Kinder stark machen: 6 hilfreiche Tipps für Eltern - Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi
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Kinder stark machen: 6 hilfreiche Tipps für Eltern

Lesedauer: 8 Minuten

Dem Kind Resilienz, innere Stärke mitzugeben ist ein grosses Ziel vieler Eltern. Aber was können Eltern ganz konkret tun, um das Selbstwertgefühl ihrer Kinder zu stärken?

Text: Fabian Grolimund
Fotos: Alain Laboile

Das Wichtigste zum Thema

Eltern sehen ihre Kinder gerne als mutige, freundliche und lösungsorientierte Menschen, aber nicht jedem Kind sind diese Eigenschaften angeboren. Was können Eltern tun? Fabian Grolimund gibt dazu 6 konkrete Tipps. Ein erster Einblick:

  • Kinder werden im Laufe ihres Lebens immer wieder an Probleme gelangen. Lassen Sie Ihr Kind das Problem selbst lösen oder stehen Sie beratend zur Seite. So entwickelt es ein gesundes Selbstvertrauen.
  • Ermutigen Sie Ihr Kind nach einem Misserfolg weiterzumachen. Die Forschung zeigt, dass Kinder gut mit Misserfolgen umgehen können, wenn sie glauben, dass sie sich durch Anstrengung verbessern können. Sie geben hingegen rasch auf, wenn sie den Eindruck haben, eine Leistung hinge von Intelligenz oder Begabung ab.
  • Misserfolge gehören zum Leben dazu, feiern Sie mit Ihrem Kind die gute Note in der Matheprüfung. Und wenn es mit einer schlechten Note nach Hause kommt, spenden Sie Trost. Hier gehts direkt zu Tipp 3.

Lesen Sie die ausführlichen Tipps von Fabian Grolimund im vollständigen Artikel.

Tipp 1: Nutzen Sie Probleme, um Ihr Kind zu stärken

Kinder stossen im Verlauf ihres Lebens immer wieder auf Probleme. Als Eltern fühlen wir uns oft dazu gedrängt, für unser Kind sofort eine Lösung bereitzustellen. Dabei übersehen wir, dass jedes Problem auch eine Gelegenheit für das Kind darstellt, zu wachsen und wichtige Problemlösefertigkeiten zu entwickeln.

Indem wir nur so viel helfen wie nötig und das Kind mehr und mehr in die Entwicklung einer Lösung einbeziehen, leiten wir es an, Probleme selbst zu lösen. Ein Kind, das sich auf seine Fähigkeiten und seine Problemlösekompetenzen verlassen und mit Rückschlägen und Misserfolgen umgehen kann, ist auch zuversichtlich, wenn es mit Herausforderungen konfrontiert wird.

Wichtig ist, dass die Kinder ein gesundes Selbstvertrauen entwickeln. Es gilt aber nicht: je selbstsicherer, desto besser. Hilfreich ist ein positives, aber realistisches Bild von sich selbst. Damit wir uns entwickeln können, uns angemessenen Herausforderungen stellen und uns über kleine Fortschritte freuen können. Wir müssen auch in der Lage sein, unsere Schwächen und Schwierigkeiten wahrzunehmen und uns richtig einzuschätzen. Dazu benötigen Kinder wohlwollende, aber akkurate Rückmeldungen. (Siehe auch das Video «Probleme lösen».)

Tipp 2: Zeigen Sie Ihrem Kind, dass sich Anstrengungen auszahlen

Wie reagiert Ihr Kind, wenn es einen Misserfolg erlebt? Gibt es gleich auf oder übt es weiter?

Kinder lernen auch indirekt von Ihnen als Eltern oder Lehrperson, ob es sich lohnt, sich trotz Misserfolgen weiter zu bemühen. Wie effektiv schon ein kurzer Kontakt mit einem positiven Modell sein kann, zeigten die Psychologen Perry und Penner. Sie führten Psychologiestudenten ein Video eines Psychologieprofessors vor. Dieser erzählte von seinen Studienzeiten und schilderte ein Ereignis, bei dem er wiederholt Misserfolge einstecken musste und nur durch gutes Zureden eines Freundes nicht aufgab. Danach habe er die Uni erfolgreich abgeschlossen. Er betonte, dass die Leistung vor allem von der eigenen Anstrengung abhänge und sich Fähigkeiten durch Übung trainieren liessen. Die Studierenden, die das Video gesehen hatten, zeigten am Ende des Semesters bessere Leistungen.

Die Forschung zeigt, dass Kinder gut mit Misserfolgen umgehen können, wenn sie glauben, dass sie sich durch Anstrengung verbessern können. Sie geben hingegen rasch auf, wenn sie den Eindruck haben, eine Leistung hinge von Intelligenz oder Begabung ab. Kinder brauchen Eltern, die ihnen vermitteln: Du kannst dich durch Übung verbessern; ich sehe (auch kleine!) Fortschritte und freue mich darüber.

Tipp 3: Fangen Sie Ihr Kind auf, wenn es Misserfolge einstecken muss

Wie würden Sie sich fühlen und wie würden Sie reagieren, wenn Sie in Ihrem Beruf trotz vollem Einsatz Woche für Woche hören müssten: «Du bist nicht gut genug! Deine Leistung reicht nicht!»?

Viele Kinder machen diese Erfahrung tagtäglich – über Jahre hinweg. Wie können wir als Eltern oder Lehrperson Kinder in dieser Situation stärken? Vielleicht gibt Ihnen der folgende Dialog zwischen der Mutter eines rechenschwachen Kindes und mir einen Hinweis:

G.: «Wie schaffen Sie es, dass Ihre Tochter sich immer wieder auf das Rechnen einlässt, obwohl sie ständig Misserfolge erlebt?»

Mutter: «Wissen Sie, ich erwarte von meiner Tochter, dass Sie täglich 10 Minuten mit mir übt. Da bin ich eisern. Ich habe aber gelernt, mich mit ihr zusammen über kleine Fortschritte zu freuen. Wenn sie mit einer Prüfung nach Hause kommt und eine 4 geschafft hat, gehen wir zusammen ein Siegerglace essen.»

G.: «Und was, wenn sie mit einer ungenügenden Note nach Hause kommt?»
Mutter: «Dann gehen wir ein Trostglace essen! Ich will, dass sie weiss: Wenn es gut lief, freuen wir uns mit dir. Wenn es schlecht lief, fangen wir dich auf.»

Tipp 4: Geniessen Sie Momente zu zweit

Wenn Kinder zu Jugendlichen heranreifen, entwickeln sie andere Bedürfnisse. Sie möchten von ihren Eltern nach wie vor ernst genommen werden. In Gesprächen erwarten sie, eigene Meinungen äussern zu dürfen. Sie suchen die Auseinandersetzung, aber auch Verständnis und Geborgenheit.

Für Eltern werden die Gespräche anspruchsvoller.
Es gibt einen einfachen Weg, um wieder mehr Nähe herzustellen: Sorgen Sie dafür, dass Sie Zeit mit Ihrem Kind alleine verbringen. Viele Themen, die Jugendliche umtreiben, lassen sich nicht am Esstisch in der Familie besprechen.

Statt einen Ausflug zu viert zu machen, könnte die Mutter mit dem Sohn, der Vater mit der Tochter etwas unternehmen. Vielleicht liegt sogar ein kurzer getrennter Urlaub drin? Eine Städtereise zu zweit?

Eltern sind regelmässig erstaunt, wie viel besser sie ihre Kinder kennenlernen und wie viel Nähe plötzlich wieder da ist, wenn sie sich ganz bewusst für ein Kind Zeit nehmen: nur zu zweit und ohne To-do-Liste im Kopf.

Gleichzeitig wächst unser Selbstwertgefühl, wenn es uns gelingt, uns für unsere Werte und Ideale einzusetzen und an etwas mitzuwirken, das grösser ist als wir selbst. Dies geschieht, wenn Kinder die Erfahrung machen:

• Durch mich und meinen Beitrag wird meine Familie, meine Klasse, ja vielleicht sogar die Welt ein wenig besser.

• Andere können auf mich zählen und finden bei mir Halt und Unterstützung.

Viktor Frankl schreibt in seinem Buch «Das Leiden am sinnlosen Leben»: «Im Dienst an einer Sache oder in der Liebe zu einer Person erfüllt der Mensch sich selbst. Je mehr er aufgeht in seiner Aufgabe, je mehr er hingegeben ist an seinen Partner, umso mehr ist er Mensch, umso mehr wird er sich selbst. Sich selbst verwirklichen kann er also eigentlich nur in dem Masse, in dem er sich selbst vergisst, in dem er sich selbst übersieht.»

In unserer Kultur steht der Erfolg des Einzelnen im Vordergrund. Es geht darum, besser zu sein, zu gewinnen, sich abzugrenzen, andere zu übertrumpfen und sich hervorzutun. Diese Kultur spornt uns an, unser Bestes zu geben. Sie hat aber auch ihre Schattenseiten: Stress, Burnout, Neid und Gefühle des Versagens und der Wertlosigkeit, wenn es uns nicht gelingt, vorne mitzuschwimmen.
Der Hinweis von Viktor Frankl zeigt uns einen Ausweg auf: Wir können Glück erlangen und uns selbst verwirklichen, wenn wir uns auf etwas anderes als uns selbst konzentrieren. Wir können uns Zeit nehmen für unsere Kinder, uns auf unseren Partner einlassen.

Fragen Sie Ihr Kind in einer Angelegenheit um seinen Rat oder seine Meinung!

Tipp 5: Geben Sie Ihrem Kind die Möglichkeit, sich zu engagieren

Menschen, die sich aus eigenem Antrieb heraus für andere, die Umwelt oder eine gute Sache engagieren, empfinden ihr Leben als sinnvoller und haben ein höheres Selbstwertgefühl.

Eltern können ihre Kinder dazu anregen, sich zu engagieren und Verantwortung zu übernehmen, indem sie selbst etwas Gutes tun, grosszügig und dankbar sind. Wir können unseren Kindern vorleben, dass es mehr gibt als Leistung, Wettbewerb, Sieg und Niederlage.

So wie wir das Selbstwertgefühl eines Kindes fördern können, indem wir es an einer guten Sache mitwirken lassen, können wir auch alle Kinder stärken: Wenn wir einen 3-Kilometer-Lauf veranstalten, können manche Kinder ihr Selbstvertrauen stärken. Sie können zeigen, wie sportlich sie sind. Auf der anderen Seite wird es Verlierer geben. Das übergewichtige, das als letztes ins Ziel kommt, wird sich schämen und darin bestätigt werden, unsportlich zu sein. Bei einem Sponsorenlauf hingegen zählt jede gelaufene Runde für einen guten Zweck, und jedes Kind kann sich am Ende des Laufs darüber freuen, eine gute Tat für andere erbracht zu haben.

Unser Selbstvertrauen hat immer auch damit zu tun, wo wir im Vergleich zu anderen stehen. Machen wir unser Glück davon abhängig, stehen wir auf wackligen Füssen.

Wenn wir uns etwas mehr auf andere konzentrieren als auf uns selbst, wächst unser Selbstwertgefühl. Wir lesen an den Gesichtern anderer Menschen ab, dass unser Beitrag geschätzt wird. Wir sehen eine gute Sache wachsen, freuen uns darüber und empfinden unser Leben als wert-und sinnvoll. Gleichzeitig weitet sich der Blick. Wir sind nicht mehr so stark auf uns fixiert, denken weniger darüber nach, wie andere uns sehen, wie wir wirken und wie bedeutsam wir sind. (Siehe auch das Video «Einen Beitrag leisten».)

Sorgen Sie dafür, dass Sie auch Zeit mit Ihrem Kind alleine verbringen.

Tipp 6: Zeigen Sie Ihrem Kind den Wert guter Taten

Der relativ neue Forschungszweig der positiven Psychologie befasst sich mit der Frage, wie Menschen Wohlbefinden erreichen können. Prof. Martin Seligmann, Begründer dieser Forschungsrichtung, kommt zum Schluss, «dass eine freundliche Handlung mehr zur Steigerung des eigenen Wohlbefindens beiträgt als jede andere Übung, die wir getestet haben».
In seinem Buch «Flourish» beschreibt Seligmann das folgende Erlebnis:

«Schon wieder ist das Porto um einen Cent gestiegen!» Ich war stinksauer, weil ich schon eine Dreiviertelstunde in einer sich endlos windenden Schlange angestanden hatte, um einen Bogen von einhundert Ein-Cent-Briefmarken zu bekommen. Die Schlange bewegte sich im Schneckentempo vorwärts, und die Leute um mich herum gerieten immer mehr in Rage. Als ich endlich am Schalter stand, liess ich mir zehn Bögen à 100 Briefmarken geben. Alles zusammen für 10 Dollar.

«Wer braucht Ein-Cent-Marken?», rief ich dann. «Die gibt’s bei mir umsonst!» Ein Beifallssturm brach los und die Leute scharten sich um mich, während ich diesen Schatz verteilte. Innerhalb von zwei Minuten hatte sich die ganze Schlange aufgelöst und die Leute waren mit den meisten meiner Briefmarken verschwunden. Das war einer der befriedigendsten Augenblicke meines Lebens.

Kinder können gut mit Misserfolgen umgehen, wenn sie glauben, sich durch Anstrengungen verbessern zu können.

Überlegen Sie zusammen mit Ihrem Kind, zu wem es freundlich sein könnte. Die folgenden Fragen können Ihnen dabei helfen:

• Wann hast du das letzte Mal jemandem eine Freude gemacht? Wie? Wie hast du dich danach gefühlt?

• Wie kann man anderen Menschen eine Freude bereiten (jemanden besuchen, jemandem helfen, etwas teilen, ein Kompliment machen, etwas schenken, ein Kind, das am Rand steht, zum Spielen einladen usw.)?

• Was davon würdest du nun gerne tun? 

Tauschen Sie sich danach mit Ihrem Kind darüber aus, wie es sich gefühlt hat.

Zeigen Sie Ihrem Kind, dass Sie zu ihm stehen – auch bei einem Misserfolg.

Ein starkes Kind kann von sich sagen:

Ich kann:

  • mich über Erfolge freuen
  • aus Misserfolgen und Fehlern lernen
  • mich durch Anstrengung und Übung verbessern
  • Probleme lösen und Schwierigkeiten überwinden
  • mit anderen sprechen, wenn mich Sorgen quälen
  • mir Hilfe und Unterstützung holen, wenn ich sie benötige

Ich bin:

  • als Mensch liebenswert
  • verantwortlich für das, was ich tue
  • zuversichtlich, dass ich mit Problemen und schwierigen Gefühlen umgehen kann
  • mir bewusst, dass mein Wert als Mensch nicht von meinen Leistungen abhängt

Ich habe:

  • Eltern, die mir zuhören und sich Zeit für mich nehmen
  • Menschen in meinem Leben, die mich so annehmen und lieben, wie ich bin
  • Menschen, die mir helfen, wenn ich Hilfe brauche, und mich gleichzeitig darin bestärken, selbstbestimmt zu handeln
  • Werte, die mir wichtig sind und für die ich mich einsetzen kann
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Fabian Grolimund
ist Psychologe und Buchautor. Gemeinsam mit ­Stefanie Rietzler leitet er die Akademie für Lerncoaching in Zürich. Er ist verheiratet, Vater eines Sohnes und einer Tochter und lebt mit seiner Familie in Fribourg.

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