«Frau Dobler, wie können Eltern mit ihren Kindern über eine Sucht sprechen?» - Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi
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«Frau Dobler, wie können Eltern mit ihren Kindern über eine Sucht sprechen?»

Lesedauer: 3 Minuten

Suchtexpertin Sabine Dobler sagt, wann und wie Eltern mit ihren Kindern ins Gespräch über problematisches Konsumverhalten kommen.

Frau Dobler, warum rufen Eltern Sie an?

Das ist sehr unterschiedlich. Sehr oft melden sich Eltern, die bei ihren Kindern etwas finden, zum Beispiel Gras. Sie fallen meist aus allen Wolken und wollen wissen, was sie jetzt tun sollen. Andere Eltern merken, dass ihr Kind durch den Konsum von Suchtmitteln Probleme hat, zum Beispiel in der Lehre. Grundsätzlich beobachten wir, dass der Konsum von Cannabis eher zu Sorgen führt als der von Alkohol. Mütter melden sich oft, weil ihre Söhne konsumieren und es Konflikte in der Familie gibt. Mädchen sind da oft stiller, was gefährlich sein kann, denn so fällt nicht auf, dass sie eigentlich Zuwendung bräuchten. Wir erleben hier also ein breites Spektrum.

Was raten Sie den Eltern?

Zunächst einmal sollten sie herauszufinden versuchen: Was genau ist eigentlich los? Was bedeutet es, dass sie eine Substanz gefunden haben? Viele Eltern sind in gutem Kontakt zu ihrem Kind und können mit ihm reden. «Ich habe etwas gefunden und möchte mit dir darüber sprechen, was das bedeutet.» Je nach Alter und Suchtmittel, um das es geht, muss das Ziel sein, dass das Kind den Konsum wieder aufgibt.

Und bei älteren Jugendlichen, die sich weigern, den Cannabiskonsum aufzugeben?

In den Fällen können Eltern oft mehr erreichen, wenn sie mit dem Kind darüber sprechen, wie es Risiken vermindern kann: Wie will das Kind es schaffen, dass der Konsum gelegentlich bleibt und sich nicht steigert? Die Eltern sollten mit dem Kind auch vereinbaren, dass der Konsum keine Auswirkungen auf Schule, Lehre oder das Freizeitverhalten haben darf. Wichtig ist auch, mit dem Kind darüber zu sprechen, warum es konsumiert. Viele Jugendliche sagen, dass es ihnen um das Gruppenerlebnis geht. Manche wollen mit Cannabis aber auch Stress abbauen.
Zur Person: Sabine Dobler ist Projektleiterin in der Präventionsabteilung von Sucht Schweiz. Sie hat in Fribourg Angewandte Psycho­logie und Kommunikationswissenschaften studiert.
Zur Person:
Sabine Dobler ist Projektleiterin in der Präventionsabteilung von Sucht Schweiz. Sie hat in Fribourg Angewandte Psycho­logie und Kommunikationswissenschaften studiert.

Welche Bedeutung haben denn diese Konsummotive?

Für Sie als Elternteil ist das eine wichtige Information: Handelt es sich wirklich um einen gelegentlichen Genusskonsum gemeinsam mit Freunden? Oder aber versucht das Kind, negative Gefühle zurechtzurücken? Im ersten Fall ist das Risiko, dass es immer mehr konsumiert, kleiner. Wenn das Kind aber versucht, mit Cannabis belastende Gefühle zu vertreiben, ist das Risiko grösser, dass es immer mehr kifft. 

In dem Fall lernt das Kind auch nicht, andere Strategien aufzubauen, um mit belastenden Gefühlen umzugehen.

Richtig. Das Kind verpasst Lerngelegenheiten. In diesem Zusammenhang finde ich es wichtig, auch festzuhalten: Man soll mit dem Kind über Cannabis, Alkohol und so weiter sprechen. Aber man sollte nicht die Substanz ins Zentrum stellen, sondern das Kind. Wie geht es meinem Kind allgemein? Wo steht es gerade im Leben? Wie läuft es in der Schule? In der Lehre? Hängt es mit Leuten herum, die selbst Substanzen konsumieren? Das alles erlaubt es, einzuschätzen, wie gross das Risiko ist, dass aus dem Ausprobieren ein Problem wird.

Was mache ich, wenn mein Kind kifft, um sich zu entlasten?

Sprechen Sie mit Ihrem Kind über Ihre Sorgen. Was läuft derzeit nicht gut? Welchen Belastungen ist es ausgesetzt? Welche Wege gibt es, um diese Situation zu verbessern? Welche Ideen hat das Kind? Welche Möglichkeiten, das Kind zu unterstützen, haben Sie als Eltern? 

Welche Rolle spielt es, wie alt mein Kind ist?

Je jünger das Kind ist, desto grösser ist zum Beispiel das Risiko, abhängig zu werden. Das heisst, je jünger ein Kind ist, desto klarer sollten Eltern das Ziel verfolgen, den Konsum zu stoppen, und sie sollten sich Hilfe holen. Ein 13-Jähriger, der mit Cannabis experimentiert, begibt sich beispielsweise in grössere Gefahr als ein 16-Jähriger, der das tut.

Sollte ich mich als Elternteil über die fraglichen Substanzen informieren? 

Ja, denn so sind Sie in der Lage, kompetente Gespräche mit Ihren Kindern zu führen. Gespräche, keine Vorträge. Belehrend aufzutreten, bringt keinen weiter, oftmals ist es sogar so, dass die Kinder zu diesem Thema mehr wissen als die Eltern. Eltern und Kinder können auch gemeinsam Informationen suchen. 

Wie sieht denn ein gutes Gespräch aus?

Es ist zunächst einmal ein Dialog, das ist wichtig. Den sollte man nie mit dem Satz «Du machst da was falsch» eröffnen. Stattdessen sollten Eltern von sich erzählen, sagen, was sie beobachten und wie sie den Konsum des Kindes erleben, dass sie verunsichert sind und Anteil nehmen wollen. Sie können zum Beispiel sagen: «Ich will dich bestmöglich begleiten. Für mich ist es wichtig, dass wir offen miteinander sprechen können.»

Es gibt Eltern, die können über solche Dinge nicht mit ihren Kindern sprechen.

Ja, nicht alle Eltern haben die gleichen Ressourcen, um mit einer solchen Situation umzugehen. Und manche Situationen sind sehr schwierig und verfahren. Wenn der Kontakt zwischen Eltern und Kind schwierig ist, empfehlen wir, sich besser früh als spät fachliche Begleitung zu suchen. Das kann die Kommunikation erleichtern. Die Aussensicht kann Bewegung in eine verfahrene Situation bringen. Es gibt Jugendberatungsstellen, aber auch solche für Eltern oder Familien. Bei einem problematischen Konsum findet man auch bei einer Suchtberatungsstelle Hilfe.

Wie lautet das Ziel einer solchen Unterstützung?

Ziel ist es, mit einer neutralen Person zu schauen, wie sich die aktuelle Situation verbessern lässt. Wenn das Kind sich weigert, gemeinsam mit den Eltern zu einer Fachstelle zu gehen, sollten die Eltern zuerst alleine hingehen. Die Adoleszenz ist generell oft eine Herausforderung. Kommt ein Konsum von Suchtmitteln hinzu, wird das noch einmal besonders anspruchsvoll. Das ist kein elterliches Versagen. Es ist schlicht keine einfache Situation und daher völlig legitim, sich Unterstützung zu holen.

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