Sievi ihre Stunden. 5 bis 10 Minuten dauern die einzelnen Übungs­sequenzen. Einmal liegt der Fokus auf der Grammatik, dann auf dem Wortbild, dann wieder auf dem Lesen oder beim Schreiben. Nach der Multiple-Choice-Übung beginnt Sievi mit dem Jungen ein Gespräch. Er soll berichten, was er in der gros-sen Morgenpause gemacht hat. Draussen tobte ein Sturm. So waren die Schüler angehalten, drinnen zu bleiben. «Ich war heute in der Pause drin, weil es stürmte», sagt Kai und notiert diesen Satz in sein Schreibheft. Während Kai schreibt, holt Sievi eine Schachtel mit Plastikknöpfen hervor. Mit den roten Punkten soll er die Nomen im Satz markieren, die er schon vom Regelklassenunterricht her kennt.

Mit jüngeren Kindern
verläuft eine «Logostunde»  vor allem spielerisch,
mit älteren Kindern gezielt schulisch.

Die Logopädin vertieft mit Kai den Stoff in der Einzelstunde: «Was braucht es, um einen Satz zu bilden?», fragt sie. «Gross- und Kleinschreibung, einen Punkt, Nomen, Adjektive, Verben.» Logopädin und Schüler tragen gemeinsam die Antworten zusammen. Dann fragt Sievi nach: «Was sind Nomen, was sind Verben?» Beide suchen nach Definitionen und Beispielen. «Nomen kann man anfassen», sagt Kai. «Genau. Und?», fragt Sievi nach. «Man kann der, die oder das voranstellen», antwortet Kai. Sievi lobt ihn: «Sehr gut.» Das Lob beflügelt den Jungen sichtlich: «Ein Verb ist etwas, das man tun kann.» Sievi ergänzt: «Und das Adjektiv beschreibt, wie etwas ist.» Kai hat sogleich ein Beispiel bereit: «der grosse Elefant». 

Für die nächste Sequenz holt ­Sievi ein Kreuzworträtsel hervor. Der Schüler freut sich. Laut liest Kai die Fragen: «Sie ist in unserem Mund?»: «die Spange», antwortet er schnell. Das Wort passt nicht in die Lücke, erkennt Kai. Und dann findet er die richtige Antwort: «Zunge passt!» Die nächste Frage: «20 plus 20 ist eine … ?» Kai liest und füllt konzentriert sogleich die Lücken aus: R-e-c-h-n-u-n-g. Die beiden fahren fort mit ihrem Programm. Am Ende der Lektion bleiben noch fünf Minuten. Sievi holt die Uno-Karten hervor, mischt und teilt aus. Konzentriert legen die zwei Karte um Karte hin, bis Kai die letzte ­Karte legt und «Uno!» ruft. Da läutet auch schon die Schulglocke.

Sprache und Lernen

Annina Sievi erklärt den Einfluss der Sprache auf die kognitiven Fähigkeiten. «Je älter Kinder werden, desto mehr verzahnt sich das Lernen mit sprachlichen Inhalten. Bis in den Kindergarten können kognitive und sprachliche Fähigkeiten getrennt voneinander getestet werden. Ab ungefähr acht Jahren ist das nicht mehr seriös möglich, weil beispielsweise die Aufgabe sprachlich erklärt werden muss. Kurz gesagt: Je abstrakter die Inhalte, ­desto mehr Sprache ist zur Erklärung nötig.» 

Erhalte ein Kind mit Sprachentwicklungsstörungen und damit auch Sprachverständnisproblemen nun keine Therapie, entwickle es Strategien, mit diesen Schwierigkeiten umzugehen. Diese Strategien wirken sich meistens negativ aus, sagt Sievi. Diese Kinder hätten oft ein geringes Selbstvertrauen, das sie wegen mangelnder Sprachfähigkeiten wiederum nicht ausdrücken können. Oder sie ahmen ihre Kollegen nach, um nicht aufzufallen. Deshalb verhin­dere eine frühe sprachliche Förderung so manchen späteren schulischen Misserfolg, sagt Sievi.

Warum ist Sprache so wichtig?

Unser gesamtes Schulsystem basiert auf Sprache, erklärt der Zürcher Psychologieprofessor Moritz Daum. «Wenn ich im Rechnen gut bin, aber die Textaufgaben nicht verstehe oder sehr lange dafür brauche, sie zu lesen, werde ich möglicherweise eine schlechtere Note haben als jemand, der vielleicht kein Rechengenie ist, aber dafür gut lesen und verstehen kann. Das heisst: Wenn ich Sprache gut verstehe und mich gut ausdrücken kann, ist das eine wichtige Grundlage dafür, dass ich in der Schule Erfolg haben werde.» Sprachbewusstsein, -verständnis und -vermögen sind entscheidend von der Umgebung geprägt, in der ein Kind aufwächst. 

Das haben die US-amerikanischen Forscher Betty Hart und Todd Risley zu beweisen versucht. Sie untersuchten Familien aus verschiedenen sozioökonomischen Milieus und zählten über Monate die Anzahl der Wörter, die im jeweiligen Haushalt gesprochen wurden. Die Ergebnisse waren spektakulär: 45 Millionen Wörter hören wohlhabende und umsorgte Kinder bereits in den ersten vier Jahren. 

Weniger privilegierte Kinder hören in dieser Zeitspanne dagegen nur 10 bis 13 Millionen Wörter. Das hat Folgen für den Wortschatz: Ein Kind aus einer höheren Schicht kennt mit drei Jahren ungefähr 1000 Wörter, ein Kind aus tieferer Schicht nur die Hälfte. Keine Schule dieser Welt kann eine derartige Kluft später auch nur annähernd schliessen – da mögen sich die Lehrer noch so abmühen.

Jedes Kind mit einer
Spracherwerbsstörung ist
auffällig, aber nicht jedes
logopädisch auffällige Kind hat eine Störung.

Eltern können aber helfen, damit das Kind unabhängig von seiner Herkunft einen grossen Wortschatz hat, sagt Moritz Daum. Je mehr man mit dem Kind spricht, ihm Dinge zeigt und mit ihm interagiert, desto bessere sprachliche Fähigkeiten entwickelt das Kind. «Das heisst: Auch wenn ich vielleicht einen einfachen Schulabschluss habe, kann ich dennoch möglichst viel mit meinem Kind sprechen. Das wirkt sich positiv auf die sprachliche Entwicklung aus.»

Viele Kinder zwischen zwei und sechs Jahren neigen also zu Sprach­unflüssigkeiten in Form von Wort- und Phrasenwiederholungen. Wenn die Sprache nun aber nicht fliesst oder die Wörter sich verdrehen, wenn sich zwischen Zunge und Zähnen Laute bilden, die nirgends nachzulesen sind, dann ist logopädische Unterstützung zwingend. 

Wie weiss man als Mutter oder Vater, ob das Kind einfach eine entwicklungsbedingte Auffälligkeit hat oder doch ein Sprachproblem? Klarheit bringt laut Sievi nur eine logopädische Abklärung. In vielen Kantonen wird diese im Kindergarten standardmässig durchgeführt. 

«Jedes Kind mit Spracherwerbsstörung ist auffällig, aber nicht jedes logopädisch auffällige Kind hat eine Störung.» Die Entscheidung für eine logopädische Therapie liege aber nicht nur an den Ergebnissen der logopädischen Abklärung. «Es ist eine gemeinsame Entscheidung der Eltern, der Lehrperson und der Logopädie», sagt Sievi.

Claudia Landolt ist leitende Autorin beim SchweizerElternMagazin Fritz+Fränzi. Sie ist Mutter von vier Söhnen und wohnt im Kanton Aargau.
Claudia Landolt ist leitende Autorin beim Schweizer
ElternMagazin Fritz+Fränzi. Sie ist Mutter von vier Söhnen und wohnt im Kanton Aargau.
Ursina Trautmann ist Journalistin und Autorin und schreibt für Bücher, Bühne und Zeitschriften. Sie hat zwei Töchter im Alter von 10 und 15 Jahren und ist an Entwicklungsfragen und Psychologie interessiert. 
Ursina Trautmann ist Journalistin und Autorin und schreibt für Bücher, Bühne und Zeitschriften. Sie hat zwei Töchter im Alter von 10 und 15 Jahren und ist an Entwicklungsfragen und Psychologie interessiert. 

Wie Eltern erkennen können, ob ihr Kind sprachlich verzögert ist 

Tipps von Heilpädagogin und Logopädin Barbara Zollinger

Die gefährdeten Kinder können schon im Alter von zwei Jahren gut erfasst werden, indem man ihre symbolischen und kommunikativen Fähigkeiten 
sowie ihr Sprachverständnis ­beobachtet:

  • Gibt das Kind seinen Handlungen Bedeutung und macht es Tun-als-ob-Spiele?
  • Interessiert es sich für Bilderbücher?
  • Kann es seine Bedürfnisse ­ausdrücken und sich durch Nein abgrenzen?
  • Sagt es seinen Namen?
  • Kann es auf Aufforderung einen Gegenstand suchen gehen, auch wenn es nicht weiss, wo dieser sich normalerweise befindet?
  • Interessiert es sich für Details in ­Bilderbüchern, zeigt darauf oder fragt danach?
  • Kann es mit den gesprochenen Wörtern auf nicht Vorhandenes Bezug nehmen?
  • Kann es sie schon zum Erzählen brauchen?

Hat ein Kind alle diese Fähigkeiten, wird es sich mit grosser Wahrscheinlichkeit zu einem kompetenten Spiel- und Gesprächspartner entwickeln. Fehlen die meisten der aufgeführten Fähigkeiten, sollten Eltern Rat beim Experten einholen.


Logopädie: Wann und warum?

Ob eine Therapie angezeigt ist, hängt von verschiedenen Faktoren ab:

  • Wie stark leidet das Kind?
  • Wie sehr ist die Fähigkeit zur ­Kommunikation eingeschränkt?
  • Wird es dadurch isoliert?
  • Entstehen viele Missverständnisse?
  • Wie reagiert das Umfeld?
  • Wie ist der allgemeine Entwicklungsstand des Kindes?
  • Eine logopädische Abklärung ist sinnvoll, wenn das Kind
  • nicht oder sehr wenig spricht.
  • nicht versteht, was andere sagen.
  • bekannte Wörter nicht findet.
  • nicht verstanden wird.
  • beim Lesen und Schreiben ­Schwierigkeiten hat.
  • Laute nicht richtig bilden kann.
  • lispelt oder stottert.
  • ständig heiser ist.

Quelle: Schweizer Fachverband Logopädie


Weiterlesen zum Thema Kinder und Therapie: 

Teil 1 Das Therapie-Dilemma
Teil 2 Logopädie
Teil 3 Heilpädagogik
Teil 4 Psychomotorik
Teil 5 Ergomotorik

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