10 Fragen zum Thema Entwicklung und Psychologie - Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi
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10 Fragen zum Thema Entwicklung und Psychologie

Lesedauer: 7 Minuten

Wie wichtig sind Geschwister? Was kann ich tun, wenn ein Kind oft schlägt oder ausrastet? Diese und weitere Fragen beantworten Expertinnen und Experten in unserem Dossier zum Thema Entwicklung & Psychologie

Wie wichtig sind Geschwister?

Um gut zu gedeihen, braucht ein Kind keine Geschwister. Einen Bruder oder eine Schwester zu haben, hat natürlich Vorteile – aber auch Nachteile. Ein Einzelkind ist ganz einfach eine Variante und kein Grund für Eltern, ein schlechtes Gewissen zu haben. Dieses Schuldgefühl speist sich wohl eher aus den Wunschvorstellungen oder dem Bild, das sich Eltern von einer Familie malen. Man kann es getrost vergessen.

Einzelkinder haben weder mehr Vor- noch mehr Nachteile als Geschwisterkinder. Viel wichtiger als ein Geschwister ist für ein Kind, dass es in einem Umfeld aufwächst, in welchem es gut gedeihen kann.

Jürg Frick, Geschwisterforscher, Psychologe FSP, Autor, Dozent und Berater an der Pädagogischen Hochschule Zürich

Was kann ich tun, wenn ein Kind oft schlägt oder ausrastet? 

Der Umgang mit seinen Gefühlen und die Entwicklung einer inneren Kontrollinstanz lernen Kinder erst im Laufe der Kindergartenzeit. Was Eltern als trotziges Verhalten erscheint, ist oftmals auf eine Unreife des kindlichen Gehirns zurückzuführen, das schlichtweg noch nicht in der Lage ist, manche Reaktionen zu kontrollieren.

Die Impulskontrolle entwickelt sich im Laufe der Zeit von selbst. Man kann das Kind aber unterstützen, sein Potenzial an Selbstkontrolle und Bedürfnisaufschub zu entfalten. Damit Kinder ihre Impulskontrolle trainieren, brauchen sie die Begleitung Erwachsener. Sie können ihre Bedürfnisse, ihre Eindrücke und ihre Gefühle oft noch nicht ausformulieren, reagieren deshalb emotional und körperlich.

Daher ist es wichtig, dass Eltern formulieren, was das Kind fühlt. Mit zunehmender Reife wächst auch die Möglichkeit, sich in die Situation des anderen hineinzuversetzen. «Ich mag nicht gehauen werden, also mag mein Freund auch nicht gehauen werden.» Diese essenzielle Einsicht wirkt besser als jedes Verbot.

Moritz Daum, Entwicklungs­psychologe

Wie wichtig ist Frühförderung?

Die Erkenntnis der Hirnforschung, dass sich das menschliche Gehirn nutzungsabhängig entwickelt, führt bei vielen Eltern zum Fehlschluss, man müsse das Gehirn trainieren wie einen Muskel. Weil sie ihre Kinder für die globalisierte Welt fit machen wollen, haben sich viele Eltern einen gefährlichen Virus eingefangen: die Förderitis.

Aus Angst, ihre Kinder könnten den Anschluss an eine globalisierte Bildungsgesellschaft verlieren, versuchen sie, ihre Kinder auf jede erdenkliche Art zu fördern: Frühenglisch, Kinderyoga, Malkurse und Musikunterricht wechseln sich in einem straffen Zeitplan miteinander ab. Dabei übersehen die Eltern, dass das soziale Umfeld die Hirnentwicklung viel stärker bestimmt als jedes Training. Man kann Eltern also nicht oft genug ermutigen, das Spiel ihrer Kinder ernst zu nehmen.

André Zimpel, Erziehungswissen­schaftler

Mit der Juni-Ausgabe ist das umfangreichste Dossier in der Geschichte des Schweizer ElternMagazins Fritz+Fränzi entstanden: 29 namhafte Expertinnen und Experten – Jesper Juul Fabian Grolimund, Margrit Stamm, Philipp Ramming, Allan Guggenbühl, Eveline Hipeli und viele mehr – beantworten die 100 wichtigsten Fragen zur Erziehung und zum Familienleben.   Das komplette Heft können Sie als Einzelausgabe hier bestellen.
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Das komplette Heft können Sie als Einzelausgabe hier bestellen.

Sollen Eltern zulassen, dass die Kinder nachts ins Elternbett schlüpfen?

Alle Eltern verstehen, dass kleine Kinder leicht in Not und Stress geraten, wenn sie auf dem Weg in den Schlaf alleine sind. Und alle wissen, dass kleine Kinder auch tagsüber eigentlich nicht allein sein können. Im Umgang mit dem Schlaf scheiden sich allerdings die Geister. Die einen geben dem Nähebedürfnis der Kinder nach, die anderen halten dagegen und setzen auf mehr Distanz. Bis heute heisst die Antwort auch hierzulande sehr oft: Du musst das alleine schaffen. Du musst das Schlafen lernen – und zwar so, wie es richtig ist: alleine. Das Schlafproblem scheint ein Erbe aus der Menschheitsgeschichte zu sein.

Denn alle Lebewesen, ob klein oder gross, stehen beim Thema Schlaf ja zunächst einmal vor einem Sicherheitsproblem: Wer in eine Art Koma fällt, ist eine ganze Weile schutz- und wehrlos. Gut also, wenn man dem Sandmännchen Bedingungen stellt! Wir Grossen sorgen zum Beispiel dafür, dass die Haustür verschlossen ist und dass es nicht allzu kalt durchs Fenster windet. Unsere Kinder sorgen auf ihre Art für Sicherheit: Sie können dann entspannen, wenn sie ihre vertrauten, schützenden Bezugspersonen bei sich wissen.

Kein Wunder also geraten kleine Kinder unter Stress, wenn sie sich auf dem Weg in den Schlaf alleingelassen fühlen. Ich denke, es hilft, wenn wir unseren eigenen Schlaf betrachten; es gibt nicht den einen Trick, aber immer geht es um das Thema Entspannung, um das Gefühl einer Schlafheimat – wenn wir da ankommen, dann kommen wir runter.

Wir sollten uns vielleicht an das Feuer erinnern, an dem wir einmal gesessen sind und Geschichten erzählt haben. Wären wir da aufgestanden und hätten unser Kind hinter den Büschen ins Bett gebracht? Und uns dabei geärgert, welche Geschichten wir jetzt gerade verpassen? Nein, das Kind wäre irgendwann eingeschlafen, mittendrin. Da fand es irgendwo seine Schlafheimat. Mit dieser Denke lässt sich heute noch manches entspannter angehen, auch für uns selbst.

Herbert Renz-Polster, Kinderarzt und Bestsellerautor

Wenn der Sohn ein Raufbold ist – was sollen Eltern tun?

Körperliche Auseinandersetzungen gehören zur männlichen Biografie. Wichtig ist, dass ein Junge zwischen einem Spasskämpfli und einer Rauferei unterscheiden kann. Wie geht das? Indem das Kind eine Art innere Stimme als Leitplanke hat. Und die bekommt es nur, wenn es Eltern hat, die ihm Grenzen setzen. Die ihm beibringen, was fair ist und was unfair, die ihm sagen, dass es sofort aufhören muss, wenn der andere «Stopp» oder «Nein» sagt – und dass der Kopf des Gegenübers tabu ist. Raufereien grundsätzlich zu verbieten, halte ich für falsch. Die Kinder müssen aber lernen, wie man damit umzugehen hat.

Allan Guggenbühl, Psychologe, Psychotherapeut und Experte für Gewaltfragen

Wie wichtig ist es, dass ich mein Kind Kind sein lasse?

Die Kindheit ist ein unveräusserlicher Schatz, der im eigentlichen Wortsinn unantastbar ist. Denn wir sind alle nur einen Teil unseres Lebens Kinder. In unserem Inneren aber leben wir ein ganzes Leben davon, dass wir Kinder waren – wirkliche, echte Kinder. Wenn wir jetzt den Kindern keine Kindheit mehr zugestehen, weil wir sie lieber gleich fit für den Job machen wollen – dann ist es vielleicht an der Zeit, uns zu fragen: Was genau suchen wir im Leben?

Herbert Renz-Polster, Kinderarzt

Wie viel Spielzeug braucht ein Kind?

Im Vorschulalter braucht ein Kind maximal vier Spielzeuge. Generell gilt: Weniger ist mehr. Allerdings sind Kinderzimmer ohne Plüschtiere und Spielzeug trostlos. Deshalb gehören in jedes Kinderzimmer Spielsachen.

Problematisch wird es, wenn zu viele Spielsachen herumliegen. Denn diese strahlen aus der Sicht des Kindes eine Erwartung aus, nämlich die, mit ihnen zu spielen. Eine Überreizung führt dazu, dass Kinder gar nicht in ihr Spiel versinken können, weil sie dauernd diese Aufforderung spüren.

Ideal sind Spielsachen, die nicht festgelegt sind, also Bälle oder Klötze oder Konstruktionsspiele. Sie lassen der kindlichen Fantasie freien Raum, und das Schöne an diesen Spielen ist die vielseitige Anwendbarkeit: Kinder konstruieren in jeder Phase ihres Lebens etwas anderes daraus. Als Baby nehmen sie ein Spielzeug in den Mund, werfen es herum. Später wird aus einem Baustein ein Auto. Und noch später kommen die Rollenspiele. In der Regel sind solche Spiele immer besser als festgelegte Spiele.

André Zimpel, Erziehungswissenschaftler

Wie wichtig ist es, dass Kinder frei spielen können?

Spielen ist wichtig, weil das menschliche Gehirn vor allem ein Sozialorgan ist, das sich durch Erfahrungen entwickelt. Kinder können besser «nachäffen» als unsere nächsten Verwandten, die Schimpansen, denen wir genetisch immerhin zu mehr als 98 Prozent ähneln.

Spielen ist also keine verschwendete Zeit, sondern die effektivste Form des sozialen Lernens. Nichts macht Kinder so klug wie das selbstvergessene, frei gewählte Spiel. Wenn Kinder beim Spielen in die unterschiedlichsten Rollen schlüpfen oder Alltagsgegenständen eine neue, spielerische Bedeutung verleihen, fördern sie dadurch ganz automatisch ihr abstraktes Denkvermögen.

Diese Fähigkeit ist die wichtigste Voraussetzung, um später beispielsweise Naturwissenschaften oder Fremdsprachen zu lernen. Gleichzeitig wachsen sie dabei spielerisch in die Erwartungen ihrer Umwelt hinein. Das bedeutet: Sie steigern ihre soziale Kompetenz.

André Zimpel, Erziehungswissenschaftler

Was braucht es für ein erfolgreiches Leben?

Es braucht drei Dinge, damit ein Kind längerfristig erfolgreich ist. Erstens: ein gutes Selbstkonzept. Das heisst, das Kind empfindet sich als guten Menschen und hat Vertrauen in sich und seine Fähigkeiten.

Der zweite Punkt: Es muss eine gewisse Frustrationstoleranz haben. Also in der Lage sein, eine Hürde zu meistern, ohne aufzugeben oder ohne dass Mami und Papi zeigen, wie es geht.

Drittens: Neugier. Das ist etwas, das ein Mensch braucht, um in der Schule erfolgreich, leistungsbereit und lernmotiviert zu sein. Und es sollte lernen, weil dies ein Bedürfnis ist, das aus ihm selbst herauskommt und nicht aus dem Druck der Eltern entsteht.

Das sind die Persönlichkeitsmerkmale, auf welche Eltern in der Erziehung die Schwerpunkte setzen sollten. Darauf schaut man in der Regel aber zu wenig. Man wertet die intellektuellen Fähigkeiten zu hoch.

Margrit Stamm, emeritierte Professorin an der Universität Fribourg und Direktorin des Forschungsinstituts Swiss Education in Aarau

Wie begleiten Eltern ihr Kind bestmöglich durch schwierige Zeiten?

Erstens: Eltern sollten sich bewusst machen, dass sie Fehler machen dürfen. Niemand ist perfekt, und es ist ein wichtiges Signal an Kinder, dies vorzuleben, aber sich auch entschuldigen zu können. Wer zu seinen Fehlern steht, erntet mehr Respekt, denn Kinder wollen und brauchen authentische Eltern als Vorbilder.

Zweitens: Eltern sollten immer hinter ihrem Kind stehen – egal, was passiert. Es ist wichtig, dass ein Kind spürt und auch hört, dass seine Eltern es lieben und mit ihm durch dick und dünn gehen, wenn es in Schwierigkeiten steckt oder wenn es sich nicht so verhält, wie man es erwartet.

Drittens: Beziehung basiert auf (Ur-)Vertrauen. Heisst: Das Kind soll wissen, dass seine Eltern für es da sind, wenn es sie braucht. Eine Beziehung zwischen Eltern und Kind wird gestärkt, wenn Eltern sich erstens für die Welt des Kindes interessieren, zweitens mit dem Kind reden, drittens durch Gestik und Mimik, viertens indem sie wertvolle Zeit miteinander verbringen – dazu zählen alle Momente, in denen ihnen das Kind etwas sagen, zeigen, fragen will – und fünftens, indem Eltern Präsenz zeigen.

Sarah Zanoni, Pädagogische Psychologin


100 Fragen und Antworten zu Erziehung, Familie und Schule

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Eine Einzelausgabe mit allen 100 Fragen und Antworten gesammelt können Sie hier bestellen. 
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