Wie Eltern ihr Kind bei Streit im Freundeskreis unterstützen - Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi
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Wie Eltern ihr Kind bei Streit im Freundeskreis unterstützen

Lesedauer: 3 Minuten

«Diese blöde Kuh! Mit der rede ich nie wieder!» Mit Tränen in den Augen schlägt Marie die Haustür hinter sich zu und stürzt sich in die Arme ihrer Mutter. Die Mutter drückt sie fest an sich und sagt nichts. Sie weiss, dass die beiden bald wieder dicke Freundinnen sein werden.

In Freundschaften erleben Kinder auch schwierige und konfliktreiche Phasen. Diese bieten ihnen die Möglichkeit, ihre sozialen Fähigkeiten zu trainieren und zu sozial kompetenten Erwachsenen heranzureifen. Als Eltern können Sie Ihr Kind auf diesem Weg begleiten. Natürlich gibt es kein Patentrezept für den Umgang mit Krisen und Streit – aber einige hilfreiche Ideen.

Bleiben Sie gelassen

Wenn man ein tränenüberströmtes Kind in den Armen hat, wünscht man sich nichts mehr, als seine Welt sofort wieder in Ordnung zu bringen. Man will wissen, was los ist, die ganze Geschichte hören und das Problem aus der Welt schaffen. Greift Maries Mutter jedoch gleich zum Hörer und ruft Sophies Mutter an, um das Missverständnis zu klären oder den Streit zu schlichten, beraubt sie ihr Kind wichtiger Erfahrungen.

Viele Konflikte können Kinder gut alleine lösen. Sie benötigen nur jemanden, der sie auffängt. Als Eltern können Sie Ihr Kind umarmen, es fragen, was vorgefallen ist, und einfach zuhören. Manchen Kindern hilft auch die Frage: «Du bist ja ganz aufgelöst – was würde dir jetzt gut tun?» Sie können dem Kind Vorschläge machen: «Willst du es mir erzählen oder soll ich dich einfach halten? Möchtest du dich ablenken?» Manche Kinder möchten die Geschichte gleich loswerden, andere möchten nicht darüber reden und sind froh, wenn man nicht weiter nachbohrt.

Wer sofort die Mutter der besten Freundin anruft, um zu klären, beraubt sein Kind wertvoller Erfahrungen.

Als ich in der ersten Klasse war, schlug ich meiner Mutter Folgendes vor: «Wenn es mir nicht gut geht, komme ich nicht herein, sondern klingle an der Tür. Dann musst du aufmachen und fragen: Fabian, was ist denn los? Dann kann ich es erzählen.» So konnte ich selbst bestimmen, ob ich darüber reden wollte oder nicht, oder mir vor der Tür noch einen Moment Zeit lassen.
Manche Menschen haben grosse Angst vor Zurückweisung. Sie tun alles, um Konflikte zu vermeiden, und fürchten stets, eine Freundschaft oder Beziehung könnte in die Brüche gehen. Leider führt Unsicherheit oft zu klammerndem, anbiederndem, forderndem oder misstrauischem Verhalten, welches es Kindern und Jugendlichen erschwert, schöne und stabile Freundschaften aufzubauen. Der befürchtete Bruch wird Realität.

Leben Sie auch Konflikte vor

Es gibt einen wirksamen Schutz gegen diese Angst: die Erfahrung, dass Streit nur eine Momentaufnahme in einer Beziehung ist. Und dass Versöhnung und Wiedergutmachung möglich sind.

Wir alle machen Fehler und verhalten uns unseren Kindern gegenüber nicht immer fair oder korrekt. Anstatt uns in Rechtfertigungen zu verlieren, könnten wir die sich bietende Chance beim Schopf packen und uns beim Kind entschuldigen: «Es tut mir leid, dass ich dich angeschrien habe – das war nicht in Ordnung.» Damit büssen wir keinen Respekt ein, sondern zeigen, dass man in einer Beziehung Fehler machen und sich wieder versöhnen kann – und wir nicht perfekt sein müssen, um einander gern zu haben.

Die Fähigkeit, sich nach Konflikten wieder zu vertragen, wird für Kinder auch erlebbar, wenn sie ab und zu beobachten dürfen, wie sich ihre Eltern nach einer stressigen Situation in den Arm nehmen und sich etwas sagen wie: «Entschuldige, ich habe überreagiert.» Durch diese kleinen, unscheinbaren Signale lassen wir Kinder spüren: Es ist eine ganz normale Sache, sich zu entschuldigen, und man muss nicht versuchen, einen Fehler zu vertuschen oder auf andere abzuschieben. Eine ehrlich gemeinte Entschuldigung ist kein Zeichen von Schwäche, sondern Teil eines respektvollen Umgangs miteinander.

Manchmal benötigen Kinder Hilfe bei der Bewältigung eines Konflikts – sei es, weil sie die Reaktion ihrer Freundin oder ihres Freundes nicht einordnen können, sei es, weil sie sich für ihr eigenes Verhalten schämen und nicht wissen, wie sie den Fehler wiedergutmachen können. In diesem Fall können Sie Ihr Kind unterstützen, indem Sie ihm dabei helfen, sich in das andere Kind einzufühlen oder den Fehltritt wiedergutzumachen.

«Das hätte Sophie nicht sagen sollen. Aber was meinst du: Was hat sie so sauer gemacht?»

Maries Mutter könnte ihrer Tochter helfen, auf Sophie zuzugehen, indem sie etwas Verbindendes anspricht: «Ich kann mir vorstellen, dass es Sophie im Moment genau gleich geht wie dir.»

Gleichzeitig kann sie ihrer Tochter helfen, Sophies Sichtweise einzunehmen, indem sie einerseits zuhört und sich andererseits fragt, wie die Situation für Sophie ausgesehen hat: «Hm … das ist natürlich gar nicht okay, dass Sophie dich hohle Nuss genannt hat. Sie muss sehr wütend gewesen sein. Was meinst du, wieso war sie denn so sauer?»

Falls Ihr Kind – aus Versehen oder aus der Wut heraus – einen Fehler gemacht hat, können Sie gemeinsam mit ihm kreativ werden und sich überlegen, wie es die Beziehung zum anderen Kind wieder kitten kann. Dafür gibt es ja viele Möglichkeiten. Will Ihr Kind sich direkt beim anderen Kind entschuldigen? Oder möchte es lieber einen Brief schreiben, eine Zeichnung anfertigen, der Freundin ein kleines Geschenk in den Briefkasten legen?


Tipps

  • Lösen Sie den Konflikt nicht vorschnell anstelle des Kindes, indem Sie selbst aktiv werden und beispielsweise die Eltern des anderen Kindes anrufen.
  • Oft benötigen Kinder nur jemanden, der sie auffängt. Seien Sie einfach da – mit einer lieben Umarmung und einem offenen Ohr.
  • Nicht jedes Kind will sofort über schwierige Situationen sprechen. Bohren Sie nicht nach. Fragen Sie das Kind stattdessen, was ihm guttun würde.
  • Helfen Sie dem Kind nach einem Streit dabei, sich in das andere Kind hineinzuversetzen.
  • Zeigen Sie dem Kind Anerkennung, wenn es die Grösse hatte, sich zu entschuldigen.
  • Leben Sie Ihrem Kind vor, dass Beziehungen Konflikte aushalten und eine Versöhnung möglich ist.

Zum Autor:

Fabian Grolimund ist Psychologe und Autor («Mit Kindern lernen»). In der Rubrik «Elterncoaching» beantwortet er Fragen aus dem Familienalltag. Der 36-Jährige ist verheiratet und Vater eines Sohnes, 3, und einer Tochter, 7 Monate. Er lebt mit seiner Familie in Freiburg.
www.mit-kindern-lernen.ch
www.biber-blog.com